1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Er musste an Bianca denken. In welchen Himmel sollte sie denn kommen? Wahrscheinlich in keinen, bei ihrem schmutzigen Vokabular. Irgendwer musste schließlich auch in der Hölle schmoren. Vielleicht hatte er ja Glück, und sie lag direkt neben ihm.
„Wach endlich auf“, herrschte Louise ihn an, „in fünf Minuten kommt der Bus.“
Jakob gestand sich ein, dass ihr Verhältnis zur Realität stärker ausgeprägt war als seines.
„Allzeit bereit“. Er zuckte zusammen, trank den letzten Schluck Kaffee und erhob sich. „Bis zum Abendessen.“
„Es gibt Weißwürste“, sagte sie und schloss die Tür hinter ihm.
***
Bei ihrer Geburt hatten Louises Eltern ihr den Namen Lieselotte gegeben. Das änderte sich abrupt nachdem Jakob in ihr Leben trat, der von Beginn an seine Unzufriedenheit mit dieser Namensgebung zum Ausdruck brachte. Wenn ich dich Lilo nenne, hatte er ihr erklärt, erinnere ich mich an Folies Bergére und Cancan, einer Vorstellung der du in keiner Weise entsprichst. Sage ich aber Lieselotte, sehe ich zwei massige Kaltblüter mit den Namen Liese und Lotte auf einem Dithmarscher Bauernhof vor meinem geistigen Auge. Das wünschst du doch sicher auch nicht. Da ich außerdem nicht zu den Männern gehöre die ihre Frau Schatzi, Mausi oder Zuckerschnut nennen, würde ich dich gern als Louise in meine Arme schließen. Sie wollte dann noch wissen, wieso er auf Louise käme, worauf er ihr antwortete, dass dies ein Name von Königinnen sei. Tatsächlich jedoch erinnerte ihn Louise an ein Restaurant gleichen Namens in Winterhude, in dem er einmal sehr gut gegessen hatte. Was offensichtlich als Scherz begann hatte sich dann durchgesetzt. Sie dachte inzwischen auch von sich als Louise und stellte sich bei Fremden mit diesem Namen vor. Lieselotte stand nur noch in ihren Ausweispapieren.
Louise besaß zwei Beste Freundinnen. Die Drei trafen einmal wöchentlich, nachmittags zusammen; abwechselnd in ihren Wohnungen, die ihnen tagsüber zur freien Verfügung standen, da ihre Männer alle noch berufstätig waren. Häufiger sah man sich nicht. Aktuelle Ereignisse, die keinen Aufschub duldeten, wurden telefonisch erörtert. Es hatte auch noch nie ein gemeinsames Treffen der Ehepaare gegeben. Dies fand seinen Grund in der Tatsache, dass sowohl Ulrike als auch Elfriede große Schwierigkeiten mit ihren Ehemännern hatten. Ulrikes Mann stolperte von einer Affäre in die andere und machte sich kaum noch die Mühe diese zu verbergen. Elfriede wurde dagegen regelmäßig misshandelt und musste sich das Gesicht schminken und selbst an dunklen Tagen eine Sonnenbrille tragen, um ihre Hämatome wenigstens notdürftig zu verbergen. Hinzu kamen noch die Spuren der Schläge an Körperstellen, die nicht so ohne weiteres sichtbar waren, aber ebenfalls große Schmerzen bereiteten.
Beide hatten bereits ernsthaft überlegt eines der Hamburger Frauenhäuser aufzusuchen. Louise, deren innerer Einstellung es widersprach, kampflos die Flucht zu ergreifen, meldete sich darauf in der Volkshochschule Wellingsbüttel für einen Kurs über ‚Speisepilze und ihre giftigen Doppelgänger‘ an.
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Jakob hatte seiner Frau mitgeteilt, dass der Sicherungsbeauftragte ihn darüber informiert hatte, seine Dienste zukünftig nicht mehr zu benötigen, dass aber der Geschäftsführer einer Firma, die im Automatengeschäft tätig war und in den Tanzenden Türmen ihren Hauptsitz hatte, an seiner Mitarbeit großes Interesse zeigte. Er war mit sofortiger Wirkung eingestellt worden. Seine Aufgabe bestand darin im Raum Hamburg Kundenpflege zu praktizieren und Akquisitionsgespräche zu führen. Als er dann noch beiläufig erwähnte ihr den monatlichen Betrag weiterzahlen zu können, erlosch Louises Interesse; sie war vollkommen zufrieden gestellt.
De facto hatte sich Jakob ein winziges Büro im Kontorhausviertel am Burchardplatz in der Altstadt angemietet. Direkt unter dem Dach, erinnerte der möblierte Raum an eine frühere Abstellkammer. Aber es existierten alle notwendigen Anschlüsse, und eine Nasszelle mit Kochnische und Toilette gab es auch.
In diesem Ambiente verbrachte Jakob seine Zeit damit, angestrengt darüber zu grübeln, wie er Franz Kleinmüller zu seiner, ihm gebührenden, Strafe verhelfen konnte. Er saß hinter einem überdimensionierten Schreibtisch, der stilistisch dem Gelsenkirchener Barock zuzuordnen war, umgeben von Stapeln illustrierter Erzeugnisse des trivialen Sensationsjournalismus. Diese, im Tiefdruck hergestellten Wochenblätter, stilisierten Personen aus dem Adel oder Showbusiness zu Fantasiefiguren hoch. Die Spalten war voll mit Mutmaßungen über Liebe, Hass, Eifersucht und dem Streben nach Ruhm und Reichtum, zurechtgerückt auf kleinbürgerliche Vorstellungskraft.
In diesen prominenten Kreisen fand Jakob auch Kleinmüller wieder, der es offensichtlich genoss mit seiner augenblicklichen Freundin, einer lasziven Schönheit aus der Filmbranche, zwischen Rosenkriegen, Skandalen und Königsaffären, gewürzt mit sentimentalen Schicksalsgeschichten, Verbrechen und Kochrezepten abgebildet zu sein. Jakob hatte diese billigen bunten Heftchen seit einiger Zeit gesammelt und war jetzt damit beschäftigt, alle Artikel die über den narzisstischen Multimillionär Kleinmüller und seine gleichermaßen publizitätsgeile Begleiterin berichteten, auszuschneiden. Er hat eigentlich das, fiel Jakob irgendwann auf, was man früher, als die Prügelstrafe noch nicht verpönt war, ein Backpfeifengesicht nannte. Etwa so, wie das von diesem ewig grinsenden Nachrichtensprecher im ZDF. Und hinten auch noch platt, völlig ohne Hinterkopf. Dann kam ihm plötzlich die Erleuchtung wie er Kleinmüller zu Fall bringen konnte. Dessen maßlose Egomanie und Streben nach Bewunderung würde er nutzen um ihn für lange Zeit aus dem Verkehr zu ziehen.
Während er bereits verzückt davon schwärmte, wie leicht diese Aufgabe war, vergaß er doch nicht seine täglichen Pflichten zu erfüllen. Um die Fiktion eines florierenden Geschäftsbetriebs aufrecht zu erhalten, telefonierte er mit Firmen, die in ihren Anzeigen dazu aufforderten: Rufen Sie gleich an , und bat um detailliertere schriftliche Informationen. Dazu füllte er Vordrucke aus, die er dann abschickte. Fand er mal gar nichts, tippte er Umschläge an sich selbst, in die er herumliegendes Papier steckte.
Auf diese Weise brachte ihm der Postbote täglich eine hübsche Menge an Briefen, selbst von Firmen, die er überhaupt nicht angeschrieben hatte. Nachdem er die Post aus seinem Fach entnommen hatte, wobei er es nie versäumte sich bei den zufällig Anwesenden über den zermürbenden Arbeitsanfall zu beklagen, bestieg er wieder den Paternoster und warf in seinem Büro den gesamten Posteingang ungeöffnet in den Papierkorb.
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Der Erotikschuppen des so früh verblichenen Kurden-Paul hatte inzwischen ein völlig neues Management erhalten. Sämtliche wichtigen Positionen waren von Clan-Mitgliedern übernommen worden. Ein derartiges Desaster durfte nie wieder passieren. Die Berliner Zentrale hatte neue, expansionsorientierte Ziele festgelegt, an die die interne Organisation angepasst worden war. Zur Bereinigung von Territorialstreitigkeiten wurde ein Spezialist aus der Türkei eingeflogen. Dieser begutachtete die Situation einige Tage und erschoss dann in einer Nacht drei Bandidos-Häuptlinge. Er saß bereits wieder im Flieger nach Istanbul bevor die Hamburger Polizei überhaupt Kenntnis von diesem Kapitalverbrechen erhalten hatte. Der Clan sicherte sich dadurch fünf Nuttenstellplätze in der Süderstraße. Den die Szene beherrschenden Hells Angels, sie dominierten unter anderem das in der gleichen Gegend gelegene Babylon, den größten Puff Hamburgs, kam dieser Vorfall nicht ungelegen, da er die Bandidos schwächte und man in den Berlinern keine wirkliche Bedrohung sah.
Als Jakob die Vulva betrat, wie Kurden-Pauls Lokal inzwischen hieß, und sich nach Bianca erkundigte, stand sie plötzlich vor ihm als hätte sie hinter der Tür auf ihn gewartet. Trotz ihrer Schminke wirkte sie bleich und verunsichert wie ein Schulmädchen auf ihn. Sie umklammerte seinen Arm.
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