Doch zum Ruhen kamen sie kaum.
Saton sehnte sich insgeheim nach seinem kühlen Schlafzimmer in Vas-Zarac und fragte sich, wann er der drückenden Hitze, die dank des sonnenreichen Frühlings im großen Empfangszelt herrschte, endlich entfliehen konnte. Er musste sich beherrschen, dem Bericht der beiden Dunen zu folgen und seine Gedanken nicht abschweifen zu lassen.
„ ...noch etwa zwei bis drei Wochen rechnen. Viel früher sollten wir nicht ablegen, zumal das Wetter draußen auf See noch zu unbeständig ist. Wir liegen also gut im Zeitplan.“ sagte der eine gerade.
Saton nickte geistesabwesend. Im Grunde lief alles zu seiner Zufriedenheit. Sie würden die Sommermonate voll und ganz zum Transport des Silbers nutzen, um dann im Herbst und Winter, der im Süden sehr viel milder war als im Sichelland, die Ritualplätze auf der Insel zu errichten und ein Lager aufzubauen. Alles war von langer Hand und im Detail geplant und sie durften jetzt nicht den Fehler machen und den einen oder anderen Schritt überhastet angehen. Dies den Mitwirkenden dieser Planung klarzumachen, war vielleicht das schwierigste Unterfangen, denn alle brannten darauf, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.
„Und wenn die Schiffe in ein paar Wochen zurückkehren, werden die neuen Lieferungen bereits hier bereitstehen. Spätestens zu Beginn des Halos haben wir alles Silber nach Süden geschafft, bis auf den Teil, der hier wie sonst auch verarbeitet wird.“
„Hmmm...“ machte Saton. „Ihr leistet gute Arbeit. Wollt ihr euch nicht eine Pause gönnen?“
Die beiden Dunen sahen sich überrascht an.
„Eine Pause? Herr, wir sind überhaupt nicht müde! Wir können heute noch die gesamten Lieferungen, die gemeldet sind, verladen und...“
„Tut das. Tut das... Ist Wandan schon eingetroffen?“
„Wandan?“ Verwirrt zuckte einer der beiden die Achseln. „Das... das wissen wir nicht, Herr. Wir sollten euch nur von der Verladung berichten, aber wenn ihr es wünscht, ...“
„Nein... nein. Geht ruhig. Schickt mir Beleb herein.“
„Sehr wohl, Herr.“
Es dauerte nicht lange und ein Cas mit kurzgeschorenem Haar und stoppeligem Kinn trat ein. Sofort suchten die Schreiber und Priester, die sich in einer Zeltecke zusammengesetzt hatten, ihre Habseligkeiten zusammen und ließen den Shaj mit dem Krieger allein. Jeder wusste, dass Saton nicht duldete, dass Gespräche zwischen ihm und den Cas belauscht wurden.
„Wandan wird in etwa einer Stunde hier sein.“ meldete Beleb und ließ sich dankbar auf dem Hocker nieder, den Saton ihm anbot. „Er wurde an den Ställen aufgehalten, aber er beeilt sich.“
„Gut. Du glaubst gar nicht, wie zuwider mir das hier ist. Zwei der wichtigsten Ereignisse überhaupt treffen zusammen und ich sollte beiden meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Wenn ich hier bin, denke ich, dass meine Anwesenheit in den Kasernen viel nötiger wäre. Kehre ich aber nach Semon-Sey zurück, frage ich mich, was an der Küste vorgeht.“
Beleb lächelte.
„An beiden Orten ist man dankbar, wenn du kommst. Aber an beiden Orten wird auch so gute Arbeit geleistet, dass du dir keine Sorgen machen musst.“
„Du kannst einem Herrscher die Sorge um sein Land nicht nehmen, Beleb. Und einem Vater nicht die Sorge um seine Tochter.“
„Ich weiß, was es heißt, die Verantwortung für ein Kind zu tragen...“
Saton nickte.
„Ja, du kannst mich vielleicht am ehesten verstehen. Wie geht es deinem Sohn? Er wird seine Ausbildung bald beenden, nicht wahr?“
Beleb strahlte.
„Ja, noch dieses Jahr. Er ist einer der Besten seines Jahrgangs.“
„Daran gibt es keinen Zweifel. Ein guter Junge. Er wird es weit bringen. Sehr weit. Die Cel-Cahas waren stets eine ruhmreiche Familie und Balman wird es dir gleich tun, da bin ich sicher. Wandan hat ihn bereits für den Rang des Säbelmeisters vorgeschlagen. Du weißt, was das bedeutet?“
„Ich weiß vor allem, dass er unter großem Druck steht. Er denkt, nur weil ich ein Cas bin, würde ich dasselbe von ihm erwarten. Natürlich, wenn er wirklich schon zum Säbelmeister geweiht wird, hat er sehr gute Chancen, eines Tages in die oberste Riege aufzusteigen, das weiß ich wohl. Und er auch. Und ich würde natürlich vor Stolz platzen. Aber ich werde immer stolz auf ihn sein. Selbst wenn er am Ende nur ein Turmposten in Askaryan wird.“
Der Shaj lachte.
„Das wird er sicher nicht. Sogar Haz und Faragyl reden davon, dass er ganz nach dir schlägt. Ich wünschte...“ Plötzlich wirkte er traurig. „...ich wünschte, ich könnte das auch behaupten.“
Beleb klopfte ihm auf die Schulter.
„Saton, mal ganz ehrlich. Niemand in diesem Land hat mehr Grund, stolz auf sein Kind zu sein, als du. Sieh sie dir an. Sie sieht aus wie ihre Mutter. Sie kämpft wie ihr Vater. Und sie trägt das Blut eines Gottes in sich. Das Volk verehrt sie jetzt schon.“
„Mehr als ihr gut tut. Weißt du, vergangenen Sommer hatte ich einmal ein Gespräch mit Wandan. Er meinte damals, sie wäre vielleicht nicht glücklich und ihr Leben sei auch nicht dazu bestimmt, glücklich zu sein. Vielleicht hatte er recht. Oh ja, ich bin stolz auf sie. Sehr sogar. Aber ich glaube nicht, dass sie so ist wie ich. Balman ist dein Sohn, Beleb, und jeder erkennt das. Er ist freundlich, charakterstark und geduldig. So wie du. Aber Lenyca hat sehr wenig von mir, fürchte ich. Und noch weniger von ihrer Mutter. Ich würde mir nie eine andere Tochter wünschen. Niemals. Aber ich frage mich manchmal, warum es so ist. Und ob es meine Schuld ist.“
„Ganz sicher nicht. Aber ich fürchte, ich bin für derartige Fragen der falsche Gesprächspartner. Wandan kann sicher...“
„Es ist der Hauptgrund, warum ich Wandan hergebeten habe. Ich will, dass er mich auf dem Laufenden hält. Und ich gebe zu, dass ich etwas eifersüchtig auf ihn bin. Er wacht über ihre Ausbildung und über ihre erste Zeit in den Kasernen. Ich sollte das tun. Ich. Ihr Vater. Ich sollte an ihrem Leben teilhaben. Aber ich kann es nicht. Einer meiner Diener teilt ihren Alltag, Wandan die Zeit ihrer Ausbildung. Ebenso ihre Lehrer. Und ihre Freizeit verbringt sie nicht etwa mit engen Freunden, sondern mit dem Säbel. Ich wünschte, ich wäre mehr in ihrer Nähe, würde mehr über sie erfahren. Sie besser kennen. Ich beneide dich, Beleb.“
„Das kann ich verstehen. Und sei mir nicht böse, wenn ich dir dieses Kompliment – und es ist eines – nicht zurückgeben kann. Ich beneide dich nicht. Nicht um deinen Rang, nicht um dein Blut und nicht um dein Leben. Höchstens um deine Tochter.“
Er erntete einen misstrauischen Blick. „Versuchst du mir gerade, Balman als passenden Partner für Lennys unterzuschieben?“
„Ash-Zaharr bewahre mich davor! So naiv bin ich nicht, Saton, das weißt du. Und wir – Balman und ich – streben auch nicht danach, auf diese Art dem Thron nahe zu kommen.“ Es klang fast ein wenig beleidigt.
„So habe ich das auch nicht gemeint. Ich könnte wohl ruhiger schlafen, wenn Lenyca anfangen würde, sich für Balman oder einen anderen ehrbaren jungen Mann zu interessieren. Aber das tut sie nicht. Zumindest nicht ernsthaft. Früher dachte ich, Rahor Req-Nuur würde sie reizen, aber seit dieser heimlichen Feier hat sie sich von ihm ferngehalten.“
„Was alle sehr bedauern.“ bestätigte Beleb. „Er kämpft die halbe Kaserne in Grund und Boden. Ich gebe es ungern zu, aber selbst Balman hätte wohl im direkten Vergleich keine Chance gegen ihn.“
„Rahors Zeit wird kommen. Ich beobachte diejenigen, die vielleicht eines Tages meine Tochter beschützen sollen, sehr genau. Und Rahor Req-Nuur wird dazugehören. Das beruhigt mich etwas. Trotzdem gibt es Dinge, vor denen niemand sie bewahren kann.“
„Sie hat das doch recht gut verkraftet, oder irre ich mich? Denk doch nur daran, wie jung sie war. Hast du je ein Wort der Klage gehört?“ Beleb warf Saton einen fragenden Blick zu. „Sie hat es akzeptiert, dass Ash-Zaharr ein Teil von ihr ist. Und sie bewahrt das Geheimnis weit besser als es von einem Mädchen in diesem Alter zu erwarten ist.“
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