Er lächelte mir zu. „Mit Essen ist heute nichts mehr.“, meinte er. „Ich hab eh keinen Hunger.“, gab ich zurück, doch Mareks nervender Fanklub verlangte nach Essen. „Ich hab euch gesagt, erwartet keine Hilfe!“, meinte Marek. „Jetzt haltet die Klappe, wir wollen schlafen.“
Das hatte gesessen und sofort kehrte Ruhe ein. Ich machte es mir neben dem Feuer so gut es ging auf dem harten, kalten Boden bequem und schlief sofort ein.
Als ich am nächsten Morgen erwachte tat mir alles noch mehr weh von dem harten Untergrund. Scheinbar hatte Marek mir in der Nacht die Decke übergeworfen. Er selbst lag auf dem Rücken mit dem Kopf auf einem Baumstamm und sein Fanklub hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn als Kopfpolster zu missbrauchen – sie lagen alle fünf mit dem Kopf auf seinem Oberkörper und schliefen tief.
Ich raffte mich hoch. Das Feuer war fast ausgegangen, doch mein Magen knurrte und so legte ich ein paar Holzscheite nach und verschwand im Wald. Schnell wurde ich fündig – ein Vogelnest. Die Eltern waren gerade nicht da und im Nest befanden sich vier Eier.
Das musste fürs Frühstück reichen. Ich schnappte die Eier und ging zurück zur Lichtung. Marek war bereits wach und als hätte er es geahnt, hatte er einen flachen Stein über dem Feuer auf zwei Äste gestützt, sodass wir die Eier nur noch auf der heißen Steinplatte aufschlagen mussten.
Die fünf Mädchen schliefen noch, als wir die Eier verputzt hatten und so machten wir uns leise ohne sie auf den Weg, wobei wir jedoch so nett waren, ihnen das Feuer brennen zu lassen.
Nun endlich ohne nervigen Anhang machten wir uns auf in Richtung Osten. Wir gingen relativ zügig und nach etwa zwei Stunden kamen wir an eine Klippe. Wir hielten an. „Wenn wir direkt nach Osten wollen, müssen wir da runter.“, meinte Marek. „Oder wir umgehen die Klippe und verlieren einen halben Tag.“ „Na dann – wozu haben wir ein Seil?“, meinte ich.
Der Abhang war gute zwanzig Meter tief, doch unser Seil sollte lang genug sein. Ehe ich es jedoch aus dem Rucksack nehmen konnte, zog mich Marek zu Boden und deutete die Klippe hinunter. Ich sah sofort, was los war. Am Fuß der Steinwand waren Marco, Flo, Luca und Stefan. „Mann, Marco, wir sind die ganze Nacht durchgelaufen, um diese blöde Klippe zu umgehen! Können wir jetzt endlich mal Rast machen?“, flehte Flo.
„Ja, bitte, ich bin fix und fertig!“, jammerte Luca. „Du pass das nächste Mal gefälligst besser auf!“, fauchte Marco Flo an. „Wenn du dich noch einmal von einem Mädchen verprügeln lässt setzt’s was!“ „Aber Marco, ich kann doch nichts dafür – das war total hinterhältig und überraschend!“ „Klappe halten! Also gut, legt euch hin und ruht euch aus!“
Die vier ließen die Rucksäcke fallen und legten sich im Schatten der Klippe schlafen. „Scheiße!“, flüsterte ich. „Was machen wir jetzt? Warten, bis die da wieder abhauen?“ „Quatsch, wir gehen weiter. Aber leise! Komm mit!“ Er führte mich einige Meter weiter entlang des Abhanges. Zwar waren wir immer noch im Blickfeld der Schlägerbande, doch sie schienen alle tief und fest zu schlafen und so befestigte Marek das Seil an einem Baumstamm. „Marek… Wenn wir da runter klettern, müssen wir das Seil zurück lassen…“
„Ich weiß… Aber ich glaube nicht, dass wir es noch mal brauchen werden.“ „Ich hoffe, du hast Recht…“ „Na dann… Ladies first!“, meinte er und deutete auf das Seil. Ich atmete noch einmal tief durch und machte mich dann an den Abstieg. Bemüht leise, und peinlich darauf achtend, dass ich ja keinen Stein lostrat, der die schlafenden Jungs wecken konnte, stieß ich mich immer wieder von der Felswand ab und rutschte stückweise am Seil hinunter.
Als ich endlich unten angekommen war, gab ich Marek ein Zeichen und er folgte mir – ebenso lautlos. Als er endlich neben mir stand, machten wir uns auf den Weg an Marco vorbei und wieder ins Dickicht des Waldes. Plötzlich blieb Marek stehen und drehte um. „Was machst du?“, zischte ich. Marek schlich sich an Marco heran und ich hielt den Atem an, als er die beiden Kompasse aus den Rucksäcken zog. Genauso lautlos wie er sich angeschlichen hatte, kam er wieder zu mir zurück und grinste. „Das ist die Rache für das, was sie dir angetan haben.“ „Sei nicht blöd, gib die zurück – das bringt nur Ärger.“ Er zwinkerte und steckte die Kompasse ein.
Marco gab ein Schnarchen von sich und das war für mich ein Zeichen, schnellstmöglich zu verschwinden. Der Abstieg über die Felswand hatte uns einiges an Zeit gekostet und die Sonne verschwand langsam hinter den Baumwipfeln und warf einen roten Lichtschimmer über die Waldlandschaft. Mein Magen knurrte. Marek sah mich an.
„Du hast Hunger, oder?“ „Klar.“, meinte ich. „Wir sind seit heute Morgen unterwegs und hatten nichts außer zwei Eiern zu essen…“ Marek sah sich um. „Komm mit!“ Ich folgte ihm und nach kurzer Zeit fanden wir eine Höhle. „Da ist es sicherer als im Freien… Vor allem jetzt, wo Marco hier herumläuft.“ Wir brachten den Rucksack in die Höhle und während ich mich um ein Feuer kümmerte, verschwand Marek im Wald.
Nach einiger Zeit kam er zurück. In den Armen trug er vier Fische, die er auf Stöcke gespießt hatte und nun über dem Feuer anbrachte. „Nimm den Rucksack und komm mit – dort drüben ist ein kleiner Fluss. Wir können was trinken und die Flasche auffüllen, während die Fische braten.“
Ich war begeistert – es lief alles einwandfrei. Die Wildnis war für Marek offenbar keine Herausforderung. Ich folgte ihm zum Fluss und stillte meinen Durst. Dann füllten wir die Feldflasche an und kehrten schließlich zur Höhle zurück, wo der Fisch bereits wunderbar duftete.
Als wir aufgegessen hatten, herrschte vor der Höhle schon tiefste Dunkelheit, nur durchschnitten vom silbernen Schein des Vollmonds. Kälte zog in dieser Nacht über das Land und es begann zu regnen. Ich war heilfroh, dass wir die Höhle entdeckt hatten und uns am warmen Feuer wärmen konnten, doch Marek schien besorgt. „Was ist los?“, meinte ich. „Wir sollten das Feuer heute Nacht besser ausmachen…“, meinte er. „Wieso das denn? Es ist irre kalt!“ „Ich weiß, aber die Höhle ist nicht so leicht zu finden und wenn wir kein Licht haben, ist die Chance groß, dass Marco sie nicht entdeckt, während wir schlafen.“
Ich biss mir auf die Lippen. Natürlich hatte er Recht. Also löschten wir das Feuer und rollten uns im hintersten Eck der Höhle zusammen – Marek warf mir die Decke zu. „Nimm sie, dir ist kalt.“ „Dir nicht?“ Er lachte. „Nein, keine Sorge!“ Ich nahm sie dankbar an und da wir den ganzen Tag unterwegs gewesen waren, schlief ich vor Anstrengung auch sofort ein.
Als ich die Augen aufschlug, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte – eine dunkle Gestalt kniete über mir, ihre kalte Hand auf meinen Mund gepresst. Mit seinen Knien hielt der Unbekannte meine Hände an meine Seiten gedrückt und mit der freien Hand ein Messer an meinen Hals. Ich versuchte, zu schreien und mich zu wehren, doch umso mehr ich versuchte, ihm zu entkommen, umso fester wurde sein Griff und als plötzlich der Mond hinter einer Wolke hervorkam und die Höhle in silbernes Licht tauchte, sah ich seine schattenhaften Gesichtszüge – es war Flo.
Mein Herz raste und Flo beugte sich nun mit seinem Gesicht ganz nah zu mir und flüsterte mir ins Ohr: „Endlich hab ich dich… Du wirst bereuen, was du im Wald mit mir gemacht hast. Du hast mich vor meinen Freunden bloßgestellt… Aber genau deswegen bist du etwas ganz Besonderes… Ein Mädchen wie dich findet man nicht an jeder Ecke…“ Ich spürte, wie seine Lippen sanft meinen Hals berührten und vor Wut und Verzweiflung darüber, dass ich absolut machtlos war, lief mir eine Träne über die Wange.
„Hey, Marek!“, durchschnitt eine Stimme die Dunkelheit und im Höhleneingang standen zwei weitere Schatten – es war nicht schwer zu erraten, wer es war. „Diesmal solltest du nichts riskieren. Wenn du dich einen Millimeter bewegst, ist die kleine Kimmy tot.“ Die rechte Gestalt am Eingang – die sich als Marco herausstellte – knipste eine Taschenlampe an und tauchte die Höhle in einen gelben Schein. Marco ging auf unser ausgelöschtes Lagerfeuer zu und entzündete die Holzscheite erneut mit einem Feuerzeug – natürlich hatte er sich nicht an die Regel gehalten, dass man nichts mitnehmen durfte. Marco wandte sich an Flo. „Wir sind nicht zum Knutschen hier, du kannst später noch immer deinen Spaß mit ihr haben, aber zuerst kommen wir zum Geschäftlichen.“
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