Thomas H. Binder
Das Blut der
Auserwählten
Roman
Thomas H. Binder
Copyright: © 2012 Thomas Binder
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.deISBN 978-3-8442-4244-7
Die Ereignisse in Kurt Powells Leben beruhen ganzheitlich auf keinerlei Tatsachen, sie entstanden aus einzelnen Gedankengängen, Anspielungen, Meinungen, Anekdoten meiner Mitmenschen, aus meinen eigenen und aus äußeren Einflüssen, die in Verbindung mit Inspiration aus Vielen meiner Lieblingsbücher und -filme in eine episodenhafte, und doch chronologische Geschichte zusammenflossen.
Der Protagonist und alle weiteren Charaktere entstanden aus meiner puren Fantasie. Jegliche Ähnlichkeiten zu einer tatsächlich existierenden Person namens Kurt Powell oder anderen Figuren sind rein zufällig und unbeabsichtigt. Weiter habe ich mir bei der Beschreibung diverser Städte gewisse geographische Freiheiten erlaubt, die sie mir hoffentlich verzeihen werden.
Die Umgebung, die Nationalitäten, die Persönlichkeiten und der teils historische, teils hypothetische Verlauf der Geschichte wurden zwar nicht zufällig gewählt, beziehen sich aber auf Menschen jeder ethnischen und nationalen Herkunft und jeder politischen und religiösen Überzeugung.
Diese Geschichte soll die Komplexität von Menschen, die mehrdimensionale – also nicht eindeutige - Darstellung von Gut und Böse und die Entfaltung oder auch Offenheit des Lesers zu neuen Blickwinkeln in Bezug auf bestimmte 'sensible' Themen zur Aufgabe haben - und vor allem die Bereitschaft zu Denken, zu Hinterfragen, Fremdes nachzuvollziehen und Neues zu entwickeln.
Ich danke allen meinen Mitmenschen, Familie wie Freunden, für ihre Unterstützung, Kraft, Liebe und Ehrlichkeit.
Danke für die Offenheit, dem wissensdurstigen Bewusstsein und der Tiefe der weit schweifenden Gespräche, die mich zu diesem Buch inspiriert haben.
Danke Philip, danke Martin, danke allen, die sich nie wegen meiner körperlichen Behinderung abgeschreckt oder unwohl fühlten.
Und am meisten Dank an die Freunde, die mich am Längsten begleitet haben: meine Eltern Elisabeth und Johann, die mehr Freunde als Eltern waren und die auf ewig jung bleiben mögen.
Ohne meine Mitmenschen wäre ich heute niemals, wo ich nun bin.
Thomas Binder
Man konnte die Angst im Raum knistern hören. Genauso stark wie die Aggression. Das Opfer lag gekrümmt vor Schmerzen auf dem Boden. Blut tropfte von seiner Stirn auf den beigen, mittlerweile ziemlich vergilbten 70er-Jahre-Teppichboden in einem winzigen, trostlosen, billigen Zwei-Zimmer-Apartment.
Kurt Powell stand über ihm und hielt einen Siegespokal der Leichtathletik-Mannschaft der High School von Littleton in der rechten Hand, von dem ebenfalls Blut tropfte. Keuchend. Schwitzend. Sabbernd, wie ein scharfer Rottweiler.
Der Pokal war wohl das einzige bedeutende Erfolgserlebnis seines Opfers, Al. Der übergewichtige, unrasierte, alleinstehende, vereinsamte, blutüberströmte Mann stöhnte, noch immer in der Phötusposition liegend, lautstark unter Kurt auf.
Man braucht weniger Kraft um die Schädeldecke eines erwachsenen Mannes aufzubrechen, als ihr jetzt glauben würdet.
Das Opfer versuchte kläglich, seinen letzten Funken an Überlebenskraft zu nutzen, um es seinem Peiniger, den er vor Sekunden noch umarmen wollte, verdammt noch mal heimzuzahlen. Powell sollte für all seine Lügen, seinen grenzenlosen Egoismus, seine Komplexe und seine Schadenfreude büßen.
Wie beurteilt man Gerechtigkeit?
Wer hat das Recht, zu beurteilen, was richtig ist und was falsch? Muss diese Entscheidung immer und für alle Zeit zutreffend sein?
Aber das ist sicher noch zu früh, um Kurt Powell, den Betrüger, zu verstehen. Ganz zu schweigen von Kurt Powell, dem sadistischen Triebtäter.
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Teil 1:
Begegnungen auf der Flucht
„Who you become, is how you're fed.“
Aletheuo (Truthspeaking), DJ Krush feat. Angelina Esparza
„I'm trying to fit it all inside
I'm trying to open my mouth wide
I'm trying not to choke
And swallow it all, swallow it all, swallow it all.“
The Collector, Nine Inch Nails
„Life keeps tumbling
your heart in circles
'til you... Let go.“
In The Deep, Bird York
Kapitel 1: Lernen, Kämpfen und Träumen
Irgendwo in Europa, 2003
Kurt Powell saß allein auf dem Randstein irgendeiner Straße, in einem Land, in dem er nicht ein Wort der Nationalsprache verstand (geschweige denn das Kauderwelsch, das dessen Einwohner die ganze Zeit daher brabbelten). Nicht, dass ihm das viel ausmachte. Er saß dort, balancierte betrunken eine Flasche Bier in der rechten Hand, stützte sich mit der Linken ab, um nicht umzukippen und dachte über sein Leben nach. So viele Erinnerungen.
Damals war er ein Heiliger gewesen, ein Held. Aber niemand hatte seine Taten zu würdigen gewusst. Niemand hatte ihn verstanden, meistens er selbst nicht. Menschen hatten damals geschrien und geweint, aber er hatte sie verändert. Er hatte ihnen etwas Neues gegeben, das sie allein nie an sich bemerkt hätten.
Die Sonne schien ihm ins verbrauchte, gegerbte Gesicht, der Wind presste sich gegen seinen Körper und wehte ihm die letzten grauen Haarsträhnen in die Augen. Er sah den Leuten auf der Straße zu, wie sie an ihm vorbei schlenderten, wie sich Paare umarmten und küssten, wie Kinder lachten. Er beobachtete sie mit einem Lächeln im Gesicht. Einem neidischen Lächeln.
Er war jetzt 53 Jahre alt und fühlte sich allein. Er hatte sich erst einmal in seinem Leben so einsam gefühlt, wie jetzt. Doch er war oft allein gewesen.
Er musste nachdenken. Über sein Leben, seine Familie, seine Frauen. Er war stark gewesen, hatte mit seiner Arbeit Menschen das Leben gerettet und wurde sogar einmal geliebt. Wirklich geliebt. Bedingungslos.
Wann war sein Leben nur in dieses paranoide Wettrennen gegen sich selbst abgedriftet? Was war der Auslöser für den ganzen Schmerz, den er Menschen zugefügt hatte? Für das ganze Blut an seinen Händen? War es sein eigener Schmerz gewesen, den er von anderen zugefügt bekommen hatte? Er wusste es nicht. Aber er würde es bald herausfinden.
Das Leben war schon seltsam. Alles hatte damals so unscheinbar und einfach angefangen...
Los Angeles, Kalifornien, 1959
Kurt Powell war ein ganz normaler, durchschnittlicher, achtjähriger Schüler, wie er in der 4. Klasse einer ganz normalen durchschnittlichen Grundschule in einem ganz normalen durchschnittlichen Vorort einer normalen amerikanischen Großstadt sein kann. Das dachte er zumindest. Man könnte auch sagen, er wünschte es sich in seiner perfekten, rosaroten Kindesrealität, die jedoch sehr bald in sich zusammenfallen sollte.
Kurt war in den USA geboren worden und wuchs dort mit seinen aus Polen emigrierten Eltern auf, die aufgrund des kommunistischen, kompromisslosen Regimes der Sowjetunion mit viel Glück geflüchtet waren. Seine Eltern hatten nie etwas mit der wirtschaftspolitischen Lage ihrer Heimat anzufangen gewusst, doch vermochten sie erst vor neun Jahren genug Geld zusammen zu sparen, um sich die Ausreise aus ihrer Heimat und den Umzug ins Ausland leisten zu können. Die Vereinigten Staaten hatten damals ein Handelsembargo über die gesamte Union verhängt und jegliche Verwaltung wurde dadurch zentral auf Moskau verlagert, was das Sparen nicht gerade leichter machte.
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