Mamilius überlegte.
„Wir … wir machen ihn so schnell wie möglich.“
Mamilius hatte nichts Brauchbares beizusteuern, wie erwartet. Lucius führte dieses Gespräch auch nur, um sagen zu können: Ich habe mein Vorgehen mit dem Manipelführer abgesprochen.
„Ich werde heute mit der Centurie einen Übungsmarsch veranstalten und deine Anweisungen berücksichtigen.“
„Tu das!“, sagte Mamilius und kratzte sich verdutzt am Kopf.
Er überlegte lange, von welchen Anweisungen Lucius da wohl gesprochen hatte.
„ Pergite! Auf Links!“
Die nächsten Tage marschierten sie das Marsfeld rauf und runter. Bei Alarm wies Lucius Fulcinus an, mal hier, mal dort Aufstellung zu nehmen. Caedicius trieb die Männer an, sich so schnell wie möglich auszurichten. Die Männer brachen in Gelächter aus, als sich nach einigen Manövern und Wendungen die eine Hälfte der Centurie in die eine und die andere in die andere Richtung ausrichtete.
„Ruhe!“, brüllte Lucius.
Das Gelächter verstummte.
„Die eine Hälfte von euch dreht dem Feind den Rücken zu und ist so gut wie tot. Findet ihr das lustig?“
„Nein, Centurio“, brüllten die Legionäre.
„Gut. Linke Abteilung, kehrt! Reihen schließen, los, aufrücken!“
Er wartete, bis die Männer sich neu formiert hatten.
„Im Laufschritt, marsch!“
Die Männer rannten los.
Lucius ließ sie ein Stück laufen, dann befahl er: „Kehrt!“
Die Männer kamen rutschend zum Stehen, drehten sich um und rannten zurück.
„Angriff!“, brüllte Lucius.
„GALLICA!“
Die Männer stürmten auf den imaginären Feind zu. Die langsameren und älteren Legionäre fielen zurück, und die Reihen brachen auseinander.
„HALT!“, donnerte Lucius über den Platz. „Jeder stehenbleiben, wo er ist!“
Die meisten Männer blieben gehorsam stehen. Allerdings registrierte Lucius noch den einen oder anderen Versuch, Lücken zu schließen.
„Ihr habt so große Lücken in euren Reihen, dass ein Wagen dort durchfahren könnte.“
Er schlenderte durch die mehr oder weniger aufgelöste Formation.
„Schaut euch das an! Ich kann hier durchspazieren, ohne jemanden zu berühren. Das soll eine Formation sein? Eine Schande ist das!“
Er machte eine Pause.
„An der Standarte ausrichten, marsch, marsch!“
Die Männer wirbelten herum und rannten auf Fulcinus zu. Diesmal stellten sie sich in die richtige Richtung auf.
„Wenn der Angriffsbefehl gegeben wird und ihr lasst die Formation aufreißen, seid ihr tot. Die Schnelleren müssen auf die Langsameren warten, um die Reihen geschlossen zu halten. Wer als erster beim Feind ankommt, gewinnt keinen Siegeskranz, sondern den Tod durch Schwert oder Speer.“
Lucius verfolgte einen ganz bestimmten Plan, und damit der funktionieren konnte, brauchte er die Bereitschaft des Signifer. Er nahm Fulcinus beiseite, kurz bevor sie abrückten.
„Jeder weiß, dass die Germanen heimtückisch sind“, sagte Lucius. „Wir müssen jenseits des Rhenus jederzeit auf einen Hinterhalt gefasst sein.“
Fulcinus nickte gewichtig.
„Das Signum muss die Ausrichtung sofort ohne Verzögerung anzeigen. Die Antesignani im 1. Contubernium müssen sofort Position beziehen.“
Fulcinus begriff, worauf Lucius hinauswollte. Er war entsetzt.
„Ohne Befehl meinst du?“
„Du bist mit Abstand der dienstälteste Principalis dieser Centurie“, sagte Lucius entschieden. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass du nicht weißt, wo man eine Standarte aufstellt?“
„Natürlich weiß ich das“, fuhr Fulcinus auf. „Aber das Signum wird nicht ohne Befehl aufgestellt, das ist die Ordnung der Dinge.“
„Wir durchqueren einen Wald, Alarm wird geblasen, eine Horde Germanen stürmt auf uns zu. Du siehst den Platz für die Standarte und ich sehe ihn. Bis ich den Platz bezeichnet habe, stehst du schon dort“, führte Lucius aus. „Die Centurie steht schneller als sonst in Gefechtsordnung und kann den Feind zurückwerfen. Diese Herzschläge können bei einem Hinterhalt über Sieg und Niederlage entscheiden.“
Fulcinus wollte widersprechen.
„Nur ein Signifer mit Erfahrung und Überblick kann so etwas“, sagte Lucius eindringlich. „Bist du dieser Mann?“
Fulcinus dachte nach.
„Wenn der Befehl kommt ‚an Standarte ausrichten‘ ist die Standarte schon bereit.“
Fulcinus trommelte mit den Fingern auf sein Bein und starrte in die Ferne. „Es gibt keine Verzögerung, kein Gedränge, weil der Abstand zur Standarte erst ausgemessen werden soll.“
Fulcinus sah jetzt Lucius direkt an.
„So soll es sein. Ich bin dieser Mann.“
„Sehr gut. Die Antesignani werden von heute an dem Signifer immer und überallhin folgen, ohne auf einen Befehl zu warten“, sagte Lucius. „Gib das an Ennius und das 1. Contubernium weiter!“
„Jawohl, Centurio!“
Bei den Marschübungen mit der Kohorte lernte Lucius die anderen Centurionen nach und nach besser kennen. Den 1. Pilus Centurio Mucius kannte er schon von seinen ersten Tagen in der XVIII Legion. Der 2. Pilus Centurio Cossulius, ein bärbeißiger Veteran, war auf seine alten Tage überraschend Centurio geworden und hatte keine zehn Jahre Erfahrung, obwohl er schon weiße Haare hatte. Er war ein evocatus , einer der Legionäre, die nach Ablauf ihrer Dienstzeit wieder zu den Adlern zurückgekehrt waren.
„Vernünftiger Drill, sag‘ ich immer. Nicht so ein neumodischer Firlefanz“, war seine Aussage zum Marschtraining.
Mamilius war das Idealbild eines Centurio. Einmal auf seinen Platz gestellt, würde er diesen erst mit den Füßen voran verlassen. Für Lucius war es leicht, freie Hand bei Mucius und Mamilius für die Übungen seiner Centurie zu bekommen. Mucius hatte in der Vergangenheit schon von Lucius‘ Ideen profitiert, und Mamilius hatte keine eigenen Ideen.
Die beiden Hastaten Centurionen Ligarius und Secundus hingegen störten sich an dem aufgeschlossenen Umgang mit Lucius‘ Neuerungen. Sie sorgten dafür, dass es bald in der Legion hieß, in der 3. Kohorte gäbe der jüngste Centurio, der miles gloriosus , den Ton an, und die älteren würden seine Anweisungen wie die Schafe befolgen.
Allerdings verfingen ihre Lästereien nicht. Mucius ignorierte sie, Mamilius schien sie gar nicht mitzubekommen und Cossulius, nun, Cossulius hatte seine eigene Art, damit umzugehen.
„Na, müsst ihr von eurem miles gloriosus noch was lernen?“
„Ja, natürlich“, entgegnete Cossulius. „Mittlerweile hat er uns sogar schon beigebracht, mit dem Schwert umzugehen. Wie sieht‘s bei euch aus? Wollt ihr ein Tänzchen wagen?“
Cossulius interessierte sich sehr für Lucius‘ Trainingsmaßnahmen.
„Wie kommt es, dass deine Centurie immer als erste die Formation einnimmt?“
Lucius genoss diese Frage mehr, als er bereit war zuzugeben.
Du willst wissen, wieso die Einheit des miles gloriosus besser und schneller ist als deine?, war er versucht zu fragen, besann sich aber noch rechtzeitig.
„Bei jedem Alarmruf beziehen der Signifer und die Antesignani selbstständig Position, ohne auf weitere Befehle zu warten“, erläuterte er stattdessen. „Dadurch weiß die Centurie ohne weitere Verzögerung, an welcher Position sie sich ausrichten muss.“
„Der Signifer bestimmt die Ausrichtung der Centurie, nicht der Centurio?“, fragte Cossulius kopfschüttelnd. „Das ist ja ganz was Neues.“
„Bei Alarm wendest du dich an den Signifer und sagst ihm, wo er die Standarte aufpflanzen soll. Dann eilt er los und die Antesignani bekommen den Befehl, ihn zu decken“, erläuterte Lucius. „Dabei geht wertvolle Zeit verloren. Ein Signifer weiß aufgrund seiner Erfahrung ganz genau, worauf es ankommt.“
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