Die Spannung im Raum war augenblicklich spürbar. Seine Bodyguards hatten zu ihren Waffen gegriffen, sie jedoch noch nicht gezogen. Die Hände der Hells Angels verschwanden ebenfalls in ihren ausgebeulten Kuttentaschen.
„Noch gehör‘n sie nicht euch,“ hörte er sich sagen.
„Na und? Paar an die Backen hat noch Keiner geschadet“, hatte der andere geantwortet, worauf sich die Situation wieder entspannte. Nachdem sich die Geohrfeigte mit blutigem und geschwollenem Gesicht aufgerappelt hatte, zogen sich jetzt beide widerstandslos aus und ließen sich von den Rockern begutachten. Der Schläger griff in die vollen Brüste der Jüngeren, die ihn angstvoll anstarrte.
„Ich hab auch schon festere Titten in der Hand gehabt“, sagte er verächtlich und stieß sie in Richtung eines seiner Kumpane. „Popp sie mal.“
Er wendete sich an die anderen im Raum. „Man muss ja schließlich wissen ob sie schon gut zugeritten ist.“
Der so Angesprochene bekam leuchtende Augen. „Komm her du Fotze, mach mir mal den Reißverschluss auf.“
„Gerne, soll ich dir einen blasen? Ich kann das gut.“
„Nein. du sollst Dich auf den Tisch setzen und die Beine breit machen.“
Die gesamten Kaufverhandlungen hatten kaum eine halbe Stunde gedauert. Die Angels hatten moniert, dass die Ware doch schon einen reichlich abgegriffenen und verbeulten Eindruck machte. Eine sei sogar im Gesicht so stark beschädigt, dass an einen Einsatz in der nächsten Zeit nicht zu denken war. Sie hatten schließlich, anscheinend widerwillig, dreißig geboten. Paul hatte akzeptiert und sich gleichzeitig geschworen nie wieder Geschäfte mit den Hells Angels zu machen. Nach der gegenseitigen Geld- und Passübergabe hatte der Spuk ein Ende. Die Käufer zogen mit ihrer Beute ab, die einer ungewissen Zukunft entgegensah.
Abschließend hatte Paul dann noch angewidert einer Putze befohlen seinen Schreibtisch zu säubern.
***
Jakob war angenehm überrascht vom Ambiente im Captain’s Dinner. Klein, gemütlich, mit rosa Tischdecken und gepolsterten Stühlen in der gleichen Farbe. Sie saß weit vom Eingang entfernt, in einer hinteren Ecke des Lokals. Irgendwie musste sie es geschafft haben sich von der Kriegsbemalung zu befreien, mit der sie gestern im Club noch geschmückt war. Sie trug ein dezentes, dunkelblaues Kostüm und wirkte auf ihn wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau.
„Sie sehen phantastisch aus, Bianca“, begrüßte er sie galant, „oder darf ich sie privat nicht so nennen?“ Er sah auf die Uhr und setzte ihr gegenüber. „Bin ich zu spät?“
„Fragen über Fragen“, lachte sie, „aber deswegen sind wir ja auch hier.“
„Pardon“, er reichte ihr einen Umschlag, „Ihr Honorar. In Ihrer Branche wird ja wohl immer im Voraus bezahlt.“
Sie ließ das Kuvert blitzschnell in ihrer Handtasche verschwinden. „Vielen Dank für das Kompliment, Jakob. Mein erstes seit ungefähr zwanzig Jahren. Natürlich kannst du mich jederzeit Bianca nennen und zu spät bist du auch nicht. Ich bin zu früh, weil ich es nicht mehr erwarten konnte. Darüber zu reden hat mir gestern gut getan. Eigentlich müsste ich dich bezahlen. Sag mal warum siezt du mich eigentlich?“
Bevor Jakob antworten konnte erschien der Ober mit der Speisekarte. Er wollte die Essensorder sofort, da um dreiund- zwanzig Uhr Betriebsschluss sei. Bianca nahm die Tomatencremesuppe und eine Nordsee-Ewer-Scholle. Jakob begnügte sich mit dem Seniorenteller ‚Filet vom Seelachs‘. Da weder Pernod noch Ouzo angeboten wurde, entschieden sie sich in den nächsten zwei Stunden Wodka Moskovskaya und Mineralwasser zu trinken.
Als dann die Getränke auf dem Tisch standen, prostete er ihr zu: „Nastrovje! Auf gute Zusammenarbeit.“ Er leerte sein Glas in einem Zug.
„Was soll das? Willst du mich unter den Tisch trinken? Sei vorsichtig. Ich kann nach einer Flasche Hochprozentigem noch fehlerfrei ‚Fischers Fritze fischt frische Fische‘ aufsagen.“ Sie nippte an ihrem Glas. „Also gut“, fuhr sie fort, „nutzen wir die Zeit. Als ich damals völlig unvorbereitet und naiv wie ich war, aus Paderborn nach Hamburg flüchtete, traf ich, rein zufällig wie ich damals dachte, am Hauptbahnhof einen Studenten. Der war so nett, hilfsbereit und völlig anders als die Männer, die ich bisher kannte. Ich hatte sofort Vertrauen zu ihm. Seine Tante besaß am Hans-Albers-Platz eine Pension in der ich preiswert übernachten könnte. Er rief sie mit dem Handy an und teilte mir dann strahlend mit, dass noch ein Zimmer frei sei. Sogar das Taxi dorthin bezahlte er. Eine halbe Stunde später hatte er mich an einen albanischen Zuhälter verkauft. Es war der Schock meines Lebens. Über das was man dort mit mir anstellte, kann ich nicht reden. Ich habe in dieser Nacht noch unter mindestens fünf Männern gelegen. Alles stinkende Knoblauchfresser. Man hat mich wochenlang weggesperrt, bis man dachte meinen Willen gebrochen zu haben. Danach wurde ich zahlungsfähigen Kunden als Jungfrau angeboten, als frisch eingetroffener Import aus der Provinz. Nie durfte ich diesen Puff verlassen oder Kontakte nach draußen aufnehmen. Ich war in der Gewalt eines Albaner-Clans. Sie ließen ihren halbstarken Nachwuchs über mich drübersteigen und deren stolze Mütter dabei zusehen. Sie taten mir Dinge an, über die ich nie werde sprechen können.“ Bianca kippte den Schnaps in sich hinein.
Jakob, der dem Ober zu verstehen gegeben hatte, leere Wodkagläser unaufgefordert aufzufüllen, sah ihn bereits mit der Flasche herbeieilen.
„Wie bist du denn letztendlich zu Kurden-Paul gekommen?“, fragte er ungeduldig, da für ihn die Jugenderinnerungen einer Hure nur von bedingtem Interesse waren.
„Wie das so ist. Man wird immer weiter gereicht, bis kein Kaufinteresse mehr besteht. Man will dich nicht mehr, schmeißt dich weg; du flehst darum weiterbeschäftigt zu werden. Du kannst nichts anderes und willst auch nichts anderes mehr. So wirst du geprügelt, musst dich immer an die Besoffenen ranmachen, mit deren Scheckkarten zum Geldautomaten laufen und die maximalen Beträge abkassieren. Du darfst KO-Tropfen in Getränke schütten oder kurzfristig die Suite verlassen, wenn das Security-Team einen zahlungsunfähigen Kunden fertigmacht und später, weit außerhalb des Clubs, irgendwo ablegt.“ Bianca trank einen Schluck Wasser. „Wenn ich mir andererseits aber vorstelle, ich wäre die Frau von irgendeinem Typen, der morgens zur Arbeit geht und abends abgeschlafft wieder zurück kommt, und ich müsste in der Zwischenzeit die Bude putzen und sein Essen kochen…“ sie schüttelte sich. „Allein der Gedanke daran macht mich schon krank.“ Sie leerte ihr Glas erneut. „Warum gibt’s hier nichts zu schlucken?“
„Lass das Saufen, Bianca. Wir haben ein Abkommen.“
„Ja, du fragst und ich antworte. Dann frag doch endlich!“
„Weißt du wo Paul wohnt?“
Sie sah ihn misstrauisch an. „Wozu willst du das wissen?“
„Das brauch ich für mein Buch. Die Leser wollen wissen wo Kiezgrößen privat ihre Zeit verbringen. Hat er ein Haus in Blankenese mit Elbblick?“
„Nein das nicht, aber auf die Elbe gucken kann er auch.“ Sie zögerte kurz. „Er wohnt in der Palmaille, in einem dieser Hochhäuser.“
Jakob zuckte gelangweilt mit den Schultern, als wäre diese Nachricht von keinem großen Interesse für ihn. Danach stellte er ihr weitere Fragen, deren Antworten ihm eigentlich ziemlich gleichgültig waren. Er machte auch nicht den Fehler sich nach ihrer Adresse zu erkundigen.
„Wie schafft ihr es eigentlich, dass eure Drogenbestände bei Polizeirazzien nicht entdeckt werden?“ erkundigte er sich dann beiläufig, als wollte er wissen wie morgen das Wetter wird.
„Paul hat einen Raum auf dem Nachbargrundstück angemietet“, sagte sie spontan, “dort ist noch nie ein Bulle aufgetaucht.“
Bevor ihr klar wurde, was sie eben gesagt hatte, erschien der Ober und servierte das Essen. Jakob sah erstaunt, mit welchem Appetit sie sich darüber hermachte. Sie war bereits mit ihrer Suppe fertig, als er noch überlegte von welcher Seite er sein Fischfilet in Angriff nehmen sollte.
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