Uwe Schwartzer
Ein Bürger-Schocker aus dem St.Pauli Milieu
Imprint
Halbwelten
Uwe Schwartzer
published by: epubli GmbH, Berlin
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Copyright: © 2014 Uwe Schwartzer
All rights reserved
ISBN: 978-3-7375-0663-2
Umschlaggestaltung: Lektoratsservice Erik Kinting
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„Das darf doch nun wirklich nicht wahr sein Louise.“ Jakob Kilian protestierte empört. „Hör dir das bloß mal an, was die Abendzeitung hier schreibt: Der Mordprozess gegen die bekannte Kiezgröße Kurden-Paul, mit bürgerlichem Namen Azad Sabri, ist geplatzt. Das Landgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Die Anwälte des Beschuldigten haben Beweisanträge gestellt, aus denen eindeutig hervorgeht, dass sich Sabri zum Tatzeitpunkt nicht in der Wohnung des Opfers aufgehalten haben konnte. Er hat somit ein wasserdichtes Alibi, das nicht nur auf Zeugenaussagen von Angestellten seines Bordell-Clubs basiert, sondern auch von zwei anwesenden, glaubwürdigen Kunden bestätigt wird. Die Staatsanwaltschaft behält sich gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde vor.“
Kilian zerknüllte die Zeitung und warf sie verärgert zu Boden. „Sämtliche Zeugen sind gekauft oder eingeschüchtert. Jeder weiß das, selbst der Richter. Doch niemand tut etwas dagegen. So bleiben Kapitalverbrechen ungesühnt. Der Staat klärt lieber Bagatellvergehen seiner Bürger auf, an denen er gut verdienen kann. Wehe man parkt mal verkehrt oder vergisst Nebeneinkünfte bei der Steuer anzugeben. Sofort flattern einem die Strafbescheide nur so ins Haus. Dieser sogenannte Rechtsstaat ist das Paradies der Kriminellen.“
Kilian leerte den Rest aus seiner Kaffeetasse. „Sag du doch auch mal was dazu, Louise.“
Bewaffnet mit einem Handstaubsauger, führte die ihm seit dreißig Jahren Angetraute inzwischen einen erbitterten Vernichtungskrieg gegen die auf dem Frühstückstisch verstreuten Brotkrümel. „Warum regst du dich so darüber auf Jakob? Du kannst doch nichts dagegen tun. Sicher ist alles nach Recht und Gesetz gelaufen. Denk lieber daran, dass du in fünf Minuten los musst.“ Mit diesem abschließenden Statement, das keinen Widerspruch duldete, entfernte sie sich in andere säuberungsbedürftige Bereiche der gemeinsamen Dreizimmerwohnung um ihren immerwährenden Kampf gegen Staub, Schmutz und sonstige unerwünschte Ablagerungen fortzusetzen.
Kilian erhob sich nur widerwillig – heute wäre er lieber zuhause geblieben – um seiner Tätigkeit als Mitarbeiter des Sicherheitsbeauftragten in den Tanzenden Türmen, einem Bürokomplex am Eingang zur Reeperbahn in St. Pauli, nachzugehen. Zumindest hatte er Louise das erzählt, und sich dadurch eine Rückzugsmöglichkeit sowie täglich zehn Stunden persönlicher Freiheit erkauft. Er gab ihr monatlich fünfzehnhundert Euro seines angeblich im Drei-Schicht-Betrieb verdienten Gehalts. Dadurch blieb er nicht nur unbehelligt von argwöhnischen Fragen, sondern wurde auch noch daran erinnert ja nicht zu spät zu kommen.
Tatsächlich zahlte er diese Summe aus den Erträgen eines Deals, den er vor vielen Jahren gemacht hatte. Es war ihm seinerzeit gelungen durch ein nicht völlig legales Geschäft, eine erhebliche Summe Bargeld zu erwerben und erfolgreich an Steuer und Louise vorbei zu schleusen. Diese Vorgehensweise schien ihm die beste, weil sowohl seine Ehefrau als auch der regierende Bürgermeister dazu neigten sein Geld für unkontrolliertes Shoppen überflüssiger Gebrauchs- und Konsumgüter beziehungsweise für das scheinbare Wohl und Gerechtigkeits-empfinden eigener Wählergruppen auszugeben. Aus Sicher- heitsgründen verzichtete er auf mögliche Zinseinnahmen und hatte das Geld in einem Bankschließfach deponiert. Da es sich um eine wirklich erhebliche Summe handelte, überlegte er anfangs noch, für einen Teil des Betrages ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Er hatte diesen Gedanken jedoch schnell wieder verworfen, als er an die bohrenden Fragen Louises dachte: Woher hast du das viele Geld, Jakob? Ist es auch ehrlich erworben? Hast du im Lotto gewonnen? Warum erzählst du mir eigentlich nie etwas?
Wahrscheinlich würde der Staat auch noch wissen wollen, wieso er eine fünfhunderttausend Euro Immobilie cash bezahlen konnte, wo doch in seinen bisherigen Steuererklärungen derartige Summen nie aufgetaucht waren.
Den endgültigen Ausschlag ergab jedoch seine Überlegung, dass ein Tag lediglich vierundzwanzig Stunden hatte. Zehn Stunden davon war er ‚beruflich‘ abwesend. Sechs bis sieben Stunden schlief er, bevor ihn die senile Bettflucht ins Bad trieb. Durchschnittlich zwei Stunden täglich verbrachte er mit Skat-, Kegel-, und sonstigen Abenden. Die eventbedingten Abwesenheiten Louises und seine eigenen Arztbesuche hatte er bei dieser Rechnung noch völlig außer Acht gelassen. Für die verbleibenden vier bis fünf Stunden trauten, heimischen Beisammenseins, oft noch in Begleitung staubsaugender Elektrogeräte, kauft doch kein vernunftbegabter Mensch eine derartig teure Unterkunft, war denn auch seine unwiderrufliche Überlegung zu diesem Thema. Er hatte sich also gegen einen Kauf entschieden und beschlossen bis zu seinem, hoffentlich noch nicht so baldigen, Ende, in seiner Bramfelder Mietwohnung im Nordosten Hamburgs wohnhaft zu bleiben.
Darüber hinaus hatte er einen weiteren Entschluss gefasst. Er wollte noch einmal eine wirklich große Sache in Angriff nehmen, denn es gab einiges zu korrigieren in diesem Staat, in dem immer nur die Kleinen pünktlich ihre Steuern zahlten und mit Buß- und Strafgeldern gemaßregelt wurden. Mit seinen sechzig Jahren würde er nicht mehr sehr viele Gelegenheiten bekommen, etwas wirklich Nützliches für die Allgemeinheit zu tun. Daher wollte er einige krasse Fehlentwicklungen im menschlichen Zusammenleben, in der Strafverfolgung, Steuerbemessung und -durchsetzung berichtigen, wozu die Hüter von Recht und Gesetz, Polizei und Justiz, offensichtlich nicht in der Lage waren, obgleich sie doch dafür bezahlt wurden.
Er hatte nicht vor sich in deren Belange einzumischen, wollte aber für Gerechtigkeit sorgen, ein Begriff, den sozialistische Politiker regelmäßig, kurz vor den Wahlen aus der Kiste kramten, wenn es darum ging durch Neidkampagnen ihre unterprivilegierte Wählerschaft zu mobilisieren.
Nach seiner Frühpensionierung war er das erste halbe Jahr zuhause geblieben, was ihn jedoch fast in den Wahnsinn sowie in den Alkohol getrieben hatte. Auch zur Freude Louises war es ihm dann gelungen seine fiktive Tätigkeit in den Tanzenden Türmen aufzunehmen, die ihm so gut gefielen, da sie mit ihrer geknickten Fassadenkonstruktion ein tanzendes Paar darstellen sollten, das sich im Tangoschritt bewegte. –
Nachdem er sich von Louise verabschiedet hatte ging Jakob Kilian mit einer Aktentasche in seiner Linken zur Busstation, direkt vor ihrer Haustür. Die Tasche, in der sich auch sein Laptop befand, verlieh ihm eine gewisse, geschäftliche Seriosität, so wie der Schlips, den er sich immer wieder unwillig um den Hals schlang. Da er wusste, sie würde hinter der Gardine stehen um seine Abfahrt zu kontrollieren, stieg er, ohne noch einmal hochzublicken, in das vor ihm haltende Fahrzeug, obgleich er öffentliche Verkehrsmittel hasste. An der ersten Haltestelle verließ er dann auch den Bus und wechselte auf die andere Straßenseite zu einem Taxistand. Er wies den Fahrer an, ihn nach St.Pauli zu bringen. Danach lehnte er sich in die Polster zurück und fühlte sich erst wieder wohl, als er sich die Krawatte vom Hals gerissen und in der Tasche verstaut hatte.
An der S-Bahn Station Reeperbahn verließ er den Wagen und machte sich auf in die Große Freiheit, wo Kurden-Paul einen Club besaß, in dem er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. Zumindest hatten das die Medien behauptet, die den Fall schon seit Wochen kommentierten.
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