„Das passt. Es könnte derselbe Mann sein!“
Hinter uns vernahmen wir Motorengebrumm. Es war die von Wittenstein versprochene Besatzung, die ich zu unserer Unterstützung angefordert hatte. Von dem Beifahrersitz kletterte, etwas behäbig, seine Figur ließ da nicht allzu viel Spielraum, Werner Trieschberg, ein Kollege, der kurz vor seiner Pensionierung stand und sich sicher nicht zu diesem Einsatz hier und heute vorgedrängt hatte.
Auf der Fahrerseite zeigte sich erst ein mit Haar-Gel zurück zurückgekämmter Haarschopf, dem dann die Person von Lessing folgte, dem neuen Kollegen, der von Saarbrücken nach Trier gewechselt war. Der Liebe wegen, wie sich Wittenstein ausgedrückt hatte.
„Glauben Sie, dass wir das alleine schaffen? Ich meine, wenn der Mann flüchtet. Ich schlage vor, dass wir Kollegen der Dienststelle in Hermeskeil hinzuziehen. Die könnten das Gelände von unten her abriegeln.“ Lessing sah mich auffordernd an.
Er hatte Recht, dieser Streber. Ich betrachtete Lessing, der sich ein Stäubchen von seinem Revers pflückte und es wegschnippte. Den Blick hatte er voll konzentriert auf gerade dieses Staubkorn gerichtet.
Ich ging zu unserem Fahrzeug und sprach mit dem Wachhabenden der Inspektion in Hermeskeil. Nachdem ich ihm unseren Standort erklärt hatte, versprach er, einige Leute zu entsenden.
„Unauffällig, soweit es geht“, bat ich. Wir machten aus, dass wir in fünfzehn Minuten mit der Suche beginnen würden und teilten dies unserer Truppe mit.
„Wir gehen nicht mit!“, ließ sich Frank Petry vernehmen. „Brauchen Sie uns eigentlich noch? Wir würden gerne weiterwandern.“
„Ja, natürlich, Sie können gehen. Vielen Dank für Ihren Anruf. Gegebenenfalls melden wir uns wieder.“
Die beiden schulterten ihre Rucksäcke und machten sich auf und davon. Innerhalb weniger Minuten waren sie nicht mehr zu sehen und ich gab das Zeichen zum Aufbruch.
Wir fanden auch sofort die Stelle, die uns die beiden Brüder beschrieben hatten. Es handelte sich dabei um einen „Schlehenbaum“. Das war eigentlich kein Baum, sondern eine Ansammlung von Sträuchern, die so hochgewachsen waren, dass sie uns wie ein Baum erschienen, jedoch ohne Stamm. Im Herbst würde es hier jede Menge Schlehen geben und die Sammler würden den „Baum“ in ihrem Erntevorhaben total zerpflücken, um zu vermeiden, dass sie sich an den zahlreichen Dornen verletzten.
Das Innere der Strauchansammlung war ausgehöhlt. Da es ja keinen Stamm gab und die Sträucher sich selbst gegenseitig trugen, war ein Befreien der Inneren Äste kein Problem.
In unserem Fall war da nicht nur ein Hohlraum. Vielmehr hatte jemand in diese freie Stelle einen Verschlag gebaut, aus Ästen, leichten Stämmen und Brettern, die er sicherlich auf irgendeiner Weide vorgefunden hatte. Ich gab Trieschberg und Lessing ein Zeichen und von zwei Seiten näherten wir uns dem Verschlag. Im Tal würden die Kollegen aus Hermeskeil stehen und wenn es einen Flüchtigen gab, dann würden sie ihn in Empfang nehmen.
Vor dem Eingang, ein solcher war es eigentlich nicht, sondern eine Ansammlung von Ästen, die aber so dicht gestellt waren, dass man nicht in das Innere sehen konnte, verständigten wir uns mit Zeichen, zogen unsere Waffen und mit ein paar kräftigen Tritten war der Weg ins Innere der Behausung frei.
Mit gezogenen Waffen standen wir, Rücken an Rücken, mitten in einem höhlenartigen Raum.
Der Raum war leer!
Ich sah mich in der Behausung um, während die anderen drei Kollegen sich damit beschäftigten, die Habseligkeiten, anders konnte man die Dinge in diesem Verschlag nicht bezeichnen, in Augenschein nahmen und durchsuchten.
In der Ecke lag ein Schlafsack, darunter eine Wolldecke und darunter ein großes Stück Styropor. Eine Art Reisetasche enthielt offenbar die notwendigsten Dinge, auf die ein Mensch im täglichen Alltag nicht verzichten konnte. An einem Ast, der in diese Art Baumhöhle hereinragte, hatte der Bewohner seine Oberbekleidung aufgehängt. Ein dünner grauer Anorak, eine zerschlissene Jogginghose, mehrere ungewaschene Hemden und darunter auf dem Fußboden, der aus festgetretenem Gras bestand, ein paar hohe Schnürschuhe. An einem anderen Ast hing ein Rucksack, dem man ansah, dass er nur wenige Dinge enthielt, denn er hing dort lasch und in sich zusammengefallen.
Leni befasste sich gerade mit diesem Rucksack, Trieschberg wühlte in der Schlafstelle herum und unser neuer Kollege, Florian Lessing, hatte sich die Kleidung an den Ästen vorgenommen. Zwischendurch klopfte er an seinem Blazer herum. Offensichtlich hatte sich ein Stäubchen darauf verirrt.
Dann, mitten in der Durchsuchung, kam die Meldung, die uns alle auf dem Absatz umdrehen ließ. Sie kam von Lessing!
„Seht Euch das einmal an!“ Mit Fingerspitzen hielt er einen kleinen Gegenstand hoch. Ein Messer? Ich konnte auf Anhieb nicht erkennen, was es war und ging zu Lessing.
Ich traute meinen Augen nicht. Es war ein Skalpell! Ein Skalpell, noch originalverpackt in einer Hülle, die offensichtlich von einem Mehrfachpack stammte. Man konnte noch die Perforation am Rand erkennen. Diese Art von Skalpellen hatte ich schon des Öfteren gesehen. Bei Obduktionen wurden sie benutzt, um anschließend entsorgt zu werden, so genannte Wegwerf-Instrumente.
Waren wir hier tatsächlich auf der richtigen Fährte? Hatte sich, hier in diesem Verschlag, der Mörder sein Versteck gebaut?
Während ich das Fundstück in einer Plastiktüte verschwinden ließ, sah ich mich nochmals in der Behausung um. Sollten von hier aus die beiden Verbrechen geplant, vorbereitet und ausgeführt worden sein? Das Skalpell steckte in einer Plastikhülle, war also ein guter Spurenträger. Grund, Spuren darauf zu verwischen, hatte der Bewohner dieser Behausung, wenn er denn der Täter war, bisher nicht gehabt. Also konnte uns das eventuell ein Stück weiterbringen!
Mein Blick auf Lessing zeigte mir, dass er innerlich triumphierte.
Die weitere Durchsuchung brachte keine zusätzlichen Erkenntnisse. Was wir jetzt tun mussten, war, schleunigst von hier zu verschwinden, alles wieder so herzurichten, dass der Bewohner keinen Verdacht schöpfen konnte. Ich bat Trieschberg und Lessing, noch einige Zeit in der Nähe der Hütte versteckt Posten zu beziehen. Dann informierte ich die Kollegen der Hermeskeiler Inspektion, die was Waldgelände absicherten und bat sie, zu den anderen zu stoßen, für den Fall, dass es zu einer Festnahme kommen würde.
Leni und ich fuhren zurück ins Präsidium und begaben uns auf direkten Weg zum Erkennungsdienst.
„Kannst du dieses Teil vorziehen, es ist wirklich dringend!“, bat ich Heinz Peters, der an seinem Schreibtisch gerade über einem Mikroskop hing und intensiv irgendetwas beobachtete. „Haben wir oben im Wald bei Neuhütten sichergestellt.“
„Muss das jetzt sein?“, brummte Peters und befasste sich weiter mit seinem Mikro-Tatort.
„Wenn du etwas dazu beisteuern willst, dass wir eventuell heute noch die Bestie vom Saar-Hunsrück-Steig überführen, dann muss es wohl sein.“
Peters hob den Kopf und sah ungläubig zu mir herüber. „Die Bestie vom was…?“
„Du musst Zeitung lesen, lieber Heinz! So stand es im ‚Trierer Merkur’. Die Bestie vom Saar-Hunsrück-Steig. Albert Steiner, Redakteur seines Zeichens in Hermeskeil, hat den Täter so getauft.“
„Dann hätte er gleich Jack the Ripper II. schreiben können.“
„Fragt sich, wer grausamer getötet hat, dein Jack the Ripper oder unsere Bestie?“
„Na ja, immerhin hat der „Ripper“ seine Opfer zerstückelt.“
„Ja, aber da waren die bereits tot.“
„Sagt man.“
„Weiß man. Heute weiß man es. Aber unsere Opfer hat, bleiben wir bei dem Namen, diese Bestie, bei lebendigem Leibe verstümmelt und sie verbluten lassen.“
„Also, was willst du? Zeig mal her!“
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