„Lasst uns dieses Krokodil ignorieren“, meinte Lukdan schließlich. „Es scheint sich nicht für uns zu interessieren, sonst hätte es uns schon längst angegriffen.“
„Das ist ein Trugschluss“, erwiderte Tado, der diese Geschöpfe aus dem Tümpelwald im Tal des Frostes kannte. „Sie verlassen nie ihr angestammtes Gewässer, erst wenn wir es betreten, werden sie uns angreifen.“
„Woher kennst du diese Tiere?“, fragte Giful misstrauisch. „Ich habe sie noch nie zuvor gesehen.“
Tado fing sich einen tadelnden Blick von Yala ein, schließlich hätte er um ein Haar verraten, dass er ein Fremder war, und dann würden ihn die drei Krieger vermutlich auf der Stelle töten und in den Sumpf werfen, wo auch er dann von dem grausigen Vogel bearbeitet werden würde.
„Ich habe mal von ihnen gelesen“, sagte er ausweichend und etwas frustriert darüber, dass er die doch recht eindringliche Begegnung mit dem Sumpfkrokodilen im Tal des Frostes verschweigen musste.
„Du kannst lesen?“, fragte Soaktan, doch es klang keineswegs missbilligend, sondern eher bemitleidend. „So wirst du niemals zum Leibwächter des Statthalters aufsteigen.“
Nach allem, was Tado bisher über diese Leibwächter und die Prozedur, der sie sich unterziehen mussten, gehört hatte, wollte er das auch gar nicht, aber das sagte er natürlich nicht. Stattdessen beobachtete er mit Entsetzen, wie die drei Krieger Akhoums einen Schritt in den Sumpf hinein machten. Offenbar schienen sie seine Warnung nicht ernst zu nehmen.
„Ihr verlangt doch nicht, dass wir da rein gehen?“, fragte Yala plötzlich, als wäre es ein Meer aus glühenden Kohlen.
„Es gibt nur drei Möglichkeiten“, meinte Lukdan ein wenig genervt, aber auch ein Stück weit amüsiert. „Wir könnten zurück gehen und dem feindlichen Heer in die Arme laufen; in dem Spinnenwald hinter uns nach einem anderen Weg suchen, oder diesen kleinen Sumpf hier überqueren.“
„Dessen Ende wir noch nicht einmal sehen können“, fügte Yala hinzu, machte aber gleichzeitig einen Schritt auf den Morast zu.
„Halt uns nicht noch länger auf“, drängte Soaktan. „Das Moor ist nicht tiefer als einen Meter.“
Dies hatte er vermutlich daran gemerkt, dass Teile des Skeletts des Reiguls aus dem Sumpf herausragten, dachte Tado bei sich. Auch er betrat nun erstmals den schlammigen Tümpel. Dieser stellte sich als nicht so zähflüssig wie angenommen heraus, sodass sich das Fortbewegen nicht allzu schwer gestaltete. Aus dem Augenwinkel sah er, dass das Sumpfkrokodil nicht mehr an seinem ursprünglichen Platz verweilte, sondern soeben in den Tiefen des Morasts verschwunden war. Er warnte die anderen und hielt seinerseits den Säbel des gefallenen Syphora-Spähers kampfbereit. Glücklicherweise erwies sich der Sumpf als so verdreckt, dass selbst das Sumpfkrokodil gelegentlich auftauchen musste, um überhaupt etwas sehen zu können. Es schnappte nach Lukdan, was sich als folgenschwerer Fehler erwies: Der Angegriffene warf dem etwa fünf Meter langen Tier einen Ast ins geöffnete Maul und durchstach anschließend den geschuppten Kopf mit einem seiner Säbel. An der gezackten Klinge klebte Blut, als er sie wieder herauszog. Tado registrierte erst jetzt, dass Lukdan offensichtlich Linkshänder war. Oder er hielt es einfach nicht für nötig, seine rechte Hand für einen Gegner wie das Sumpfkrokodil zu verwenden.
Nach diesem Vorfall legten sie den weiteren Weg besonnener zurück, Yala ging seitdem in der Mitte, denn sie besaß, bis auf den Dolch – den sie übrigens irgendwo bei sich versteckt haben musste, denn Tado vermochte ihn nicht zu sehen – keine Waffe. Sie versanken nun fast bis zur Hüfte im Morast, und er hoffte, dass die kleine Schatulle, die er noch immer in der Tasche seines Schwertgürtels aufbewahrte, keinen Schaden davontragen würde. Aus irgendeinem Grund dachte er auch jetzt noch an die Erfüllung seines Auftrags, auch wenn er bisher keine Möglichkeit sah, zurück zu seinem Heimatkontinent zu reisen, denn er wusste nicht einmal, wo genau er sich befand.
Ein weiteres Mal attackierte sie noch ein Sumpfkrokodil, das diesmal Soaktans Axt unterlag, ehe der Boden leicht anstieg und sie schließlich auf einen kleinen Pfad vollends aus dem Tümpel heraustreten konnten. Es war eine trügerische Sicherheit, denn zu beiden Seiten ihres Weges lagen weitere solcher Sümpfe, und nur ein Fehltritt würde ausreichen, um womöglich in einem noch tieferen Morastgebiet zu landen, in dem sie jämmerlich ersticken würden.
Im Moment jedoch befreiten sie sich von einer Vielzahl an Blutegeln und Wasserschnecken, die nach dem Marsch durch den schlammigen Pfuhl an ihrer Kleidung hefteten. Der vor ihnen liegende Teil des Waldes unterschied sich nicht groß von dem hinter ihnen liegenden.
„Hast du nicht gesagt, der Spinnenwald läge hinter uns?“, herrschte Yala Lukdan an.
„Ich habe gesagt, dass hinter uns ein Spinnenwald liegt, aber nicht, dass vor uns keiner mehr zu finden ist“, erwiderte dieser nur amüsiert.
Die Netze der achtbeinigen Geschöpfe waren hier noch umfangreicher, ihre Nester noch größer und die Tiere selbst noch haariger und dicker als zuvor. Und Yala ging dementsprechend noch dichter bei Tado.
Der Pfad führte sie einige Zeit zwischen bambusartigen Gewächsen hindurch, die sich bei näherem Hinsehen jedoch als Schlingpflanzen herausstellten, welche vom Grund der Tümpel emporwuchsen, sich an der zersplitterten Rinde der alten, niedrigen Bäume hinauf wanden und schließlich mit dem Blätterdach verschmolzen.
Irgendwann lag wieder ein breiter Sumpf vor ihnen, den zu durchwaten ihnen jedoch zunächst erspart blieb, denn abgestorbene, algenüberwucherte Stämme und moosbewachsene, nasse und schlammige Steine, auf denen so manche Wasserschnecke lebte, ragten aus dem schlammigen Wasser und bildeten eine Art Übergang. Tado fragte sich bei diesem Anblick, ob sie bei ihrem Rückweg wieder auf die gleiche Weise aus dem Wald gelangen würden. Denn das wollte er auf keinen Fall.
Zögerlich betrat er nun als letzter den ersten Baumstamm. Er war nass und glatt und sank unter seinem Gewicht merklich ein. Die Algen gaben ihm keinen Halt, und er hielt unentwegt Ausschau nach möglichen Gefahren, die sich vom Sumpf her nähern mochten. Einige der grausigen Vögel, von denen sie einen bereits zuvor in der Leiche des verirrten Reiguls gesehen hatten, saßen entfernt auf einer winzigen Insel im Tümpel und starrten gierig zu ihm herüber. Lukdan nannte sie Leichenpicker.
Tados Inspektion des ihn umgebenden Tümpels stellte sich als folgenschwerer Fehler heraus, denn es trug sich zu, dass er auf dem algenbedeckten Baumstamm mit dem rechten Fuß ausglitt und in den Sumpf zu fallen drohte. Er bekam in letzter Sekunde den zerfurchten Ast eines nahen, im schlammigen Wasser stehenden Baumes mit der linken Hand zu fassen, spürte etwas Weiches, Klebriges, dann mehrere haarige Objekte, die sich an seiner Hand auf und ab bewegten und schließlich registrierte er, dass er mitten in ein Spinnennest gefasst hatte. Diese Erkenntnis wurde von einem leichten Schmerz begleitet, als ihn ein großes Exemplar der Tiere in den Handrücken biss. Ehe er jedoch vor Schreck losließ, gelang es ihm, seinen rechten Fuß auf einen halb aus dem Tümpel ragenden Stein abzustützen, sodass er vor einem Sturz in den stinkenden Morast bewahrt wurde. Hastig rettete er sich zurück auf den Baumstamm, der ihnen noch immer als Pfad diente und schüttelte die restlichen kleineren Spinnen auf seiner Hand ab, die daraufhin im Moor versanken. Anschließend besah er sich die Wunde, die er sich durch den Biss eines der Tiere zugezogen hatte. Sie war kaum zu erkennen.
„Wenn dich eine der Spinnen gebissen hat“, sagte Giful, während er, als er das Ende des Baumstammes erreichte, auf einen nahen Felsen trat, „dann wirst du in ein paar Tagen eine enorme Verletzung sehen können. Sei froh, dass das Gift nicht sofort wirkt.“
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