1 ...6 7 8 10 11 12 ...33 Tado blieb nicht der einzige, dem ein solches Missgeschick passierte. Auch die Krieger Akhoums glitten einige Male auf dem nassen Untergrund aus und vermochten sich nur durch das Festklammern an einem der von Spinnen bewohnten Bäume auf den Beinen zu halten, wobei es fast unmöglich schien, eine Stelle zu erwischen, an der die achtbeinigen Tiere nicht hausten. Nur Lukdan entging einem Biss, da er sich vorsichtshalber ein Stück Stoff um beide Hände gewickelt hatte. Yala hingegen war die einzige, die auf dem rutschigen Untergrund überhaupt nicht ins Wanken geriet.
Irgendwann kamen sie schließlich ans andere Ufer des Sumpfes, wenn man es denn so bezeichnen mochte, denn um einen begehbaren Pfad aus festem Boden zu erreichen, mussten sie zunächst auf den aus dem Morast hervorstechenden Steinen und Baumstümpfen ein Stück weit nach rechts gehen. Bald schon fanden sie jedoch auch dort keine Erde mehr vor sich, sondern nur noch ein knöcheltiefes, schlammiges Sumpfbad, aus dem ein übler Geruch hervorging. Wenigstens mussten sie nun nicht mehr hintereinander gehen. Einige Wasserschnecken mit einem sehr scharfkantig aussehenden Gehäuse lebten darin. Mücken umschwirrten sie. Ein Schlammwurm spie geringe Mengen eines gelblichen Sekrets in Tados Richtung, und es streifte seine rechte Hand. Er spürte nichts außer einem unangenehmen Juckreiz. Wenigstens gab es hier keine Spinnen, dachte er bei sich.
Die Krieger aus Akhoum blieben urplötzlich stehen, sodass Tado, der mit Yala trotz des nun breiteren Weges noch immer das Schlusslicht bildete, fast gegen Soaktan geprallt wäre.
„Was ist los?“, fragte Yala. Ihre Stimme klang unsicher.
„Wir müssen das Gebiet der Tümpelschlinger betreten haben“, sagte Lukdan.
„Woran siehst du das?“, wollte nun auch Tado wissen.
„Tümpelschlinger lieben Sumpfspinnen. Sie haben die Grenzen ihres Reichs mit ihnen umgeben, um Eindringlinge aufzuspüren.“
„Wo siehst du hier Sumpfspinnen?“, fragte Yala, und ein zitternder Unterton begleitete ihre Stimme. Lukdan erwiderte nichts. Er deutete nur mit einer seiner Waffen nach oben. Tado folgte der Bewegung und blickte in das etwa sieben Meter hohe Blätterdach hinauf. Ein leichtes Gefühl von Panik überkam ihn. Übelkeit stieg in ihm empor, er empfand Angst und Ekel zugleich. Yala drohte in Ohnmacht zu fallen, sie hielt sich an einer nahen Schlingpflanze fest. Doch keiner von ihnen konnte den Blick abwenden. Über ihnen erstreckte sich ein wahrhaft gigantisches Gespinst, ein Geflecht hunderttausender Spinnennester, so weit das Auge reichte. Nichts war von einem Blätterdach zu sehen, Abermillionen seidener, gräulich-weißer Fäden durchzogen die Bäume. Unzählige Sumpfspinnen unterschiedlichster Größe bewegten sich mit ungeheurer Geschwindigkeit durch den gewaltigen Bau. Ein waberndes, seidig glänzendes, asymmetrisches Netz unfassbarer Größe erstreckte sich ununterbrochen durch den Wald. Die kleine Gruppe stand buchstäblich unter einem Himmel aus Spinnennestern, deren Bewohner sich entweder unermüdlich elegant durch das Gewobene hindurcharbeiteten oder unheilvoll darin lauerten. Ein Leichenpicker verfing sich in dem Gespinst, und sein eben noch zappelnder Körper erschlaffte schon bald unter einer Flut braun behaarter, vielbeiniger Wirbelloser, seine Organe verflüssigten sich in dem Gift der Spinnen und nach wenigen Momenten schon klebten nur noch die fedrigen Überreste und das kalte Skelett des abscheulich aussehenden Tieres in dem weißen Fadengewirr.
„Der arme Vogel“, brachte Yala hervor. Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet. Selbst die Krieger aus Akhoum, die den bisherigen Sumpf eher gelassen hingenommen hatten, schienen nun einen mehr oder weniger großen Schock nicht leugnen zu können. Es bedurfte diesmal keiner Worte, um die Gruppe zum Weitergehen zu drängen. Die Augen unentwegt nach oben gerichtet, bahnten sie sich einen Weg durch den stinkenden Morast. Tados letzte Hoffnung, die millionenstarke Spinnenarmee über ihm würde sich bei dem Nahrungsfang nur auf fliegendes Getier beschränken, wurde zerstört, als er die Überreste eines sicher sechs Meter langen Sumpfkrokodils in dem Gespinst entdeckte. Er fragte sich, wie es dorthin gelangen konnte. Als er seinen Blick für einen Moment abwandte, um sich ein Bild von dem vor ihnen liegenden Weg zu machen, hatte er das Gefühl, als fielen Abertausende Sumpfspinnen auf ihn herunter, er spürte die haarigen Beine, wie sie in ungeheurer Eile über seinen Körper hechteten, sich unter seine Kleidung zwängten und... Er wandte seinen Blick schleunigst wieder zu dem gigantischen Gespinst, von dem sich in diesem Moment tatsächlich einige Dutzend der Tiere abseilten und zwischen den Fünf landeten, sie jedoch nicht angriffen, sondern über den knöcheltiefen Schlamm, durch den sie noch immer wateten, ins Dickicht huschten. eines stand für Tado fest. Er würde hier mit Sicherheit keine Nacht verbringen, lieber ließe er sich persönlich von Herodun die Zunge herausschneiden oder liefe der nahenden Hundertschaft aus Syphora direkt in die Arme. Gedankenversunken fragte er sich, wie all diese Krieger wohl durch diese wahrscheinlich furchtbarste aller Landschaften kommen sollten, aber er fand zunächst keine Antwort, denn vor ihnen tat sich nun eine Lichtung auf (wenn man es denn so bezeichnen mochte, denn in der Tat befanden sich hier nur wenig Bäume, es drang dennoch kaum Licht bis hier her, da sich das grässliche Spinnennest weiterhin über ihren Köpfen erstreckte), sodass seine ganze Aufmerksamkeit für einen Moment auf die dort befindlichen Häuser gelenkt wurde. Mit einem Gefühl von Entsetzen bemerkte Tado, dass auch zwischen den niedrigen, zum Teil von Schlingpflanzen überwucherten Hauswänden seidene Netze gespannt waren. Nur schmale Pfade führten an den Gebäuden entlang, dazwischen erstreckten sich kleinere verschlammte Teiche und seichte Sümpfe.
„Das hier muss ein Dorf sein, das zum Reich der Tümpelschlinger gehört“, stellte Lukdan fest. Auch hier herrschte ein unheilvoller Dunst, der die Sicht einschränkte, jedoch war er nur halb so stark wie im übrigen Wald. Zwei Wesen traten aus einem naheliegenden Gebäude. Sie besaßen eine grüne Hautfarbe, ähnlich wie Goblins, auch mussten sie ungefähr genauso groß wie diese sein. Doch es gab einen gravierenden Unterschied: Die beiden Tümpelschlinger hatten einen übergroßen froschähnlichen Kopf. Graue Umhänge umhüllten sie. Ein etwa zwei Meter langer Speer, der jeweils bedrohlich auf die Fünf gerichtet war und von dem eine dunkelgrüne Flüssigkeit tropfte, diente jedem von ihnen als Waffe. Vorsichtig musterten sie die Ankömmlinge.
„Wer seid ihr? Was verschlägt euch in unser Reich?“, fragte einer der Tümpelschlinger. Er war etwas größer als der andere und seine Stimme schien von einem leisen Blubbern begleitet zu werden.
„Wir kommen aus Akhoum“, erwiderte Lukdan. „Unsere Identitäten sind nicht von Bedeutung. Herodun schickt uns, um euch ein Objekt abzukaufen.“
„Akhoum“, sagte der andere Tümpelschlinger. Er klang röchelnd, so, als befände sich ein halber Fisch in seinem Hals. „Es ist lange her, dass sich Leute aus Akhoum hierher gewagt haben. Lasst uns wissen, was ihr haben wollt. Wir gewähren in diesen Zeiten niemandem einen längeren Aufenthalt.“
„Wir benötigen einen möglichst großen Schild aus dem Metall Ordan“, sagte Giful.
„Sollt ihr haben. Aber es wird euch einiges kosten. Die Erzvorkommen sind selten geworden und das Abbauen wird immer mühseliger. Folgt mir.“
Es hatte wieder der Größere von beiden gesprochen, der sich nun kurz mit seinem Begleiter in einer Tado völlig fremden Sprache unterhielt, er war sich nicht einmal sicher, ob überhaupt Worte aus ihren Mündern kamen oder ob es sich einfach nur um eine Atemübung handelte. Nur eines hörte er ziemlich deutlich: Ekson. Es schien der Name des Kleineren zu sein, während der andere Umdeu hieß. Beide führten die Fünf nun auf einem schmalen Weg zwischen den Hütten hindurch. Diese besaßen eine eigentümliche Form: Wie ein rechteckiger Trichter ragten sie in die Höhe, sich oben immer mehr verbreiternd, und kein Dach schloss sich über den Gebäuden.
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