„Hast du die Liste mit den Angeboten?“, fragte Lisa, während sie sich die Bluse zuknöpfte und noch einmal Hand an ihre Frisur legte. Ich nickte. Heute am Samstag, an meinem freien Tag, wollten wir es wieder einmal versuchen und ein paar Häuser in Forstenau besichtigen. Ich hatte mir eine Liste mit fünf Angeboten zusammengestellt und war fest entschlossen, heute zumindest eine Vorentscheidung zu treffen.
Terry sprang vor meinen Füßen hin und her und freute sich darauf, uns zu begleiten. Es war gerade mal acht Uhr dreißig am Morgen. Vor zwei Stunden war ich mit Terry bereits Gassi gegangen, eine Tätigkeit, an die ich mich erst gewöhnen musste. Eigentlich wollte ich an meinen freien Tagen ausschlafen, doch das war seit dem Erscheinen von Terry einfach nicht mehr möglich.
„Ich glaube, wir sollten Terry zu Hause lassen!“ Ich sah zu Lisa hinüber.
„Wir können den Hund doch nicht alleine im Haus lassen. Wer weiß, was der alles anstellt“, wehrte sich Lisa. „Du bist ja ein richtiger Rabenvater!“
„Ich bin überhaupt kein Vater! Aber wir können doch fremden Leuten nicht zumuten, dass wir ihnen einen Hund mit ins Haus bringen.“
„Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd! Die Häuser, die wir heute aufsuchen, stehen leer. Da kann Terry nicht viel anrichten. Du kannst ihn ja an die Leine nehmen.“
„Guut…! Ich nehme ihn an die Leine“, ergab ich mich in mein Schicksal.
Wir schlenderten durch den Ort, der sich um diese Zeit noch sehr ruhig anfühlte. Irgendwo hörte ich eine Kreissäge schreien. Da sägte jemand Holz. Im Juli! Am frühen Morgen! Ausschlafen würde also in der Gegend, aus der ich das Kreischen vernahm, zumindest heute nicht möglich sein.
Terry trottete vor mir her, als hätte er noch nie an einer Leine laufen müssen. Ich musste höllisch aufpassen, um nicht über ihn zu stolpern.
Das erste Objekt, das ich mir ausgesucht hatte, stand am Ortsrand von Forstenau. Es handelte sich um ein kleines Haus mit Kniestock und machte von außen keinen rühmlichen Eindruck. Die Wetterseite war mit Eternitplatten verschlagen, das Dach bestand aus Kunstschiefer, also auch aus Eternit und beides war offensichtlich asbesthaltig, denn das Haus hatte schon einige Jahre auf dem Buckel. Auch Fenster und Türen warteten bereits auf eine Erneuerung.
Das Haus stand frei und hatte rundherum verhältnismäßig viel Platz, ein absolut positiver Aspekt. Aber alles andere?
Ich sah Lisa an. „Für die Entsorgung der Platten und des Dachbelages muss ich sicherlich so viel Moneten hinlegen, wie ich für die Erneuerung zahlen müsste. Ich weiß nicht, ob ich mir das antun sollte.“
Auch Lisa schien hin und her gerissen. „Nur, wenn man viel Eigenleistung in das Haus steckt“, wird es sich rentieren.“
„Und genau das will ich nicht! Kleine Ausbesserungen, okay, kein Problem. Aber jede freie Minute an die Arbeit an einem Haus hängen, nein danke! Und wir haben noch nicht einmal in das Innere gesehen.“
„Willst du es von innen sehen?“
„Nein! Ich habe genug gesehen. Ist gestrichen.“
Mein Handy klingelte. Es war Peters vom Erkennungsdienst, der offensichtlich wieder einmal Bereitschaft hatte.
„Hallo Heiner, wir haben den Pkw von Matthias Meyerfeld gefunden. Meyerfeld, der zweite Ermordete, du erinnerst dich?“
„Meine Demenz ist noch im Anfangsstadium, ich erinnere mich. Und? Wo wurde er gefunden? Wie sieht`s mit Spuren aus?“
„Der Wagen wurde hinter Otzenhausen im Waldgebiet gefunden. Das gleiche wie bei dem Auto von Leyenhofer: Keine Fingerspuren außer denen des Eigentümers, keine Blutspuren. Allerdings haben wir auf dem Boden vor dem Rücksitz einen Knopf gefunden, vermutlich von einer Jacke. Kann allerdings auch Meyerfeld oder einem ehemaligen Mitfahrer gehören. Habe ihn sichergestellt und zu den Akten gelegt.“
„Ich gehe davon aus, der Wagen steht inzwischen auf dem Hof des Präsidiums?“
„Richtig. Kannst ihn dir am Montag mal ansehen. Heute scheint es ja ruhig zu bleiben. Auf dem ‚Steig’ wird wieder Betrieb sein, bei diesem schönen Wetter. Ich glaube, wenn was passiert wäre, dann hätte sich bis jetzt schon jemand gemeldet. Schönes Wochenende noch!“
„War Peters“, klärte ich Lisa auf. „Scheint, wir werden doch noch ein geruhsames Wochenende haben. Lass` uns die Haussuche verschieben. Ich schlage vor, wir fahren irgendwo hin. Und Terry darf mit. Wer weiß, wann wir demnächst wieder diese Gelegenheit bekommen!“
Sein Kopf dröhnt und schmerzt. Heinrich Schröder liegt auf dem Rücken, auf etwas Hartem. Es muss ein Tisch sein, oder etwas Ähnliches, scheint es ihm. Er öffnet die Augen, doch er kann nichts sehen. Er will sich bewegen, doch es gelingt ihm nicht. Irgendetwas hindert ihn daran, seine Arme und Beine zu bewegen.
Langsam kehren die Gedanken zurück in seinen Kopf und mit einem Mal erinnert er sich. Er wollte mit seinem Wagen nach Bernkastel zu einer Geburtstagsfeier fahren. Doch im Parkhaus wurde er überfallen und gezwungen, in Richtung Zerf zu fahren. Hinter der Ortschaft gingen bei ihm plötzlich die Lichter aus.
„Das Kreuz!“, fährt es ihm durch den Kopf. „Der Mann ist verrückt! ‚Das ist dein Kreuz’, hat er gesagt!“ Schröder ist jetzt ganz klar bei Gedanken. „Kalle!“, denkt er. „Kalle und Maathes, sie endeten an einem Kreuz! Soll es mir nun ebenfalls so ergehen? Aber warum? Was habe ich denn getan?“
Schröder versucht sich zu bewegen. Mit Grauen muss er feststellen, dass eine Arme und seine Beine angebunden sind. Nicht aneinander, nicht zusammen. Sie sind vielmehr weit gespreizt, seine Arme und Beine und an irgendetwas festgebunden. Schröder versucht, seine Arme zu sich zu ziehen. Nichts regt sich, außer, dass seine Fesselung in seine Gelenke einschneidet. Es ist kein Seil und auch kein Klebeband, mit dem man ihn festgebunden hat. Das ist etwas Kaltes. „Das sind Handschellen!“, fährt es ihm durch den Kopf. „Vier Stück an der Zahl!“ Sich daraus zu befreien, scheint chancenlos.
Langsam gewöhnen sich seine Augen an die Dunkelheit. Doch erkennen kann er kaum etwas. Es riecht nach Heu und nach Stroh.
„Es muss Nacht sein“, denkt Schröder, denn am Tage würde man durch die Ritzen der Verschläge nach draußen ins Freie sehen können. Ja, es ist Nacht, das weiß er jetzt. Er will sich über die trockenen Lippen lecken und stößt gegen Widerstand. Sein Mund ist zugeklebt. Schröder schmeckt die Klebemasse der Rückseite des Klebebandes und versucht, mit der Zunge dagegen zu halten, um das Band zu lösen, ohne Erfolg. Er gerät in Panik. „Wenn sich nun meine Nase verstopft!“, stellt er sich vor, „dann ersticke ich!“
Schröder beginnt erneut, an seinen Fesseln zu reißen, doch es ist sinnlos, das sieht er sogleich ein.
„Ruhe bewahren!“, denkt er sich. „Nichts übereilen, nicht in Stress verfallen! Es muss eine Lösung geben!“ Noch ist er alleine, sein Entführer scheint sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Schröder versucht, trotz des Pflasters laut zu schreien. Doch er gibt sein Vorhaben sogleich auf, denn er verschluckt sich und hat alle Mühe, bis er wieder normal atmen kann.
„Ich kann mich doch nicht in mein Schicksal ergeben. Verdammt, was soll ich tun?“ Seine Gedanken jagen durcheinander. „Niemand ist hier, der mich aufhalten könnte, aber auch niemand, der mir beisteht. Alleine ist es unmöglich, mich zu befreien“, resigniert Schröder und seine Gedanken sind auf einmal bei Mariele.
„Mein Mariele, ich werde dich nicht wiedersehen!“ Schröder treten die Tränen in die Augen. „Mein Mariele! Ich muss hier raus … ich muss hier raus, egal, wie! Was will der Mann nur von mir?“
Als Schröder seine Augen erneut öffnet, wird er geblendet von den Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne. Der erschrickt. „Ich habe geschlafen!“, schreit es in seinem Inneren. „Verdammt, ich habe tatsächlich geschlafen! Ich habe Zeit vertan. Schröder versucht, sich zu konzentrieren. „Es ist Samstag heute“, stellt er fest. Vielleicht kommt ja doch noch jemand in diese Scheune und findet mich.“
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