Ich hatte meine Bedenken, dass Terry es bei diesem Grobian guthaben würde. Vielleicht ist ihm der Hund gerade deswegen davongelaufen. Ich war gespannt darauf, den Mann kennen zu lernen. Und ich legte mir schon einen Plan zurecht.
Der Sonntagmorgen war voller Sonne und Lisa und ich konnten tatsächlich einmal ausschlafen.
„Wir werden uns gemeinsam etwas Leckeres kochen“, sagte Lisa, und kuschelte sich an mich. „Und dann werden wir den Sonntag genießen.“
Lisa sah mich streng an. „Aber wir bleiben zu Hause! Die Fahrten mit dir enden immer in dienstlichen Handlungen.“
„Wir werden zu Hause bleiben, den ganzen Tag. Endlich ein freier Tag!“
Das Telefon läutete. Ich sah auf den Wecker auf dem Nachttisch. Fast Elf Uhr dreißig. Eigentlich war es für dienstliche Mitteilungen zu spät. Was sollte um diese Zeit schon passiert sein, dass man mich brauchte. Auch Lisa schien der Anruf nicht zu beunruhigen. Ich hatte schließlich keine Bereitschaft. Ich schnappte mir den Hörer und erschrak schon bei den ersten Worten, die mir entgegenschallten.
„Spürmann, Sie müssen kommen. Ich verlange, dass der Sachbearbeiter dabei ist!“
Es war die Stimme Wittensteins. Mein Chef schien ziemlich durcheinander, zerstreut konnte man das schon nicht mehr nennen.
„Was ist los? Warum soll ich kommen, Chef? Ich habe heute frei und ein Tag ist schon verplant und zwar komplett.“
Im Hintergrund hörte ich Stimmen, die aufgeregt durcheinanderredeten. Ich musste mich anstrengen, Wittensteins Worte zu verstehen. Und mir fiel Lisa ein, mit der ich heute einen gemeinsamen gemütlichen Tag verbringen wollte.
„Spürmann, wir haben wieder einen Toten! Dieser Verrückte hat seinen dritten Mord begangen!“
Der Mann schleicht durch die Parkanlagen der Klinik für psychisch Kranke in Merzig. Sein Gesicht scheint versteinert, seine Augen sind verengt. Seine Lippen bewegen sich ständig, der Mann scheint mit sich zu sprechen. Ja, es sieht aus, als diskutiere er mit sich selbst und seine Arme rudern entsprechend in der Luft. Er steigt die Treppen zum Klinktor hinauf und geht gezielt den Gang entlang zu den Räumen, in denen die schweren Fälle hinter verschlossenen Türen ihr Dasein fristen.
Niemand hält den Mann auf, denn man kennt ihn hier als ständigen Besucher, der mindestens einmal die Woche nach seiner Mutter sieht.
„Ein Sohn, auf den man stolz sein kann, der seine Eltern noch zu ehren und zu schätzen weiß“. Die Ärzte und Wärter achten den jungen Mann, denn so etwas sehen sie nicht allzu oft. Viele ihrer Patienten sind seit ihrer Einlieferung sich alleine mit ihrer Krankheit überlassen. Niemand besucht sie, obwohl die meisten von ihnen noch Angehörige haben. Doch, wen kümmern Menschen, deren Gehirne ausgelaugt sind, die in fernen Welten leben und die eigenen Lieben nicht mehr erkennen?
Der junge Mann im dunklen Anzug gehört nicht zu ihnen. Er war seiner Mutter zeitlebens eng verbunden und keine Krankheit konnte diese Bindung durchtrennen.
Der Mann bleibt vor dem Zimmer mit der Nummer 232 stehen, überlegt kurz und atmet tief ein. Dann drückt er die Klinke nach unten und tritt ein.
Es bietet sich ihm das gewohnte Bild, das ihn Woche für Woche, Monat für Monat erwartet. Die Frau mit den grauen Haaren ist kaum sechzig Jahre alt, doch sie wirkt uralt. Leid und Krankheit haben ihr Gesicht durchfurcht, doch ihr Blick ist trotz aller Leiden lieblich geblieben und ihre großen Augen blicken wie erwartungsvoll ins Nichts.
Die Frau sitzt im Rollstuhl, der vor dem Fenster abgestellt ist und schaut in die Ferne. Sie hört nicht, dass der Mann ihr Zimmer betritt. Sie hört nie, wenn jemand kommt oder geht. Zu sehr ist sie in ihrer Welt beschäftigt.
Der Mann legt seine Hände von hinten auf die Schultern der Frau und schaut, ihrem Blick folgend, ebenfalls aus dem Fenster, in die Ferne, dahin, wo die Sonne in wenigen Minuten hinter der Erde versinkt.
„Man hat mich betrogen“, flüstert der Mann mit fast geschlossenen Lippen. „Man hat uns um die Rache gebracht. Er ist einfach so gestorben, einfach so, hat mich ignoriert.“ Die Stimme des Mannes wird lauter. „Bald wird es vorbei sein, Mutter. Dann werden alle ihre gerechte Strafe erhalten haben!“ Dann schreit es aus ihm heraus: „Mein ist die Rache spricht der Herr!“
Die Frau sieht in die Ferne, aus dem Fenster, der untergehenden Sonne zu. Sie lächelt. Es ist ein Lächeln aus einer anderen Welt, einer Welt aus Zufriedenheit und Ruhe. Das, was ihr Sohn ihr mitzuteilen hat, nimmt sie nicht wahr. Der Frieden ihrer geistigen Umnachtung enthält ihr das vor, das ihr das wahre Leben unerträglich gemacht hätte.
Es war wieder Wochenende und es war wieder Sonntag, Man hätte meinen können, der Täter habe es darauf angelegt, uns allen, mir, Lisa, den Kollegen, einen Strich durch die Rechnung zu machen, was Familienleben anging.
Wittenstein hatte das einzig Richtige getan, er hatte wieder einmal alle verfügbaren Kriminalbeamten angefordert und eine Krisensitzung einberufen. Während ich von zu Hause mit einem klapprigen Astra zum Tatort fuhr, hatte sich Leni ebenfalls auf die Fahrt zum Tatort gemacht.
„Wir sind kurz vor Zerf“, meldete sich Leni per Handy. „Hast du eine genauere Ortsangabe über den Tatort?“
„Wir treffen uns am Ortsausgang von Zerf in Richtung Hermeskeil, auf der B 407“, gab ich zur Antwort. „Aber, wer ist wir ?“
„Wittenstein hat mir heute einmal jüngere männliche Begleitung verordnet“, scherzte Leni. „Kollege Lessing wird uns unterstützen. Wir treffen uns am Tatort. Bis gleich!“
Na, ja. Ob Wittenstein uns damit einen Gefallen getan hatte, wagte ich zu bezweifeln. Unerfahren, wie er war, würde er uns keine große Hilfe sein. Ich hielt auf dem Seitenstreifen der Bundesstraße, vor der Abfahrt zum Schulzentrum an, um auf Leni zu warten. Kaum zwei Minuten später hielt sie hinter mir. Ich gab ihr ein Zeichen und fuhr los. Hinter der Rechtskurve am Ortsende sah ich in einiger Entfernung Polizeiautos mit Blaulicht. Hier, gerade auf dieser Strecke konnte man nicht vorsichtig genug sein. In den vergangenen Jahren hatte es auf dieser Strecke zahlreiche tödliche Verkehrsunfälle gegeben. Fehlte gerade noch, dass ein Raser in die Ermittlungsgruppe fahren würde.
Ich stellte mein Fahrzeug am Straßenrand ab. Leni parkte gleich dahinter. Bis zu dem Menschenauflauf waren es noch etwa fünfzig Meter. Es bot sich ein ähnliches Bild, wie es sich vom „Tirolerkreuz“ und dem „Lindenstein“ noch in meine Erinnerung eingebrannt hatte. Ein Steinkreuz, unmittelbar an der Bundesstraße, eingerahmt von zwei kräftigen Tannenbäumen, friedlich und nichts sagend, auf den ersten Blick, wäre da nicht das geschäftige Treiben der Kollegen von der Kriminaltechnik gewesen. Die aber verrichteten ihr Arbeit auf der gegenüberliegenden Seite des Kreuzes, doch als ich genau hinsah und die gefesselten Hände bemerkte, das einzige Zeichen dafür, dass sich auf der anderen Seite des Denkmals ein Mensch befand, der auf grausamste Weise zu Tode gekommen war, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.
„Wer ist es?“, fragte Leni leise.
„Ich weiß es nicht. Aber ich würde darauf wetten, dass es ein Gastwirt aus Trier ist.“
„Du meinst, weil die anderen beide auch Gastwirte waren.“
„Ja, genau darum. Es muss da einen Zusammenhang geben.“ Ich streckte den Arm aus und hielt Leni zurück, die zum Tatort eilen wollte.
„Warte, bis die Kollegen fertig sind. Wir können im Moment nichts tun.“
Lessing hatte keine Anstalten gemacht, sich von der Stelle zu bewegen. Offensichtlich wollte er sich den Anblick so lange ersparen, wie es möglich war. Er drehte sich gegen das leise Lüftchen des lauen Sommerwindes und zündete sich eine Zigarette an. Ich sah, dass seine Hände zitterten. Die Sache schien in doch mitzunehmen. Er hatte keine Erfahrung in solchen Dingen, das war es wohl. Ich fragte mich, was er auf seiner Dienststelle in Saarbrücken so gemacht hatte. Innendienst wahrscheinlich, Öffentlichkeitsarbeit oder vielleicht war er der Fahndung zugeteilt.
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