„Na, und ob. Saton wird uns beide rauswerfen, wenn er das hier herausfindet. Meinen Vater und mich. Nicht ganz zu Unrecht. Du bist ziemlich egoistisch, weißt du das?“
„Du bist nur sauer, weil ich besser kämpfe als du!“ Sie versuchte, Rahor mit ihrem durchbohrenden Blick zu fixieren, aber sein Bild verschwamm vor ihren Augen und es wollte ihr nicht recht gelingen.
„Nein, das bin ich nicht.“
„Doch, bist du. Willst du es nochmal sehen?“ Ihre Worte klangen nun schon reichlich undeutlich und als sie Anstalten machte, noch einmal aufzustehen, musste sich Rahor nicht sonderlich anstrengen, um sie zurückzuziehen.
„Nichts will ich sehen. Vielleicht solltest du dich jetzt besser schlafen legen...“
„Nein!“ Noch einmal versuchte sie, sich hochzurappeln, doch diesmal gab sie das Vorhaben von alleine auf. Durch die Anstrengung wirkte der Sijak nun noch stärker und sie hielt sich den Kopf. Der Garten schien sich zu drehen.
Für Rahor war dies ein eindeutiges Signal.
„Genug jetzt. Ich hole Afnan, damit er dich ins Bett bringt.“
„Brauch ich nicht! Ich bin kein kleines Kind!“ erwiderte sie trotzig. „Du bist genauso schlimm wie Wandan!“
„Du benimmst dich aber gerade wie...“
„Habe ich da zufällig gerade meinen Namen gehört?“
Die dunkle, wohlbekannte Stimme fuhr Rahor durch Mark und Bein. Er war sich nicht sicher, ob Lennys sie überhaupt erkannte, aber so sehr er die Tochter des Shajs auch mochte, jetzt galt es in erster Linie, an sich zu denken.
„Verflucht, Wandan...“ flüsterte er und sprang auf. „Tut mir leid, Lennys,... wirklich... aber... jetzt muss ich weg...“
Und schon stolperte er durch die Dunkelheit davon. Im selben Moment erhob sich ein gewaltiger Schatten hinter den Rosenhecken auf der anderen Seite und Wandan trat hinter den Büschen hervor.
„He, kein Grund wegzulaufen!“ rief er Rahor nach und lachte dann kopfschüttelnd.
„Seit wann haben deine Freunde denn Angst vor mir? Wer war denn das?“
Er sah zu Lennys hinunter, die immer noch auf der Wolldecke saß und sich mit den Händen abstützte. Zögernd blickte sie zu Wandan hinauf und schien ihn erst jetzt zu erkennen.
Der Krieger legte den Kopf zur Seite.
„Ist irgendwas?“
Sie schüttelte den Kopf, bereute es aber augenblicklich.
„Was ist denn los? Bist du eingeschlafen? Wer war der Junge gerade eben? Es war doch einer, oder?“
Lennys sagte nichts.
Nun wurde Wandan erst recht misstrauisch und kniete sich neben das Mädchen.
„Ist dir nicht gut?“
„Doch doch...“
Wandan stutzte. Er schob eine Hand unter ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen. Auf seinem Gesicht malte sich ein Ausdruck von Ungläubigkeit. Sofort suchte er mit den Augen den Platz ab und es dauerte nur einen Wimpernschlag, bis er die Flasche erspähte, die Rahor fallengelassen hatte.
„Hauch mich an!“ befahl er barsch.
Doch Lennys dachte gar nicht daran.
„Wo hast du dieses Zeug her? Wie viel hast du getrunken?“
„Geht dich nichts an...“
Der Krieger griff nach der Flasche, hielt sie gegen das Licht des mittlerweile aufgegangenen Mondes und stieß einen derben, cycalanischen Fluch aus.
„Das ist doch wohl nicht zu fassen!“ polterte er los. „Das glaube ich einfach nicht! Diesmal bist du zu weit gegangen, junge Dame! Zu weit!“
Er packte Lennys recht unsanft am Arm, zog sie nach oben und machte Anstalten, sie zur nächsten Pforte zu ziehen. Doch schon nach wenigen Schritten merkte er, dass das Mädchen sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
„Das ist ja wohl der Gipfel!“ fuhr er sie an, hob sie hoch und achtete dabei nicht im mindesten auf ihre Protestrufe.
„Na warte, du kannst morgen was erleben! Saton wird aus der Haut fahren, wenn er das erfährt!“
Als die Tür hinter dem Cas und Lennys knallend ins Schloss fiel, kroch Afnan zitternd hinter der Rosenhecke hervor und machte sich daran, die Decke und die leeren Küchenplatten einzusammeln. Die unselige Sijakflasche hatte Wandan an sich genommen.
„Mensch, Afnan...“ zischte Rahor, der ebenfalls in der Dunkelheit verharrt hatte. „Warum hast du uns nicht gewarnt?“
„Das hätte ich ja!“ verteidigte sich der Diener. „Aber ich kann nicht überall sein! Ich habe die ganze Zeit auf den Casflügel geachtet, aber Wandan kam aus Richtung des Haupttores. Als ich ihn gesehen habe, war es schon zu spät, da hatte er euch schon gehört.“
„Und da hast du dich lieber versteckt, als ihn zurückzurufen und abzulenken?“
„Hoher Herr Rahor, aber... verzeiht... aber ich... ich konnte doch nicht über den halben Platz rufen. Das hätte nur noch mehr Aufmerksamkeit geweckt. Der hohe Shaj ist oben auf der Terrasse der Cas!“
„Was? Saton? Ach herrje... nein... ich verstehe...“ Der Junge fuhr sich ratlos mit der Hand durchs Haar. „Oje, das gibt jetzt richtig Ärger. Verdammt, warum musste sie auch so unvernünftig sein?“
„Sie wird mich rauswerfen...“ sagte Afnan niedergeschlagen.
„Unsinn... wird sie nicht. Ich rede mit ihr. Sobald ich kann. Aber ich fürchte, jetzt hat sie erst einmal andere Sorgen...“
Wandan tobte. Er hatte Lennys auf direktem Weg in ihr Schlafzimmer getragen, sie dort alles andere als vorsichtig auf ihr Bett geworfen und marschierte jetzt mit donnernden Schritten auf und ab, während er seiner Wut freien Lauf ließ.
„Und ich sage ihm noch, seine Tochter würde allmählich vernünftig werden! Von wegen! Klaust Sijak und betrinkst dich im Burggarten! Mit vierzehn! Das ist wirklich der Gipfel der Ungezogenheit! Wer hat dich gesehen? Die Diener? Die Gäste? Du denkst nur an deinen Spaß! Ich wollte mich eigentlich bei dir entschuldigen, weil ich dir die Sichelstunde versprochen hatte und sie nicht einhalten konnte! Die Sichel ist ein weite Ferne gerückt, junge Frau! In sehr weite Ferne! Du willst, dass wir dich nicht wie ein Kind behandeln, aber jedes Kind in dieser Burg benimmt sich besser als du! Ich soll auf dich aufpassen! Soll dafür sorgen, dass du eine gute Kriegerin wirst! Und was machst du? Keinen Tag kann man dich aus den Augen lassen, ohne dass du irgendwelchen Unsinn treibst! Ach, was rede ich... keinen Tag... keine Stunde!“
Lennys hatte sich auf ihrem Bett zusammengekauert und sagte nichts. Zum einen, weil ihr die Zunge zu schwer geworden war, zum anderen, weil ihr einfach nichts einfallen wollte, was sie zu ihrer Verteidigung hätte vorbringen können. Und zum dritten fühlte sie sich alles andere als angriffslustig. Ihr Schlafzimmer schwankte wie eine Barke im Sturm und Wandans donnernde Vorhaltungen tobten schlimmer als jedes Gewitter über ihr.
„Das hat jetzt keinen Sinn.“ sagte der Krieger irgendwann. „Wer weiß, ob du dich morgen überhaupt noch an meine Worte erinnerst! Es ist schon fast Mitternacht. Morgen früh solltest du eigentlich zum Geschichtsunterricht erscheinen! Und damit du nicht auf die Idee kommst, den zu verschlafen, werde ich dich höchstpersönlich wecken. Und zwar eine Stunde früher als sonst! Und dann werden wir dieses Gespräch fortsetzen, das verspreche ich dir!“
Ohne sie noch einmal anzusehen, polterte Wandan wieder nach draußen, knallte die Tür zu und atmete tief durch. Er verlor selten die Beherrschung, doch nicht nur der Ärger, sondern auch die Sorge hatten ihn immer weiter angestachelt. Es wäre ein Fehler gewesen, umgehend Saton aufzusuchen, auch wenn er wusste, dass der Shaj ihm diese Verzögerung nur schwerlich verzeihen würde.
Auf dem Weg zurück zum Casflügel malte er sich mit äußerst gemischten Gefühlen aus, wie Lennys' Vater wohl auf diesen höchst unerfreulichen Bericht reagieren würde.
Ein unnachgiebiges Rütteln an der Schulter riss Lennys am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Sie wollte den Störenfried verärgert wegschieben, aber noch bevor sie den Arm zu fassen bekam, stöhnte sie unwillkürlich auf. Ihr Schädel dröhnte und eine Welle heftiger Übelkeit überkam sie.
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