„Vielleicht.“ Cossulius sah ihn nachdenklich an. „Hast Du noch weitere, umstürzlerische Ideen?“
Lucius war sich nicht sicher, ob Cossulius das jetzt ernst oder sarkastisch meinte.
„Wir werden einige Sonderübungen mit dem pilum machen. Du darfst sie dir gerne ansehen.“
„Auf das Kommando ‚Werft pila !‘ werft ihr die pila so schnell wie möglich, aber auf das Kommando ’ Pila halt!‘ beendet ihr die Salve und beginnt eine Rotation, schließt die Reihen und fällt das pilum . Verstanden?“
„Jawohl, Centurio!“
„Dann: Werft pila !“
Die Pila- Salve wurde wie aus dem Lehrbuch geworfen. Die vorderste Reihe schleuderte ihre pila , sprang zurück, bekam die nächsten pila angereicht, schleuderte diese und so weiter. Lucius ließ die Centurie die gesamten pila schleudern und mit den Reserve- pila weitermachen.
„ Pila halt!“, brüllte er plötzlich, und begann laut zu zählen.
„Eins, zwei, drei, vier.“
Es wurden keine pila mehr geworfen oder nach vorne gereicht.
„Fünf, sechs, sieben, acht, neun.“
Eilig drängten die Männer aus der ersten Reihe nach hinten. Die zweite Reihe hatte nun ihre Position eingenommen.
„Zehn, elf, zwölf, dreizehn.“
Die folgenden Reihen schlossen auf.
„Vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn.“
Die pila wurden gefällt.
„Achtzehn, neunzehn, zwanzig.“
Jetzt stand die Centurie geschlossen.
„Zu langsam! Das muss schneller gehen! Beim Wechsel von Wurf- zur Gefechtsformation verlieren wir zu viel Zeit. Werft pila !“
„Wozu soll das gut sein?“, fragte Cossulius verständnislos.
Lucius hatte gerade erneut ‚ Pila halt!‘ befohlen, und die Reihen waren nach ‚achtzehn‘ geschlossen gewesen.
„Die Germanen formieren sich nicht groß zur Schlachtordnung. Der Häuptling rennt los und alle anderen rennen hinterher“, erklärte Lucius und brüllte: „Werft pila !“
Dann redete er weiter: „Selbst wenn eine Pila- Salve sie kurzfristig stoppt, ziehen sie sich nur kurz zurück. Pila halt!“
Wieder zählte er bis achtzehn.
„Wenn sie uns mitten in der Salve erwischen, …“
Lucius sprach den Satz nicht zu Ende, aber Cossulius hatte ihn auch so verstanden. Er berichtete Mucius und Mamilius davon. Bald kannte die ganze Kohorte Lucius‘ Taktik. Der Spott über den miles gloriosus wich verhaltenem Respekt, auch wenn der eine oder andere nach wie vor die Witze über den jungen Centurio nicht lassen konnte.
Lucius war die Aufmerksamkeit nicht recht. Er wollte nicht schon wieder im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehen. Er wollte nur seine Männer so gut es ging auf den kommenden Feldzug vorbereiten. Ihn störte eigentlich alles, was ihn von diesem Ziel abbrachte. Daher reagierte er auch ungehalten, als Andarius an ihn herantrat, während er über den Berechnungen für den Proviant brütete.
„Warte!“
Lucius hob ohne aufzusehen die Hand. Nur keine Störung! Er war stolz auf die Fähigkeit, ohne Hilfe der Finger rechnen zu können. Dafür brauchte er aber Ruhe. Andarius trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sein Gezappel ging Lucius auf die Nerven.
„Hier ist nicht die Latrine. Wenn du musst, such die auf!“, herrschte er den Legionär an, und schrieb die Anzahl der Scheffel auf, die er gerade berechnet hatte.
„Was willst du?“
Das zerschlagene Gesicht des Legionärs war rot vor Aufregung.
„Ich brauche Hilfe, Centurio! Deine Hilfe! Oder Urlaub! Oder deine Hilfe, um Urlaub zu bekommen!“
„Urlaub? Wirklich?“ Lucius hob spöttisch die Augenbrauen. „Bald geht die Legion nach Germanien und der Herr möchte nach Hause, wo immer das ist!“
„Picenum, dominus “, erklärte Andarius eilig.
„Es ist mir scheißegal, wo du herkommst!“, bellte Lucius ihn an. „Du scheinst zu viel Freizeit zu haben, wenn du solche Gedanken im Hirn hast! Das können wir gerne ändern!“
„Es ist wirklich wichtig!“
Verzweifelt wedelte Andarius mit einer Schriftrolle.
„Um was geht es?“, fragte Lucius genervt.
„Meine Frau und mein Sohn stecken in Schwierigkeiten!“, brach es aus dem Mann heraus. Lucius sah ihn verblüfft an. Der hatte laut und vernehmlich matrona gesagt, und das würde bedeuten, er hätte eine rechtsgültig geschlossene Ehe.
„Du meinst deine concubina !“, stellte Lucius daher richtig.
„Ich lebe in cohabitatio und nicht im concubinatus !“, empörte sich der Legionär. „Wir lebten schon zusammen, bevor ich zur Legion ging!“
„Aber trotzdem …“, fing Lucius an, wurde aber sofort unterbrochen.
„Um ganz sicher zu gehen, hat Pompeia, bevor ich zur Legion ging, jede Nacht unter meinem Dach verbracht. Daher ist sie sogar manus , in meiner Hand, und untersteht nicht mehr ihrem Vater!“
Das klang, soweit Lucius die Rechtslage kannte, eindeutig. Er dachte an Tertia, die gesagt hatte, sie würde sich nie wieder in die Hand eines Mannes begeben. Nicht ablenken lassen, dachte er, griff nach seiner vitis und setzte einen drohenden Gesichtsausdruck auf.
„Wenn du mich noch einmal unterbrichst, kannst du was erleben, miles !“
Andarius nahm Haltung an.
„Verzeih, Centurio! Das ist der Erregung geschuldet. Kommt nicht wieder vor!“
„Schön.“
Lucius setzte sich wieder hin.
„Was für ein Problem gibt es?“
Als Antwort wedelte Andarius erneut mit der Schriftrolle.
„Mein Sohn sollte dieses Jahr die toga virilis , die Toga der Männer, anlegen, aber der Praetor hat dies abgelehnt. Aulus wäre ein peregrinus , ein Fremder, kein Römer, und hätte daher nicht das Recht, die Toga zu tragen.“
Die Empörung stand Andarius ins Gesicht geschrieben.
„Nicht das Recht, die Toga zu tragen!“ Andarius schrie fast. „Wir haben seit mehr als hundert Jahren das römische Bürgerrecht. Meine Vorfahren haben gegen Sertorius und Mithridates gekämpft. Ich habe Aulus vor Zeugen nach seiner Geburt aufgehoben. Wir sind so römisch wie jeder dieser Sesselpupser!“
Er atmete schwer.
„Im Tempel von Picenum waren alle nötigen Dokumente hinterlegt, und ich habe meiner Frau eine Vollmacht geschickt, damit sie diese holen konnte. Heute kam die Antwort. Der Praetor hat sie sich gar nicht angesehen, für ihn ist der Fall erledigt. Für alles Weitere soll sie sich, sie soll …“ Er stockte. „… sich an den Praetor Peregrinus wenden!“
Er sah Lucius‘ Gesichtsausdruck.
„Verzeih, Centurio! Stell dir das vor! Meinen Sohn an den Praetor Peregrinus zu verweisen! Ich muss nach Picenum, sofort, um diesem aufgeblasenen Arsch den Schädel zu spalten. Dann erst ist der Fall erledigt.“
Sie schwiegen. Andarius hatte die Fäuste geballt und atmete schwer. Lucius schwirrte der Kopf. Wenn ein Römer mit einer Römerin verheiratet war, hatte deren Sohn automatisch das römische Bürgerrecht. Wenn ein Römer ein Neugeborenes vor Zeugen aufnahm, erkannte er ihn als sein Kind an. Damit war Aulus natürlich ein Römer. Aber . Legionäre durften gar nicht heiraten. Punkt. Alle Kinder, die sie zeugten, waren unehelich, und konnten daher nicht das römische Bürgerrecht bekommen. Punkt. Doch was war mit den Fällen, in denen der Sohn vor der Berufung in die Legion gezeugt wurde, und einer Ehe, sogar einer Manusehe, entsprang?
Keine Ahnung, dachte Lucius bekümmert. Er sah im Geiste Tertias lächelndes Gesicht vor sich und fühlte plötzlich mit Andarius. Vielleicht könnte er ihm ja irgendwie helfen.
„Kehre zu deinem Contubernium zurück, ich werde sehen, was wir tun können“, sagte er ein wenig freundlicher. „Und du solltest um deiner selbst willen nicht herumerzählen, dass du einem Praetor den Schädel spalten willst!“
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