Die von wuscheligem Fell bedeckten Körper zweier toter Troks federten seinen Sturz ein Stück weit ab, dennoch blieb er zunächst benommen liegen und registrierte nur am Rande, was um ihn herum geschah. Nur noch Yala stand dem gepanzerten Ungetüm gegenüber, das nun versuchte, mit seinen Vorderbeinen nach ihr zu greifen, wohl um sie zu verspeisen, doch seine Bewegungen waren zu langsam und zu vorhersehbar. Bald schon wurde es wütend, und setzte seinen Körper ein, um sie zu rammen. Die metallene Panzerung fügte den Häuserwänden, gegen die das Insekt prallte, zum Teil schwere Schäden zu. Irgendwann vermochte Yala den wutentbrannten Angriffen nicht mehr auszuweichen und wurde zwischen der Mauer eines niedrigen Gebäudes und der Schulter des Wesens eingeklemmt.
„Tado“, brachte sie keuchend hervor. „Hilf mir.“
Tado hörte dies nur schwach, doch die Worte gaben ihm für einen Moment neue Kraft, und er unterdrückte den schier unerträglichen Schmerz, der sich aus der recht großen Wunde an seinem Bauch durch seinen ganzen Körper zog. Unsicher stand er auf, brachte den Säbel, der ihm bei seinem Sturz entglitten war, wieder an sich, und wankte einige Schritte auf die Kreatur zu. Mit aller Macht führte er einen Hieb gegen eines der Beine aus. Die Klinge durchtrennte die Extremität nicht vollständig, doch das Wesen gab einen hohen, röchelnden Laut von sich und stapfte einige Schritte zurück, wobei die halb abgetrennte Gliedmaße umknickte und leblos über den Boden schleifte. Dunkles Blut tropfte auf die feste Erde. Yala holte einige Sekunden lang Luft, dann ergriff sie das Horn der Bestie, zog sich daran hoch und benutzte das halb geöffnete Maul als Trittstufe, um sich auf die metallenen Platten zu schwingen, die den Rücken des riesigen Insekts bedeckten. Die Kreatur bäumte sich auf, vermochte sich aber nicht der Angreiferin zu entledigen. Yala holte ihren Dolch hervor und stach ihn bis zum Heft in einem schmalen Spalt zwischen Kopf und Panzer. Das Monster gab einen letzten hohen Laut von sich, schleimiges Sekret floss ihm aus dem Maul, das beschädigte Bein brach vollends ab und es stürzte schließlich leblos zu Boden, nur wenige Handbreit davon entfernt, Tado unter sich zu begraben.
Dieser richtete sich langsam auf. Seine Wunde blutete recht stark, aber sie tat nicht weh, solange er nicht hinsah oder sie versehentlich berührte. Viel mehr schmerzte seine linke Hand, auf der sich der Spinnenbiss nun zu einer schwarzen Blase entwickelt hatte, die sich über nahezu seinen gesamten Handrücken erstreckte. Yala saß noch immer auf dem Ungeheuer und versuchte, ihren Dolch aus dessen Körper zu ziehen.
„Was ist das für ein Ding?“, fragte Tado, obwohl er keine Antwort erwartete.
„Ein mittelgroßer Ogerkäfer aus den Ebenen Skuliens“, entgegnete sie, während es ihr endlich gelang, ihre Waffe wieder an sich zu bringen. Eine kleine Blutfontäne schoss hervor und Yala kippte vor Schreck mit einem leisen Aufschrei nach hinten und fiel von dem gepanzerten Wesen herunter. Sie richtete sich relativ schnell wieder auf. In diesem Moment stießen Soaktan und Lukdan zu ihnen.
„Habt ihr das ganz allein getan?“, fragte Letzterer erstaunt, wobei er auf die Leiche des Ogerkäfers deutete. Tado bejahte dies mit hörbarem Stolz, obwohl er nicht den entscheidenden Anteil geleistet hatte.
„Wo sind Giful und der Schild?“, fragte Soaktan beunruhigt und seine Antwort übergehend.
Die beiden Bezwinger des großen Insekts deuteten auf einen entfernten Haufen von Gebäudebruchstücken am Rand der Straße und ziemlich dicht am Schlachtfeld des sich langsam beruhigenden Kampfes zwischen den Verteidigern aus Akhoum und der Trokhorde. Letztere schienen glücklicherweise zu unterliegen. Giful lebte noch, der Aufprall schien ihn nur bewusstlos gemacht zu haben, denn er richtete sich langsam auf und prüfte zunächst, ob der Schild aus Ordan noch unversehrt war und ging dann zu den anderen hinüber.
Sie begaben sich schließlich wieder in Richtung der Burg, wo sie hoffentlich auf Uris treffen würden. Der Ogerkäfer, wenngleich tot, schien sowohl bei den Angreifern als auch bei den Verteidigern für Respekt zu sorgen, denn offenbar wagte es niemand, sich ihm zu nähern, sodass die Fünf eine Zeitlang unbehelligt durch schmale Gassen ihrem Ziel immer näher kamen. Als sie nur noch wenige hundert Meter von der Festung trennten, erblickten sie vor sich plötzlich eines der großen geflügelten Wesen, die noch immer in unregelmäßigen Abständen kleine Gruppen der Belagerer in die Stadt brachten. Dieser Teil Akhoums - sie befanden sich, nachdem sie vom Nordtor aus zunächst in das Zentrum gelaufen waren, nun wieder in der Nähe der nördlichen Mauer - schien von jeglichen Angriffen bisher verschont geblieben zu sein, und so befanden sich auch keine Verteidiger in diesem Gebiet. Wenn die Truppen, die dieses Wesen brachte, hier landeten, käme das einer Katastrophe gleich. Sie könnten ungehindert in die Häuser eindringen und die wehrlosen Bewohner abschlachten.
Die geflügelte Kreatur, deren Gefieder an einigen Stellen unterbrochen war, sodass es den Blick auf einige im Licht der an manchen Orten brennenden Gebäude grünlich schimmernde Hautfetzen freigab, steuerte einen kleinen Platz in der unmittelbaren Nähe der Fünf an. Sie beschleunigten ihre Schritte, um den Ort vor den Leuten aus Syphora zu erreichen. Das fliegende Wesen setzte zum Landanflug an, und Giful schoss einen Pfeil ab. In der Dunkelheit konnte ihn die Kreatur nicht sehen, der Schlachtlärm übertönte das surrende Geräusch und der Gleitflug, in dem sie sich befand, verursachte keine Luftwirbel, sodass das Geschoss diesmal sein Ziel traf. Es durchbohrte das Auge der Bestie, die daraufhin einen krächzenden Laut von sich gab und wild mit den Flügeln zu schlagen begann. Auch die nächsten zwei Pfeile trafen, allerdings nicht so genau wie der erste, und der Schmerz veranlasste das vogelartige Wesen dazu, den Baumstamm, den seine gewaltigen Klauen umfassten, fallen zulassen. Die hölzernen Verschläge schlugen krachend auf dem Boden auf, und die Insassen würden den Sturz wohl nicht überlebt haben. Die gefiederte Kreatur erhob sich weiter in die Lüfte, doch es bereitete ihr große Mühe. Ein vierter Pfeil fand sein Ziel. Yala hätte Giful unterstützt, doch ihr Bogen war während des Kampfes mit dem Ogerkäfer zerbrochen. Erst als ein fünftes Geschoss den rechten Flügel durchschlug, segelte das Wesen zu Boden und begrub die Truppe aus Syphora unter sich. Einige spitze Holzbohlen, von den Verschlägen der abgestürzten Truppen stammend, zerfetzten den Körper der Bestie beim Aufschlag. Tado konnte sie nun genauer erkennen, denn einige Verteidiger hatten sich nach dem Lärm des Aufpralls auf den Weg hierher gemacht, und im Schein ihrer Fackeln sah er die falkenähnliche Gestalt des Flugwesens in groben Konturen. An den Enden der Flügel und am Schwanz befanden sich einige mehrere Meter lange, schlanke Federn, Kopf und Rücken zierten einige hornartige Auswüchse. Die Kreatur war tatsächlich etwa halb so groß wie ein Drache.
„Was ist das für ein Wesen? So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagte Soaktan verwundert.
„Ich glaube nicht, dass es aus Syphora stammt. Die Gravur auf seinem Schnabel ist das Wappen Telkors“, bemerkte Lukdan. Tado horchte auf. Telkor - der Heimatkontinent des Lords des Feuers. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die anderen sich wieder in Bewegung setzten und er sich beeilen musste, ihnen zu folgen.
Als sie endlich vor dem kleinen Hügel standen, der zur Burg hinaufführte, tat sich ihnen jedoch ein ganz anderes Problem auf. Hunderte Krieger aus Syphora, ebenso viele Troks und auch einige Ogerkäfer lieferten sich auf der steilen Treppe, die den einzigen Zugang zur Burg darstellte, einen erbitterten Kampf mit den Verteidigern. Nahezu ununterbrochen traf Verstärkung ein für die zahlenmäßig ohnehin überlegenen Belagerer.
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