Harry Thürk - Der Reis und das Blut

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Kambodschas bitterste Jahre Mitte der 1970er Jahre befindet sich Kambodscha im Bürgerkrieg. Die Roten Khmer haben unter Pol Pot die Herrschaft übernommen und zwingen die Bevölkerung in Arbeitslager, in denen die Zahl der Todesopfer stetig ansteigt. Drei Augenzeugen berichten aus unterschiedlicher Perspektive von ihren Erlebnissen und den unvorstellbaren Zuständen dieser Zeit: Kim Sar, der durch Zufall in die Führungsriege der Roten Khmer gelangte, Ung Phim, der als Soldat Flüchtende über die vietnamesische Grenze schleuste, und Yong Sok, der die Schrecken der Zwangsarbeit am eigenen Leib erfuhr. Harry Thürks 1990 veröffentlichte ebenso spannende wie erschütternde dokumentarische Rückschau auf eines der brutalsten Regimes der jüngeren Geschichte ist nun endlich wieder lieferbar.

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Harry Thürk

Der Reis und das Blut

Kambodscha unter Pol Pot

mitteldeutscher verlag

Im Mitteldeutschen Verlag erhältlich:

Die Stunde der toten Augen (Roman)

Sommer der toten Träume (Roman)

Operation Mekong (Roman)

Der schwarze Monsun (Roman)

Dien Bien Phu. Die Schlacht, die einen Kolonialkrieg beendete (Tatsachenroman)

Harry Thürk (1927 – 2005), geb. in Zülz (heute Biala/Polen), Besuch der Real- und Handelsschule in Neustadt/Schlesien, 1944/45 Wehrdienst, nach dem Krieg Rückkehr nach Neustadt, Internierung in einem Durchgangsghetto für Deutsche, von dort Flucht nach Ostdeutschland. In der DDR Arbeit als Reporter (u. a. Auslandskorrespondent in Korea, China, Vietnam, Laos, Kambodscha), was sich in seiner literarischen Arbeit niederschlug, seit 1958 freier Autor in Weimar. Seine Bücher wurden in polnische, tschechische, slowakische, ungarische, rumänische, russische, finnische, litauische, vietnamesische und spanische Sprache übersetzt.

Editorische Notiz:Im Text taucht häufig der Begriff Angkar auf. Dies ist die Bezeichnung des Führungsgremiums der Pol-Pot-Diktatur in Kambodscha (1975 – 1979). Sinngemäß übersetzt heißt es etwa Revolutionäre Organisation. Nicht zu verwechseln ist dieses Wort mit dem ähnlich klingenden Angkor, dem Namen der alten Hauptstadt des Khmer-Reiches (12. – 15. Jh.).

KAMBODSCHA – Was vorher war

Mit dem Beginn der modernen Zeitrechnung entsteht im Herzen Indochinas das Großreich Fu Nan. Gespeist aus den geistigen Quellen des Hinduismus, aber auch aus der buddhistischen Lehre, blüht eine Kultur auf, deren Hauptgegenstand die Verehrung der Götter und der vermeintlich direkt von diesen abstammenden Könige ist.

Doch dem mächtigen Reich erwachsen Feinde. Ein Vasall ist es, der das Rad der Geschichte im 6. Jahrhundert in Bewegung setzt: Hundert Jahre brauchen Generationen von Kriegern aus dem Norden, um Fu Nan zu zerschlagen. Man nennt sie Kambus, nach ihrem ersten König Kambu, dem ehemaligen Oberpriester, der sich, wie die Legende erzählt, mit der himmlischen Schönheit Mera vermählte, der die göttliche Dynastie ihre ersten Herrscher verdankt. Chen La heißt das neue Reich, das später die Kambujas begründen.

Aber auch Chen La wird bald das Ziel neuer Angreifer. Im fernen Java haben sich mächtige Herrscher entschlossen, ihre Heere nordwärts zu schicken, durch die malaiischen Gebiete hindurch, und weiter, bis sie schließlich ihren Zug mit der Eroberung des noch nicht voll konsolidierten Chen La beenden.

Bald jedoch, nachdem gerade das 9. Jahrhundert angebrochen ist, regt sich im Herzen Indochinas Widerstand gegen die Javaner. Ein junger Prinz führt ihn an, Jayavarman. Er sammelt Soldaten, stellt Heere auf, und es gelingt ihm, die fern von ihrem Stammland operierenden Javaner zu vertreiben.

Noch ahnt niemand, daß es von nun an für reichlich vier Jahrhunderte ein friedliches Reich der Kambujas geben wird – Angkor, so genannt nach der märchenhaft schönen und geradezu gigantisch anmutenden Hauptstadt, die an den Ufern des Großen Sees gebaut wird.

Vier Jahrhunderte vergehen, bis die hohen Steintürme, die prachtvoll ausgestatteten Tempel und Pagoden Angkors, in denen Schiwa ebenso verehrt wird wie Wischnu und Buddha, neue Eroberer anlocken. Vom Westen her rücken die Thai an, vom Osten die Cham. Jahrzehntelange Kriege zermürben Angkor, lassen es verarmen, bis die glanzvolle Metropole schließlich aufgegeben werden muß. Sie wird nicht zum Zentrum der Macht neuer Eroberer, sondern sie versinkt buchstäblich im üppig wuchernden tropischen Dschungel, der sich über ihre Mauern hinweg ausbreitet. Ihre Portale werden von den Wurzeln der Kasuarinen gesprengt; die herrlichen Reliefs der Tempel verschwinden hinter Wällen von wildem Buschwerk und Farn. Die Kambujas ziehen sich südwärts zurück. Gründen am Tonlé Sap, dort, wo der mächtige Mekong, Urstrom dieses Erdteils, sich in viele schmale Flüsse zu teilen beginnt, vor seinem Delta, die neue Hauptstadt Phnom Penh.

Man nennt die Kambujas inzwischen die Khmer. Und diese Khmer bekommen keine Ruhe. Immer wieder tränkt das Blut gefallener Angreifer und Verteidiger die satten Reisfelder, den Laubteppich des Waldes. Siamesische und vietnamesische Herrscher wetteifern in der Eroberung des Landes. Ihre Erfolge sind nicht endgültig, denn die Khmer geben nie ganz auf. Doch sie bluten buchstäblich aus. Zudem verschleißt sich die regierende Dynastie der Norodom in Familienzwistigkeiten, und feudale Besitzer kämpfen gegeneinander, auf dem Rücken der Bauern.

Um diese Zeit – es ist die Mitte des 19. Jahrhunderts – etabliert sich Frankreich als Kolonialmacht in diesem unermeßlich reichen Gebiet der Welt. Der Okkupation der ersten vietnamesischen Provinzen folgt 1863 die Unterwerfung des Khmer-Reiches. Es wird zum »Protektorat«. Französische Forscher haben inzwischen die Ruinen von Angkor entdeckt und durchsuchen sie nun eifrig nach verborgenen Schätzen. Die mit primitiven Waffen unternommenen Aufstände patriotischer Khmer, unter ihnen buddhistische Priester ebenso wie feudale Prinzen, können das Blatt nicht mehr wenden: 1887 wird das Reich der Khmer unter dem Namen Kambodscha Teil der sogenannten Indochinesischen Union, einer französischen Kolonie. Die Ausplünderung des Landes, in dem neben den Khmer auch noch einige andere nationale Minderheiten leben, von denen die eingewanderten Chinesen und Vietnamesen die zahlenmäßig stärksten sind, beginnt. –

Es ist die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Rußland, die dann ein neues Zeitalter einläutet: Ihre Ideen fassen zuerst Fuß im benachbarten Vietnam: Dort greift sie Nguyen Ai Quoc auf, der große Revolutionär, den man später in Europa als Ho Chi Minh kennenlernt. Er organisiert die ersten Schritte des Befreiungskampfes der Völker von Vietnam, Laos und Kambodscha, unter anderem mit der Gründung der Vorläufer einer ersten marxistischen Bewegung in seinem Land. Da die drei indochinesischen Völker das gleiche Los teilen, ergibt sich, daß sie auch gemeinsam kämpfen, einer für den anderen.

1930 wird folgerichtig in Zusammenarbeit der Kommunisten aller drei Länder die Kommunistische Partei Indochinas gegründet. Das Ziel ist die Befreiung vom Kolonialismus im gemeinsamen Kampf, wonach dann jede Nation für sich in freier Selbstbestimmung ihren eigenen Staat errichten soll. Niemand ahnt, daß es fast ein halbes Jahrhundert dauern wird, bis die nationale Selbständigkeit zur Realität wird. –

Von Beginn an erweist sich die vietnamesische Bewegung als die stärkste und konsequenteste. Aber auch in Kambodscha erstarken nach und nach die revolutionären Kräfte. Dabei entstehen Nebenströmungen, wie die Khmer Isserak, von Son Ngoc Minh angeführt, der stets die Verbindung mit den vietnamesischen Befreiungskräften aufrechterhält. Sein eigener Bruder hingegen, Son Ngoc Thanh, sieht sein Hauptziel in der Bekämpfung der kambodschanischen Monarchie, geht immer mehr eigene Wege und stellt sich mit Teilen der Bewegung sogar während des zweiten Weltkrieges den japanischen Besatzern als »Außenminister« und Chef einer Vasallenregierung zur Verfügung, bis ihn die zurückkehrenden Franzosen wieder in den Untergrund treiben.

Die Unterschiede in der nationalen Entwicklung und der Kräftelage in den einzelnen Ländern nach dem zweiten Weltkrieg machen es schließlich erforderlich, die bisherige KP Indochinas aufzulösen; in jedem Land bilden sich unabhängige Befreiungsbewegungen, an deren Spitze nationale kommunistische Parteien stehen. In Kambodscha gibt es nun die Khanak Pak Pracheachon Pakdevoath Khmer, die bereits 1951 gemeinsam mit der laotischen und der vietnamesischen Bruderpartei die Allianz der vietnamesischen Khmer und laotischen Völker bildet, eine die Grenzen übergreifende Dachorganisation mit dem Ziel der Koordinierung des antikolonialistischen Kampfes. Wenig später werden offiziell die Revolutionären Streitkräfte des Volkes von Kambodscha aufgestellt, die unverzüglich den Kampf gegen die Franzosen aufnahmen.

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