"Und die anderen?"
"Unwichtig. Sagte ich bereits. Sama ist hier, weil sie die ganze Zeit hinter Rahor herläuft. Es ärgert ihn, dass ich sie eingeladen habe und schon allein das ist mir den Spaß wert. Juta kommt aus der Stadt, er ist der Sohn des Schmieds und er hat mir ein paar Mal einen Gefallen getan. Außerdem kennt er Afnan gut und sie haben sich lange nicht gesehen."
"Aber Garuel und Rahor sind doch hier, weil du mit ihnen befreundet bist, oder?"
"Befreundet?" fragte Lennys irritiert. "Wieso denn befreundet? Muss ich das sein?"
"Nein, natürlich nicht. Aber du magst sie doch?"
"Sie sind schon in Ordnung. Aber deswegen müssen sie nicht gleich Freunde sein. So etwas brauche ich nicht."
"Und Freundinnen? Was ist mit Sama?"
"Ach die... dummes Ding. Wie gesagt, ich wollte Rahor ein bisschen ärgern, sonst nichts."
Saton wirkte plötzlich etwas verlegen.
"Nun, ich dachte nur..."
"Was?"
"In dieser Burg wird viel geredet, Lenyca. Und manch einer sagt, dass du dich hin und wieder gern mit hübschen Mädchen umgibst."
"Und? Stört dich das?"
"Nein, solange du es nicht übertreibst. Ich dachte nur, es gäbe vielleicht jemanden, den du aus ganz persönlichen Gründen heute gern dabei gehabt hättest. Egal, ob Junge oder Mädchen. Immerhin ist es dein Geburtstag."
"Es gibt niemanden. Eigentlich hätte ich lieber meine Ruhe. Wenn es nach mir ginge, würden wir uns dieses ganze Prozedere sparen und ich würde allein ausreiten."
"Leider kann ich dir diesen Gefallen nicht tun. Diese Menschen hier wollen mit ihrer Aufwartung den Respekt zu dir betonen und es ist wichtig, dass du dich ihnen zu solchen Gelegenheiten zeigst. Eines Tages..."
Ärgerlich winkte Lennys ab. "Ach, komm mir nicht damit. Ich will das nicht. Ich will keine Shaj werden und ich will auch nicht den ganzen Tag in irgendwelchen Versammlungen verbringen. Ich bin eine Kriegerin!"
"Das bist du. Trotzdem ist das Schicksal oft grausam. Wer weiß, vielleicht hat der Große andere Pläne mit dir, aber wir kennen ihn beide gut genug. Er wird dich nicht von dieser Aufgabe entbinden, nur weil du es wünscht. Eher wird das Gegenteil der Fall sein. Aber heute sollten wir nicht davon sprechen."
Das Geplapper um die Festtafel verstummte allmählich, als sich die Gäste den Speisen und Getränken zuwandten und erst als die ersten Teller geleert waren, wurde es wieder etwas lauter. Noch bevor die allgemeine Aufmerksamkeit vollends nachließ, erhob der Shaj sich und sofort herrschte wieder Ruhe.
"Meine verehrten Gäste... ich hoffe, ihr seht es mir nach, dass ich an dieser Stelle nicht jeden Einzelnen namentlich begrüße. Leider ist es meinen beiden Gefährten Ron-Caha-Hel in Askaryan und Maliss in Zarcas nicht möglich, an diesem Tage zu erscheinen. Ihr alle wisst, dass die gegenwärtigen Ereignisse im Sichelland ihre volle Aufmerksamkeit verlangen. Und dies soll auch keine politische Gesellschaft sein. Meine geliebte Tochter Lenyca Ac-Sarr feiert heute ihren sechzehnten Geburtstag. Ich bitte euch, für einige Stunden zu vergessen, dass dies auch der Jahrestag eines schmerzlichen Verlustes ist."
Ein Seitenblick auf Lennys verriet ihm, dass ihre Miene bei diesen Worten wie versteinert wirkte und so gab er sich Mühe, rasch fortzufahren.
"Dies ist ein Tag, der gefeiert und mit Freuden begangen werden sollte. Für einen Vater wie mich ist es ein Segen, eine Tochter wie Lenyca zu haben und ich verrate euch kein Geheimnis, wenn ich sage, wie stolz ich auf sie bin. Seit einigen Wochen ist sie eine wahre 'Gebieterin der Nacht', sie legte die Säulenprüfung mit Bravour ab und wird für viele Kämpfer ein großes Vorbild sein. Dies Lob sei mir gestattet und ich denke, dass nicht nur das getrübte Vaterauge solche Leistungen anerkennt."
Applaus brandete auf und Rahor, Garuel sowie die neun Cas verneigten sich in Lennys' Richtung.
"Viele von euch, die ebenfalls Kinder haben, stehen zu Anlässen wie diesen vor einer schwierigen Frage. Was ist ein angemessenes Geschenk? Was wünscht sich mein Sohn oder meine Tochter? Womit kann ich ihm oder ihr eine Freude machen? Nun habe ich das große Glück, dass Lennys mir ihr Leben lang immer sehr klar zu verstehen gegeben hat, was sie begehrt." Im Hintergrund lachte Wandan und die meisten Anwesenden stimmten fröhlich mit ein.
"Leider wurde Lennys aber auch mit recht viel Intelligenz beschenkt. Leider - nicht, weil ich keine kluge Tochter wünsche, oh nein, aber in diesem Falle macht sie es mir doch recht schwer, sie zu überraschen. Ich weiß natürlich, dass sie ein eigenes Mondpferd möchte, aber Mondpferde lassen sich nicht verschenken. Sie finden ihren Besitzer und manchmal dauert es viele Jahre, bis sich ein solches Tier und sein wahrer Herr begegnen. Ich weiß auch, dass sich mein Kind danach sehnt, ohne Begleitschutz durch die Wälder des Sichellands zu streifen. Aber auch dies kann ich ihr nicht gewähren und alle, die um ihren Schutz bedacht sind, werden darin übereinstimmen. Viele Mädchen in ihrem Alter verlangen nach Schmuck oder Kleidern und glaubt mir, ich täte mir leichter, wenn ich sie damit erfreuen könnte. Doch meine Tochter gelüstet nicht nach Tand und Oberflächlichkeiten, wofür ich im Grunde ja auch dankbar bin. Allerdings erschwert es die Suche. Nun... ich will nicht lange herumreden. Es waren sehr viele Gespräche notwendig, denn ich wollte mit dem Geschenk, das Lenyca von mir erhalten wird, auch niemanden verärgern. Und leider muss ich zuerst einmal euch alle enttäuschen. Denn das, was sie erhält, möchte ich ihr unter den Augen sehr weniger Eingeweihter übergeben. Ihr alle werdet es sehen, aber ich muss euch um Geduld bitten. Lenyca... oder Lennys, wenn dir das wirklich lieber ist, würdest du mir bitte gemeinsam mit Wandan, Bohain und Akosh nach nebenan folgen?"
Die Verwirrung im Saal war groß. Normalerweise wurden bei derartigen Feierlichkeiten die Geschenke öffentlich überreicht und entsprechend bejubelt. Saton musste sich also etwas Besonderes eingefallen lassen haben und zweifellos legte der Shaj Wert darauf, dass daraus kein einfaches Unterhaltungsprogramm gemacht wurde, sondern eine private Zeremonie, die diese Bedeutung noch unterstrich.
Auch Lennys sah recht misstrauisch aus, als sie hinter ihrem Vater den Großen Saal verließ. Den geheimnisvollen Mienen der Begleiter konnte sie nichts entnehmen und sie wollte auch nicht wie ein kleines Kind zeigen, dass eine gewisse Neugier in ihr geweckt worden war.
Saton hatte die Wahrheit gesagt. Er kannte sie. Er kannte ihre Wünsche und noch nie war sie enttäuscht gewesen, wenn er ihr etwas geschenkt oder sie mit etwas überrascht hatte. Bis heute zumindest.
Der Raum, in den er sie führte, wurde nur selten benutzt. Es war nicht viel mehr als eine Kammer, ohne Fenster und nur durch eine einzelne Kerze beleuchtet. Einen kurzen Moment fühlte sich Lennys an das Heiligtum tief in den Kellern der Burg erinnert, und sie hoffte, dass das 'Geschenk' nicht aus einer weiteren Begegnung mit Ash-Zaharr bestand. Doch als ihr Vater zur Seite trat, stand dort keine steinerne Statue, sondern nur ein einzelner Tisch, auf dem irgendetwas lag, das von einem schwarzen Samttuch bedeckt wurde.
Wandan, Bohain und Akosh, die den beiden Ac-Sarrs bislang wortlos gefolgt waren, reihten sich hinter dem Tisch auf. Allen dreien war ein vielsagendes Lächeln gemein, lediglich der junge Waffenschmied Akosh wirkte ein wenig nervös.
"Es gibt viele Dinge, die du dir wünschst." wiederholte Saton nun noch einmal und es klang weitaus feierlicher als seine kurze Rede im Großen Saal. "Aber von all diesen Wünschen sitzen wohl nur wenige tief in dir. Was begehrst du wirklich, aus tiefstem Herzen? Einige Tage der Freiheit womöglich, doch wir beide wissen, dass du sie dir, wenn dieser Drang zu groß wird, einfach nehmen wirst - auf deine ganz eigene Art. Anderes wirst du finden, wenn der rechte Zeitpunkt gekommen bist. Aber es gibt etwas, was man dir geben muss und etwas, was du nicht erzwingen kannst. Etwas, wofür du vielleicht noch zu jung erscheinen magst. Ich habe lange mit Bohain und Wandan gesprochen, wie auch mit den anderen Cas. Sie kommen darin überein, dass du nicht mit den Maßstäben zu messen bist, die sonst Grundlage für die Beurteilung anderer Säbelschüler sind. Ich sehe das ebenso und ich bin dankbar, dass ich - auch wenn ich dein Vater bin - mit meiner Einschätzung nicht alleine stehe.
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