Die reformatorischen Einsichten auf mein »Tun und Machen« anzuwenden, habe ich als Autor mir nicht nur für dieses Buch vorgenommen, sondern auch für mein Leben als Ganzes. Es ist wirklich eine vielversprechende Herausforderung. Immerhin hat sich unglaublich ausgewirkt, was mit jenem Bruder Martinus damals begann. Man kann also keineswegs sagen, dass der Verzicht auf die Machbarkeit des Christseins und des Glaubens ohne Folgen bleibt und nicht konkrete Gestalt gewinnt. Im Gegenteil!
Zurück zu unserer Frage: Ist Glauben machbar?
Nein, der Glaube ist nicht machbar. Er ist ein Geschenk Gottes. Wir empfangen ihn immer wieder neu durch Gottes Eingreifen. Soviel mag hier genug sein.
Und doch: Ja, das Geschenk des Glaubens will empfangen und »ausgepackt« werden. Folglich bin ich doch wieder beteiligt und sitze nicht tatenlos daneben. Insofern ist Glaube ein aktiver Vorgang, an dem ich mit Denken, Fühlen und Handeln beteiligt bin. In »Mit Denken« habe ich darauf ein ganzes Kapitel verwandt – hier nur soviel:
Für die Gemeinschaft mit Gott entscheide ich mich. Sie kommt nicht über mich und nimmt ungefragt von mir Besitz. Nein, Gott will gewollt sein, will meine Einwilligung und mein persönliches »Ja« zur Nachfolge.
Entscheidungen beginnen im Kopf, manchmal auch im »Herzen« – aber ohne handfeste Konkretionen bleiben sie wirkungslos. Ohne konkrete Umsetzung ist es, als hätten solche Entscheidungen niemals stattgefunden.
Sehr schön sichtbar wird dieser Zusammenhang fast täglich in den politischen Debatten. Klimapolitik in der Theorie ist nichts wert. Da gehen Jugendliche zu Recht auf die Straße. Nur konkretes Handeln zeigt Wirkung. Nur handfeste Gesetze und Investitionen belegen die Entscheidung der Politiker für den Klimaschutz.
Jetzt wird es in der Übertragung dieser Einsicht spannend: Wie sehen Konkretionen des Glaubens aus? Woran merkt man, dass sich jemand für Jesus Christus entschieden hat und »Allein durch Jesus«, »Allein aus Gnade« und »Allein aus Glauben« lebt?
Spätestens jetzt kommt die Bibel wieder ins Spiel. In ihr finden wir die Geschichte Gottes mit seinen Menschen und deren Interpretation durch viele verschiedene Zeugen. Das Neue Testament ist die einzig brauchbare Quelle, die wir zur Person Jesus Christus und über seine Lehre und Wirksamkeit haben. Somit kann die Bedeutung der biblischen Texte gar nicht groß genug eingeschätzt werden. Sie sind das Maß aller Dinge – gerade auch deshalb, weil wir darin die Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes finden und diese erlösenden und entlastenden »Soli« (»Allein«).
Es geht jetzt um den Zusammenhang Geschenk und Handeln. Es geht nicht um das Verständnis der Bibel als Gottes Wort und auch nicht darum, was wie und wann von wem aufgeschrieben wurde. Nein, jetzt suchen wir nach Orientierung bei der Frage nach dem Verhältnis von beschenkt werden und dem aktiven Annehmen dieses Geschenkes. Viele Theologen würden nun eine lange Diskussion oder wohl eher einen Vortrag zum Verhältnis von »Gesetz und Evangelium« beginnen. Ich will mir und Ihnen solch komplizierte (und manchmal auch wirkungslose) Darlegungen ersparen.
Eine Bibelstelle mag dieses Thema erhellen. Im Epheser-Brief hält Paulus Fürbitte für die Gemeinden (Eph. 3,14-21).
Er bittet Gott um »Kraft und Stärke am inwendigen Menschen.« Das also möge Gott schenken und bewirken (V. 16). Paulus appelliert nicht an die Epheser: »Habt Kraft ...« Nein, Paulus weiß, dass nur der Heilige Geist Lebenskräfte freisetzt.
Als nächstes bittet Paulus Gott um Glauben in Ephesus und um Herzen, die in der Liebe verwurzelt (V. 17). Auch da wendet er sich an Gott und nicht an die Epheser. »Glaubt endlich! Seid in Gott und in der Liebe verwurzelt!« Solche Imperative richtet Paulus nicht an die Christen aus den Gemeinden in und um Ephesus. Nein, für »Glauben« und »Verwurzelung in Gott« sind nicht wir Menschen zuständig, sondern Gott allein.
Weiter bittet Paulus Gott, den Ephesern Erkenntnis zu schenken, damit sie die Fülle Gottes wahrnehmen (V. 19). Auch dies erwartet der Apostel von Gott, nicht von den Ephesern.
Zuständigkeiten klären
Es ist spannend, die Bibel einmal daraufhin zu lesen, was Gott tut und was die Menschen zu tun aufgefordert sind. Würden wir dies etwas sensibler beachten, würden wir vermutlich einerseits sehr entlastet leben können – andererseits auch genauer wissen, was zu tun ist und wofür wir verantwortlich sind. Die Zuständigkeiten wären geklärt.
Ich nenne einmal ein paar Beispiele, beginnend mit denen aus dem Epheserbrief: Kraft, Glauben, Liebe, Erkenntnis – das alles sind Geschenke Gottes und dafür ist ER zuständig. Deshalb richtet sich die Fürbitte an Gott.
Doch schon gleich nach dieser Fürbitte wird Paulus sehr deutlich mit seinen Aufforderungen an die Gemeinde.
Liebe ist Geschenk. Sich vertragen, Demut, Sanftmut – das ist eure Aufgabe. Das nimmt Gott euch nicht ab (Eph. 4,2)!
Die Gemeinde ist ein Leib. Diese Einheit ist Gabe Gottes. Er allein hat sie gemacht. Und nun seid ihr dran: Einander annehmen, einig werden und mit verschiedenen Gaben zusammenarbeiten ist eure Sache! Das erbittet Paulus nicht von Gott, sondern da fordert er die Christen auf, die seinen Brief lesen (Eph. 4,3f.).
Immer wieder verläuft die Argumentation des Paulus nach diesem Muster: Gott schenkt (dies ist der Indikativ, die Feststellung. Dafür bittet Paulus Gott, bzw. dankt ihm) und nun lebt aus diesem Geschenk, gebraucht es und macht etwas daraus (dies ist dann der Imperativ, die Aufforderung an die Gemeinde). »Sei, was du bist!«, ist Schlüsselsatz des Umgangs mit Gottes Wirken.
Ihr seid »Kinder des Lichtes« (und müsst dies nicht erst werden, auch nicht durch besondere Erkenntnis). Nun verhaltet euch auch so. Jetzt gibt Paulus diverse Anweisungen für ein Leben mit Ausstrahlung (Eph. 5,1-21).
Du bist Kind Gottes (und musst es nicht erst werden!). Nun aber lebe auch so! (Paulus beschreibt ein solches Verhalten dann in den sog. »Haustafeln«, einer Sammlung ethischer Anweisungen an die Gemeinde z.B. Eph. 5,22f.).
Zu sortieren, was Gottes Sache ist – und was unsere, dabei hilft uns die Bibel und gibt gleichzeitig viele Beispiele.
Ich halte solche Unterscheidung für enorm wichtig, hilfreich und entlastend. In allem, was ich in diesem Buch benenne und worüber wir reden: Immer ist zu sortieren, wer wofür zuständig ist. So schützen wir uns nicht nur vor Überforderung und Resignation, sondern wir nehmen auch ernst, was wir glauben: Dass Gott handelt, macht und wirkt.
✪ Gehen Sie doch einmal Ihre Lebensfelder durch und überlegen Sie, was Gottes Sache ist – und wo Sie als Person oder Gemeinde verantwortlich sind (bei Ihren Kindern, in der Partnerschaft, im Gemeindeaufbau, bei gesellschaftlichen Themen usw.).
Gelingt es Ihnen, einmal aufzulisten, was Gottes Sache ist (und wofür Sie dann beten) – und was Ihre und die Ihrer Gemeinschaft (und was Sie dann anpacken)? Ein Gespräch darüber kann richtig spannend werden.
»Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren. Wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden.« (Mt. 16,25)
Erschreckt Sie so ein Satz? Macht Ihnen ein derart konsequenter Ansatz Angst?
Ich könnte das verstehen. Sein Leben erhalten, wer wollte das nicht?! Was tun wir nicht alles, um es zu erhalten? Ärzte, Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Versicherungen ... die Liste von Institutionen, die uns dabei helfen sollen, ist lang. Lebenserhaltende Maßnahmen werden bis zum letzten Atemzug eingeleitet. Genau dies will ich: Mein Leben erhalten. Und das sollte mit der Bindung an Jesus Christus nun anders werden? Als Christ soll ich mein ganzes Leben aufgeben?
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