„Lissy besucht heute Siggi“, sagte Lauheim. Das da ist eine gute Bekannte von den beiden. Ist aus Waldweiler. Hilft schon seit ein paar Tagen hier aus. Sagen Sie, wie geht es in Ihren Ermittlungen voran? Das sind ja schreckliche Dinge. Sind wir denn hier im Hunsrück überhaupt nicht mehr sicher?“
„Doch, doch, das glaube ich schon! Diese schreckliche Sache, die Sie ansprechen, die hat sich zwar hier in unserer Region abgespielt, aber ich glaube, die Motive liegen an geografisch anderen Orten.“
„Sie wissen also …?“
„Nein, ich weiß eigentlich noch gar nichts, aber ich kann eins und eins zusammenzählen und irgendetwas sagt mir, dass irgendeine Rechnung von irgendjemandem hier bei uns ausgetragen wird.“
Inzwischen hatte die neue Bedienung mir ein Bier gebracht und ich prostete Lauheim und Glasheber zu. Dann wandte ich mich an Lauheim.
„Sagen Sie, als Hobbyhistoriker und absoluter Kenner des Hunsrücks müssten Sie mir doch eine Frage beantworten können. Woraus leitet sich eigentlich der Name ‚Hunsrück’ ab? Ich frage deshalb, weil ich da schon die unterschiedlichsten Erklärungsversuche über mich habe ergehen lassen.“
„Ja, da sprechen Sie ein Thema an“, sagte Lauheim, nachdenklich vor sich hin nickend. „Eigentlich ist die Bedeutung des Namens ‚Hunsrück’ bis heute nicht endgültig geklärt. Erklärungsversuche gibt es allemal zahlreiche. Erstmals wurde das Mittelgebirge im Jahr 1074 in der Ravengiersburger Klosterurkunde erwähnt und zwar unter dem Namen ‚hundesrucha’, wobei wir bei der ersten Version wären“, begann Lauheim zu referieren und das Leuchten in seinen Augen verriet, dass er bei diesen Themen in seinem Element war.
„Hunderücken“, fuhr Lauheim fort, für diese Erklärung spricht, dass im Mittelalter der Name vielfach so gedeutet wurde. Es existieren beispielsweise die Schreibweisen ‚Cynonotus’ aus dem 15. Jahrhundert, was so viel wie großer Hunderücken bedeutet. Oder ‚Dorsum canis’, der lateinische Ausdruck im Jahr 1380 für Hunderücken oder ‚Hondesruck‚ um 1380, also Namen, die einen Hunderücken bezeichnen. Viele Landschaftsformen wurden früher nach Tieren benannt wie Roßrück, Rindsrück, Katzenbuckel und Eselsrück“, steigerte sich Lauheim in sein Lieblingsthema.
Aber es gibt eine weitere Theorie, die besagt, dass der Name ‚Hunsrück’ von dem Volk der Hunnen abgeleitet wurde. Dafür spricht, dass im Volksmund viele keltische Wallanlagen auf dem Schwarzwälder- und dem Osburger Hochwald sowie im Idarwald als Hunnenringe bezeichnet werden.“
Lauheim nahm einen Schluck aus seinem Bierglas und wischte sich über den Mund. „Aber, gerade hier, in unserer Region, will man von diesen Erklärungsversuchen nicht allzu viel wissen. Die hiesigen Heimatforscher, zu denen ich mich natürlich auch zähle, behaupten, dass der Name ‚Hunsrück’ nicht von den Hunnen abgeleitet ist. Das mittelalterliche Wort ‚hun’ bedeutet ‚hoch’. Wir hier in der Region beziehen uns auf die Übersetzung von ‚Hunolgeding’, was so viel bedeutet wie ‚hohe Versammlung’ oder ‚Hunnenring’, ein hoch gelegener Ringwall, wie der bei Otzenhausen, es besteht aber keineswegs Affinität zu dem Volk der Hunnen.“
Lauheim rang nach Luft. „Reicht Ihnen diese Erklärung, oder wollen Sie …?“
„Sie reicht! Aber ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie auf Ihre Deutung keinen Eid schwören würden?“
„Wissen Sie“, sagte Lauheim nachdenklich. „Ich persönlich bin eigentlich froh darüber, dass es verschiedene Deutungen gibt. Solange dies der Fall ist, wird das Thema immer in aller Munde sein und so lange man über den Hunsrück und den Ursprung seines Namens diskutiert, ist unsere Region im Gespräch. Und Gespräch ist Werbung. Und Werbung ist gut fürs Geschäft. Und das Geschäft ist die Vermarktung einer Region. Dazu gehören auch unbedingt Geheimnisse oder Dinge, die nicht endgültig aufgeklärt werden können. Das macht die Sache eigentlich noch attraktiver.“
Dem konnte ich nicht widersprechen.
„Mir ist ein Hund zugelaufen. Ist Ihnen bekannt, ob jemand einen solchen vermisst? Schwarzer Terrier ist die Rasse…glaube ich jedenfalls.“
Achselzucken bei beiden ließ mich das Thema auch sogleich beenden. Ich ertappte mich dabei, dass ich eigentlich froh war, dass sich bis jetzt niemand als Eigentümer von Terry gefunden hatte. Irgendwie war mir der Hund schon ans Herz gewachsen und es wurde mir komisch ums Gemüt, wenn ich mir vorstellte, dass ich ihn irgendwie seinem Eigentümer würde zurückgeben müssen.
Ich bezahlte und ging geradewegs nach Hause, zu Lisa, die noch lange nicht mit mir gerechnet hatte und mich gut gelaunt empfing. Ein paar Pluspunkte konnte ich gut gebrauchen.
„ Ich werde dann mal losfahren. Kommst du mit der Arbeit alleine klar?“ Heinrich Schröder, der Wirt der „Kleinen Kneipe“ im westlichen Stadtteil von Trier schließt die Kassenschublade der Theke und schaut sich in seinem Lokal um.
Bärbel, die einzige Bedienung heute, nickt und ihr langes blondes Haar fällt ihr dabei lose ins Gesicht. Es haben nicht allzu viele Gäste an diesem Freitagnachmittag eingefunden. Es ist ein heißer Julitag und an einem solchen begibt man sich eher ins Schwimmbad, als eine Kneipe aufzusuchen. Die Stammgäste, ja, die sind schon hier. Die sind jeden Tag hier, trinken ihren Viez, ihr Bier mit dem Schnaps dazu und am späten Abend werden auch sie den Weg nach Hause suchen. Dann sind sie meist soweit abgefüllt, dass sich die erforderliche Bettschwere eingefunden hat. Danach werden nur noch vereinzelt Gäste das Lokal aufsuchen. Bärbel, wird es also alleine packen.
Henry, wie Schröder von allen Gästen genannt wird, zündet sich eine Zigarette an und bekommt schon nach dem ersten Zug einen starken Hustenreiz.
„Ich rauche zu viel!“, denkt er. Aber von der Sucht loskommen, in seinem Beruf? Hauptsache, der Laden läuft! Und das tut er in der Regel auch. Er will sich nicht beklagen. Dafür, dass seine „Kleine Kneipe“ nicht im Stadtkern liegt, ist hier schon einiges los. Gut, abgesehen auf Tage wie heute, aber das sind Ausnahmen, die sich an anderen Tagen wieder ausgleichen.
Schröder hat allen Grund, zufrieden zu sein. Auch in privater Hinsicht. Mit seinen fünfundvierzig Jahren hat er mindestens so viel erreicht, wie manch einer, mit dem er groß geworden ist, mit dem er die Schulbank gedrückt hat. Natürlich sind auch Ausnahmen darunter. Franz Meyer war so eine. Schon in der Schule war er als Streber in Verruf geraten und heute hatte er in der Innenstadt eine gut florierende Anwaltskanzlei. Aber sonst? Ja, ihm geht es gut. Schröder möchte mit niemandem tauschen. Gerade vor einer Stunde hat er mit Töchterchen Mariele telefoniert. So nennt er liebevoll sein einziges Kind, das es zu seinem Leidwesen in die Staaten verschlagen hat, der Liebe wegen.
„Meine Mariele!“ Schröder lächelt bei dem Gedanken, dass er seine Tochter in etwa vier Wochen wiedersehen wird. Dann nämlich wird er in die USA fliegen und zwei Wochen in ihrer Nähe verbringen. Eben, am Telefon, hatte sie ihn eingeladen und er hatte sofort zusagt. Was sonst? Wenn sich die Gelegenheit bietet. „Wer weiß, wann ich meine Mariele sonst wieder in die Arme nehmen kann?“
Er wird alleine fliegen, denn seine Frau, von der er seit sieben Jahren geschieden ist, hat alle Verbindungen zu ihm abgebrochen. Er will auch keinen Gedanken mehr an sie und die Vergangenheit verschwenden. Obwohl, die Schuld lag eindeutig auf seiner Seite. Irgend so ein Weiberrock hatte ihn angemacht und er war prompt in die weibliche Falle getreten. Aus, vorbei, erledigt!
Schröder schließt die Registrierkasse und schaut sich ein letztes Mal in seiner Gaststätte um. Dann winkt er Bärbel zu. „Bis Morgen!“ Die erwidert seinen Gruß kurz und kümmert sich weiter um den Kunden, der seine Zeche zahlen möchte.
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