Ich gab Peters die Plastiktüte mit dem originalverpackten Skalpell.
„Ist doch noch neu. Kein Blut, nichts.“
„Mich interessieren die Fingerabdrücke auf der Außenhülle!“
„Wenn es da welche gibt.“
„Das gerade sollst du herausfinden.“
„Okay, ich werde mich gleich dranmachen. Ich sag` dir dann Bescheid.“
„Beeile dich bitte! Ich bin in meinem Büro. Und bedenke, das ist bisher der einzige Hinweis, den wir auf den Täter haben.“
„Ich weiß, auf die … wie hast du eben gesagt? …die Bestie vom Saar-Hunsrück-Steig!“
In unserem Büro wartete Leni bereits auf mich.
„Du wolltest doch die Kollegen in Neuhütten ablösen lassen!“
„Mist, das hatte ich glatt vergessen.“ Ich griff zum Hörer und wählte Wittenstein an. Als ich ihm darlegte, was sich heute in der Nähe des „Tirolerkreuz“ getan hatte, sagte er kurz: „Ich komme“ und legte auf. Kurz darauf stand er in unserem Büro.
„Warum sucht nicht eine Hundertschaft den ganzen Wald ab“, fragte Wittenstein und sah uns vorwurfsvoll an.
„Weil ich glaube, dass derjenige, der in der Hütte dort haust, noch heute wieder zurückkommen wird. Eine andere Bleibe scheint er nicht zu haben. Es sind vier Kollegen vor Ort, mit denen wir ständigen Funkkontakt haben. Womit wir beim Thema wären. Die Leute warten auf eine Ablösung.“
„Die werden sie bekommen, und nicht zu knapp. Wir werden dieses Waldstück rund um die Uhr observieren.“
„ Jetzt observieren die Kollegen schon zwei Tage im Wald von Neuhütten und nichts tut sich.“
Leni sah mich von ihrer Schreibtischseite her fragend an. „Also, ich glaube, der hat Lunte gerochen, 0der? Verwandte besucht der zurzeit sicherlich nicht.“
„Ich verstehe das nicht. Vielleicht war er in der Nähe, als wir sein Lager umgekrempelt haben und hat uns beobachtet. Nicht mal eine richtige Fahndung haben wir ausgeben können. Keine Beschreibung, nichts.“
„Also, was machen wir jetzt? Es ist Freitag und das Wochenende steht an!“
„Feierabend. Ich bin zu Hause zu erreichen, wenn was ist.“
Ich wollte gerade das Büro verlassen, da drängte mich Peters von der Kriminaltechnik zurück ins Zimmer.
„Du darfst raten, was wir auf deinem Spurenträger gefunden haben.“
„Fingerspuren!“
„Falsch!“
„Blutspuren?“
„Wieder falsch!“
„Was denn?“
„Nichts!“
„Wie…nichts?“
„Der vermeintliche Spurenträger war sauber wie ein Kinderpopo. Das ist unnormal. Von der Herstellung des Produkts, in unserem Falle der Skalpelle bis zum Kunden geht jede Ware durch zahlreiche Hände. Ein Fragment von irgendeinem Fingerabdruck hätte darauf sein müssen. Ich sage es ungern. Aber das Teil wurde fein säuberlich abgewischt, alle Spuren vernichtet.“
Das war ein Rückschlag. Selbst wenn der Mann festgenommen werden würde, er könnte behaupten, dass dieses Skalpell und die Jacke, in der es gefunden wurde, einer ihm unbekannten Person gehörte. Gleich wie er es darstellen würde, das Gegenteil müssten wir ihm dann erst einmal beweisen.
Peters legte das Skalpell auf meinen Schreibtisch, und mit einem „dann viel Erfolg“ verließ er unser Büro.
„Das war dann ja wohl ein Schuss in den Ofen“, ließ sich Leni vernehmen. „Hoffentlich fassen wir den Mann bald. Langsam wird mir die Sache unheimlich.“
„Ja, mir auch. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir uns an diesem Wochenende wiedersehen.“
Zu Hause angekommen hatte ich kaum den Haustürschlüssel umgedreht und die Tür geöffnet, kam ein Schatten auf mich zugesprungen und ehe ich mich versah, stolperte ich und fiel zu Boden. Ein heftiger Schmerz in meinem Allerwertesten vermittelte mir, dass ich mir den Steiß geprellt hatte. Schlimmer aber noch war der nasse Waschlappen, der mir mehrfach durch das Gesicht gezogen wurde, und als ich die Augen öffnete, stand er groß und schwarz vor mir und schaute mich mit seinen dunklen Augen an, als täte ihm leid, was er gerade angerichtet hatte. Terry!
Ich rappelte mich auf und Terry wedelte vor mir her und begleitete mich in die Küche, wo Lisa den Tisch deckte. Ich sah, dass sie sich ein Lachen kaum verkneifen konnte.
„Sein Eigentümer hat sich noch nicht gefunden?“, fragte ich überflüssigerweise und ließ mich auf einen Küchenstuhl fallen.
„Hat es sehr wehgetan?“ Lisa kam auf mich zu und gab mir einen flüchtigen Kuss. Das versteckte Lachen war immer noch in ihrem Gesicht.
„Nein, nein, alles okay“, brummte ich. „Bin nur froh, dass ich nicht auf den Hund gefallen bin. Das arme Tier!“
„Terry hat sich doch nur gefreut, dich zu sehen. Was machen deine Ermittlungen?“
„Wenn das so weitergeht, werden es nicht meine Ermittlungen bleiben. Wir stehen vor einem Rätsel.“
Terry hatte sich inzwischen unter dem Tisch vor meine Füße gelegt und schaute mich mit großen Augen von unten her an. Ich schien ihm offenbar noch etwas suspekt, andererseits schien er an mir einen Narren gefressen zu haben.
Ich streifte meinen Schuh vom rechten Fuß und begann, Terry damit zu streicheln. Als habe er nur darauf gewartet, drehte er sich auf den Rücken und genoss die Streicheleinheiten mit geschlossenen Augen, die er ab und zu öffnete, um dankbar brummend in meine Richtung zu sehen.
Während Lisa den Tisch deckte, kreisten meine Gedanken um die beiden Todesfälle. Hatten wir etwas übersehen? Was hatte ein Mann, der in der Wildnis des Hunsrücks ein provisorisches Lager aufgeschlagen hatte, für ein Motiv? Musste er nicht damit rechnen, dass seine Behausung irgendwann gefunden wird? Was war mit dem Skalpell aus der Mehrfachpackung? Wenn er der Täter war, wo müssten wir nach den anderen, den gebrauchten Skalpellen suchen? Fragen über Fragen. Ich fand keine Antworten, keine logischen Erklärungen für all diese Fragen.
Ich brauchte dringend etwas Abwechslung und ich hatte das dumpfe Gefühl, dass das Wochenende noch einige Überraschungen bringen würde. Lisa war nicht begeistert, als ich mich nach dem Abendessen verabschiedete und ins „Hochwaldstübchen“ ging. Auch Terry brachte seinen Unmut über mein Verschwinden zum Ausdruck, indem er sich unter den Tisch zurückzog und mich von unten mit seinen schwarzen Augen her vorwurfsvoll ansah.
Im „Hochwald-Stübchen“ war an diesem Freitagabend schon einiges los. Es war kurz vor einundzwanzig Uhr, als ich die Gasthaustür öffnete und mich sofort nach dem Stammtisch umsah. Dort saßen Kulturfreak Dieter Lauheim und Florian Glasheber, Förster in dieser Region, intensiv in ein Gespräch vertieft. Genauer gesagt bedeutete dies, dass Lauheim erzählte und Glasheber sich mehr an seinem Weizenbier beschäftigte als damit, sich mehr als nötig an dem Gespräch zu beteiligen. Das konnte nur eines bedeuten: Lauheim hatte mal wieder den Tourismus und all das, was man in Zukunft damit noch verbinden könnte, zum Thema und offensichtlich hatte Glasheber seine Ohren auf Durchzug gestellt.
„Darf man stören, oder handelt es sich um eine geheime Sitzung?“
„Ach, unsere Spürnase!“ Glasheber hob sein Bierglas und prostete mir zu. „Setzen Sie sich zu uns! Ich glaube, unser Stammtisch löst sich so langsam in seine Einzelteile auf.“
„Das wollen wir doch nicht hoffen. Warum sollte er?“
„Das fragen Sie noch? Wann waren Sie denn das letzte Mal hier? Ist kein Vorwurf, aber vor lauter Verbrecherjagden ist Ihr Erscheinen hier eben seltener geworden.“
„Was ist mit den anderen? Schaeflein, Hildebrandt…? Wo ist eigentlich Siggi?“
„Ja, Siggi.“ Lauheim nickte vielsagend mit dem Kopf. „Siggi ist in Kur, besser gesagt in der Reha. Hatte wieder einen Herzinfarkt. Lissy sagt, es gehe ihm inzwischen besser.“
Ich drehte meinen Kopf zur Theke. Jetzt fiel es mir auf. Beim Betreten der Gaststätte hatte Lissy mich nicht, wie sonst immer, freundlich begrüßt. Kein Wunder! Hinter der Theke stand nicht Lissy, sondern eine andere Frau, die ich nicht kannte.
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