„Mein Name ist Schmidt“. Wieder folgte ein Hüsteln.
„ Siehe da, der 'Pekinese' ist ein richtiger Witzbold“ , hatte Moussard gedacht und dann laut kommentiert:
„Oh, was für ein origineller Name!“
„Sie werden es nicht glauben, aber er ist tatsächlich Schmidt“, und hatte großspurig hinzugefügt, „die Organisation, der ich angehöre, ist so mächtig, dass sich keinerlei negativen Konsequenzen daraus ergeben, wenn ich meinen, zugegebenermaßen wenig originellen, wirklichen Namen trage.“
„Mir ist es egal, wie Sie heißen und ob Sie Ihre Anonymität wahren oder nicht. Was mich betrifft, ich übernehme nur Aufträge, bei denen Auftraggeber und ich sich nicht persönlich begegnen. Sie haben mich nicht informiert, dass ich Sie hier treffen werde und nur erwähnt, hier die Instruktionen abzuholen. Sie haben mir dadurch keine Wahl gelassen. Das ist nicht in Ordnung, deshalb werde ich ihren Auftrag nicht annehmen“, hatte er scharf zurückgegeben.
„Hören Sie auf, sich zu zieren“, war die ungerührte Entgegnung des Kleinen, „wir wissen genau über Sie Bescheid, kennen die Handschrift Ihrer Arbeit, sonst hätten wir keinen Kontakt zu Ihnen aufgenommen. Wir werden Ihre ‚Enttarnung‘ sehr großzügig mit dem Honorar ausgleichen. Die Organisation verlangt, dass alle, die für sie arbeiten, ihr bekannt sein müssen.“ Er hatte seine Worte auf Moussard wirken lassen und nach kurzer Pause gönnerhaft ergänzt:
„Aber Sie können sich ja immer noch entscheiden. Wir werden uns melden.“ Ganz im Bewusstsein, dass Moussard nicht ablehnen würde, hatte er seinen Leibwächter mit einem kurzen Kopfnicken zu verstehen gegeben, Moussard eine Aktentasche zu reichen. Dann waren beide wort- und grußlos durch eine Seitentür verschwunden. Ein seltsames Bild: vorne ein krummbeinig watschelnder, grauer Zwerg, dahinter der massige, schlürfende, doppelt so große Leibwächter. Moussard war klar, dass er mit der Entgegennahme der Informationen den Auftrag nicht mehr ablehnen konnte. Man würde ihn sonst sofort liquidieren. Wahrscheinlich ist das auch vorgesehen, wenn er den Auftrag erledigt hatte. Das musste er in Betracht ziehen.
Als er eine Stunde später in seinem Hotelzimmer die Unterlagen durchsah, hatte ihn die Art des Auftrags verblüfft, vor allem die Höhe des Honorars. Der Kleine hatte nicht zu viel versprochen. Ein Teilbetrag befand sich bereits in der Aktentasche, dazu schriftliche Anweisungen, Fotos, technische Zeichnungen, Land- und Straßenkarten sowie eine Telefonnummer für Notfälle. Nach gründlichem Einprägen der Details sollte er die Unterlagen vernichten. Moussard hatte gerade überlegt, was zu tun wäre, um nach Abschluss seines Auftrages ungeschoren davon zu kommen, als ihn das Läuten seines Handys hochschrecken ließ.
„Schmidt hier! Übernehmen Sie?“
„Ja, ich erledige das“, hatte er ohne zu zögern geantwortet. Moussard kehrt aus seinen Erinnerungen zurück in die Gegenwart. Es sind nur noch zwei Stationen, bis er den Bus verlassen muss.
* * *
„Nun wird’s aber langsam Zeit, dass Sie kommen, mein Fräulein“, poltert Ernst Ludwig, nimmt die randlose Brille ab und bedeutet Hanna, sich zu setzen. Sein Gesicht ist wie immer gerötet. Der seitliche, rötlich-blonde Haarkranz lässt eine breite Schneise auf seinem Schädel frei. Vom hinteren Haarkranz steht immer ein Büschel Haare wie Antennen senkrecht in die Höhe. Das gibt dem Hauptkommissar ein widerborstiges, keckes Aussehen. Sein rundes Gesicht, besprenkelt mit vielen Sommersprossen, strahlt Freundlichkeit und Ruhe aus. Aber das täuscht. Ernst Ludwig ist nur selten freundlich und ruhig. Alle Kollegen fürchten seine plötzlichen Ausbrüche. Das hat ihm den Spitznamen „Kugelblitz“ eingetragen. Hanna hat in den ersten Tagen mehrmals erlebt, wie er Kollegen zusammenstauchte.
„Was war los?“ fragt er schroff. Hanna beginnt ihren Bericht, dem er scheinbar lustlos folgt. Sie kennt ihn schon so gut, dass sie weiß, dass es nur eine Pose von ihm ist. Er ist ein ungewöhnlich sorgfältiger Zuhörer mit einem hervorragenden Gedächtnis, in das er jedes Wort und jede Kleinigkeit über lange Zeit speichert.
Ludwig unterbricht Hanna, indem er den letzten Satz aufgreift: „… und geht damit zur Bundespolizei!“ Er sagt das leise, betont jedes Wort einzeln, schüttelt dabei voller Unverständnis den Kopf und stöhnt, „das ist ja unglaublich.“
Hanna lässt sich durch diese Kritik nicht beirren. Als sie zum Abschluss ihrer Darstellung kommt, entnimmt sie der Plastiktüte die Geldbörse und legt sie vor ihm auf den Schreibtisch, holt auch ihr Tuch hervor, umfasst damit das Bündel Geldscheine und legt die Scheine aufgefächert auf Ludwigs Schreibtisch. Der schaut sich die Scheine an richtet dann seinen Blick auf Hanna. Auf seiner Stirn bildet sich eine besonders tiefe Falte, die meist den Ausbruch seines Ärgers ankündigt. Auch dieses Warnzeichen kennt Hanna bereits, bleibt aber gelassen. Dann entlädt sich das Gewitter, und Ludwig poltert:
„Was soll denn dieser Unsinn? Das is’ ’ne Fundsache, kein Beweismittel. Mädel, nu’ mach’ nicht solche Welle!“, holt Atem und schimpft weiter, „verflucht nochmal, warum haste das Geld nicht einfach eingesteckt!? Der Kerl wollt’s doch nicht. Stattdessen müssen wir uns jetzt mit solchem Mist herumschlagen. Haben sowieso kaum Leute!“ Er wischt sich umständlich mit einem Papiertuch den Schweiß aus Gesicht und Nacken.
„Weil ich Polizistin bin! Außerdem steckt mehr dahinter, und das gehört aufgeklärt.“ Sie sagt das ganz ruhig und bestimmt und spürt, dass ihm ihre Antwort gefällt, er sich aber nicht anmerken lassen möchte.
„Ha, ha, weil ich Polizistin bin“, äfft er sie in hoher Stimmlage nach, die er beim nächsten Satz wieder absenkt:
„Mensch Hanna, das müssen Sie doch erst noch werden!“ Er fährt seine Stimme erneut hoch:
„Weil mehr dahinter steckt, dass ich nicht lache“, dann wieder im normalen Tonfall, „da ist wohl die berühmte weibliche Intuition am werkeln!“
Hanna hat diese in Wellenbewegung vorgetragene Maßregelung ruhig über sich ergehen lassen.
„Es wäre ein Beweismittel, wenn das Falschgeld wäre, Herr Ludwig. Wenn man Fingerspuren auf den Scheinen fände, könnten diese uns zu der besagten Person führen“, entgegnet sie ruhig und freundlich. Hanna bemerkt, dass Ludwig plötzlich aufmerkt und wachsam wird. Offensichtlich hat auch er nicht an diese Möglichkeit gedacht, wie zuvor die beiden Bundespolizisten. Ludwig antwortet nicht, wischt sich wieder den Schweiß von der Stirn. Es ist wirklich sehr warm im Büro. Dann starrt Ludwig sie mit etwas verengten Augen an. Es ist aber eher ein Durchsiehindurchblicken. Er scheint konzentriert nachzudenken. Beide schweigen. Nur der alte Ventilator brummt rhythmisch, schafft mit seinem schwachen Luftstrom keine Abkühlung, ist nur laut. Dann, ohne auf ihr Argument einzugehen, fragt Ludwig plötzlich:
„Und Sie meinen, es handele sich um einen Ausländer?“ Jetzt wirkt er sanft und zugewandt. Hanna ist erleichtert.
„Ja, das glaube ich, weil er ‚merde‘ ausgerufen hat. In einer Schrecksituation wird man vermutlich in seine Muttersprache verfallen. Wenn das stimmt, dann muss es jemand aus dem französischen Sprachraum sein.“ Ludwig murmelt ein paar unverständliche Worte.
„Geht uns das etwas an?“, fragt er weiter, ohne sie anzuschauen, beantwortet dann aber wie im Selbstgespräch seine eigene Frage, „hm, sieht wohl so aus. Na, meinetwegen. Wird sowieso nichts dabei herauskommen“, stellt er brummig fest. Jetzt fixiert er Hanna mit seinen kleinen, hellen Augen mit den kurzen blonden Wimpern und sagt eindringlich leise:
„So, mein Fräulein, Sie kümmern sich um die Sache, es ist Ihr Fall. Ich will jede Woche Ihren Bericht, verstanden? Ihre Observationen mit Jens Hartmann und Auswertungen werden ohne Abstriche weitergeführt, ist das klar, meine Liebe?“ „Glasklar, Chef“, antwortet Hanna, und ihr Herz macht einen freudigen Sprung. Jetzt ist es ihr Fall, mehr konnte sie nicht erwarten. Sie ist sich nur nicht sicher, ob er sie und die Angelegenheit ernst nimmt, oder ob er möchte, dass sie sich an einer aussichtslosen Sache die Zähne ausbeißt.
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