„Ich werde die Brieftasche und die Geldscheine erst einmal in die Kriminaltechnik geben und auf Echtheit und Fingerspuren untersuchen lassen. Ist das in Ordnung, Herr Ludwig?“ Der Hauptkommissar ist noch zögerlich. Er hält die ganze Geschichte für unergiebig. Sollte es sich aber wirklich um Falschgeld handeln, dann würde die Sache eine Dimension annehmen, die für eine Polizeischülerin mehrere Nummern zu groß ist. Er will aber zunächst abwarten, was die kriminaltechnische Prüfung ergibt.
„Sie schreiben den Bericht und bereiten alles für die Kriminaltechnik vor. Das will ich so schnell wie möglich auf dem Schreibtisch haben. Die Prüfung muss ich anordnen. Wenn die Ergebnisse der KT vorliegen, werden wir weitersehen. Alles klar?“
„Jawohl, ich setze mich sofort an den Bericht.“ Hanna ist aufgehstanden druckst noch etwas herum. Ludwig hat sich bereits anderen Dingen gewidmet, bemerkt jetzt ihr Zögern, den Raum zu verlassen und fragt schroff: „Was is’ noch?“
„Na ja, ich wollte ein Phantombild von dem Mann herstellen lassen, nur so für alle Fälle, wenn an der Sache doch mehr dran sein sollte. Sonst verblasst meine Erinnerung. Außerdem könnte ich die Methode gleich mal in der Praxis kennenlernen.“
Sie schaut ihn mit ihrem schönsten Lächeln zusammen mit einer Prise Hilflosigkeit an, eine Mischung, der kaum jemand widerstehen kann, und fragt:
„Darf ich das, Herr Ludwig?“
„Ja, meinetwegen, aber veranstalte keinen Wirbel“, brummt er überraschend friedlich und duzt sie. Hanna strahlt.
„Vielen Dank, Herr Ludwig“.
Als sie den Raum verlassen hat, richtet sich Ludwig auf und denkt:
„ So ein Klasse Mädchen! Was könnte das für eine hervorragende Polizistin werden, wenn sie nicht so hübsch wäre. Einfach zu hübsch. Die bleibt nicht, wird bald weggeheiratet.“ Der Gedanke macht ihn ein wenig traurig.
* * *
Moussard hat mittlerweile das Büro erreicht und klopft an. Er hört ein lautes, krähendes „Herein“ und betritt er den Raum. „Der Laden ist immer noch so schäbig, wie beim ersten Mal“, geht es ihm durch den Kopf.
Vor den Fenstern sind die Jalousien mit ihren zerbrochenen und gesplitterten Lamellen heruntergelassen, sodass im Raum Zwielicht herrscht. Dazu ist es warm und stickig. Hier wurde lange nicht mehr gelüftet. Hinter dem billigen Schreibtisch sitzt wieder der „Pekinese“. Er ist genauso gekleidet, wie bei der ersten Begegnung. Moussards Blick fällt auf den Mann dem Stuhl in einer Ecke des Raumes. Es ist nicht der bullige Kerl im Türsteherformat. Dieser hier unterscheidet sich, bis auf den stumpfen und betont desinteressierten Gesichtsausdruck, in vielerlei Hinsicht vom Vorgänger. Er ist klein und schmächtig, trägt Schuhe mit hohen Absätzen. Mit seinem ölig glänzenden, glatt nach hinten gekämmtem vollen Haar und seinem dunklen Teint könnte er ein Südländer sein. Er wirkt trotz lässiger Sitzhaltung, angespannt, wie auf dem Sprung. Dabei wieseln seine Blicke unruhig im Raum umher. Moussard nimmt spontan wahr, dass von diesem Mann etwas Bedrohliches ausgeht.
„ Ist das der neue Bodyguard des Kleinen?“, fragt sich Moussard, „sieht nicht so aus.“ In ihm entsteht sofort ein unguter Verdacht.
„ Möglicherweise ist es ein Kollege, der mich in Augenschein nehmen, um mich nach Abwicklung des Geschäfts auszuknipsen, Hund riecht Hund.“ Spontan drückt er den linken Arm an den Oberkörper. Eigentlich müsste er dort die Glock im Schulterhalfter spüren, aber da ist nichts. Sie befindet sich im Safe der Pension. Für einen Moment kommt Sorge auf, aber er hat sich gleich wieder im Griff.
„ Ich muss aufpassen und darf den Mann nicht aus den Augen lassen. Aber solange Schmidt den zweiten Zylinder nicht hat, kann er mir nichts tun.“ Jetzt keift der kleine Herr Schmidt statt einer Begrüßung los: „Wie konnte dieser Scheiß in Gabun geschehen? Das war absolut dilettantisch. Nun auch noch die Sache mit der Brieftasche! Läuft vor einem kleinen Mädchen weg! Mann, da haben wir Ihre Fähigkeiten aber gründlich überschätzt! Möchte wissen, was Sie dazu zu sagen haben.“ Er bietet Moussard keinen Platz an. Der fragt spöttisch zurück: „Würde meine Antwort etwas an dem ändern, was geschehen ist, Monsieur?“
„Nichts ändern, nichts ändern?“, schreit der Zwerg erregt mit hochrotem Gesicht, noch ein paar Töne höher. Seine ohnehin entzündet wirkenden, hervorstehenden Augen treten noch weiter hervor. Er schnappt nach Luft. Er hat sich dabei aufgerichtet und stemmt seine Fäuste auf die Tischplatte, als wolle er Moussard körperlich bedrohen. Wegen seines schmächtigen Körperbaus wirkt diese Pose eher grotesk und belustigend - ein wahrer Zwergenaufstand. Moussard muss grinsen, was Schmidt noch mehr in Harnisch bringt.
„Grinsen Sie nicht!“, fährt er ihn an, „Sie haben sich höchst unprofessionell verhalten. Dadurch ist alles komplizierter geworden. Die Zeitpläne müssen verändert werden, jetzt sind auch noch Leute abzustellen, um die Polizistin zu überwachen. Und nach Ihnen wird über kurz oder lang gefahndet werden. Und das nennen Sie ‚nichts ändern’. Mensch, Sie haben den gesamten Plan gefährdet. Sie sind ein elender Versager!“
Etwas außer Atem geraten, setzt er sich erschöpft wieder auf den Stuhl. Während dieser Auseinandersetzung ist der stumme Begleiter aus seiner Lethargie erwacht, hat sich aufgerichtet, schaut gespannt zum Schreibtisch herüber. als wollte er zur Hilfe kommen. Der Kleine winkt mit einer kurzen Handbewegung ab. Es entsteht eine Pause. Der Ausbruch war für Schmidt offenbar notwendig, um mit seinen Emotionen klarzukommen, denn jetzt, wo er Dampf abgelassen hat, überlegt er ruhig, ob er den Auftrag zurücknehmen und einen anderen für die Beschaffung einsetzen sollte. Moussards bisherige Leistung war unzureichend.
„ Aber warum eigentlich?“, fragt er sich, „ mit dem Material aus dem einen Zylinder lassen sich die ersten Vorhaben realisieren. Die Herstellungsprotokolle dürften jetzt wie die Kronjuwelen bewacht werden. Soll doch Moussard diese Nuss knacken! Und notfalls gibt es ja noch diesen Entdecker Jarcol. Kann Moussard die Protokolle nicht beschaffen, dann muss er mir diesen Mann bringen.“
Er entscheidet, dass Moussard die Suppe auslöffeln soll, die er sich eingebrockt hat und sagt gefasst:
„Ich möchte, dass Sie die Protokolle und diesen Jarcol, oder wie der Mann heißt, herschaffen. Der muss uns bestätigen, dass die Unterlagen korrekt sind und erklären, wie das Zeug hergestellt werden kann. Das ist Ihr Auftrag, verdammt noch mal!“, und fügt zynisch hinzu, „na, und wie man jemand zum Reden bringt, das wenigstens werden Sie doch wohl noch hinbekommen.“
Moussard hat die Vorwürfe ungerührt über sich ergehen lassen und erklärt in ruhigem Ton:
„Hören Sie, Jarcol zu fassen, war nie mein Auftrag, wenn doch, dann müssen Sie das Honorar deutlich nachbessern.“ „Falsch“, erwidert Schmidt, „Sie haben die Protokolle nicht beschafft, somit ist Jarcol der Ersatz dafür. Außerdem sind Sie doch selbst daran interessiert, ihn zu finden.“
„Ja aber nicht, um das Zeug herzustellen. Aber lassen wir das für den Moment. Es ist übrigens mit dem ‚Ihn-zum-Reden-bringen‘ leider nicht getan. Wenn Jarcol in Gabun die Wahrheit gesagt hat - und ich bin sicher, dass er das hat - besteht das Hauptproblem darin, dass das Zeug im Labor nachentwickelt werden muss. Es soll eben keine einfache Formel sein, nach der ein Unerfahrener problemlos das Zeug herstellen kann. Jarcols Angaben nach, ist dafür eine Vielzahl von Versuchsreihen erforderlich. Er brachte in diesem Zusammenhang das Bild von einem weitverzweigten Straßensystem ohne Hinweisschilder. Diese müsse man mit unterschiedlichen Fahrzeugen und Geschwindigkeiten befahren, zu bestimmten Zeitpunkten genau die richtigen Abzweigungen wählen, um sein Ziel zu erreichen. Dabei erschweren Sackgassen, Straßenschäden und Kreisverkehr die Fahrt. Diese ‚Tour’ kann kein Mensch im Gedächtnis behalten und exakt nachvollziehen. Selbst …“ „Danke für den Vortrag“, wird er ungeduldig von Schmidt unterbrochen, „also kurz gesagt, Sie benötigen den Doktor und Räumlichkeiten mit geeigneter Ausstattung, so etwas wie ein Gefängnis mit eingebautem Labor, gut isoliert oder weitab von der Zivilisation.“
Читать дальше