Die Arbeiter waren eine polyglotte Bande von Leuten, die keine Berufslehre hinter sich hatten, sondern immer von Gelegenheitsarbeit zu Gelegenheitsarbeit getingelt waren. Sie hatten keine Materialkenntnis, keine Arbeitsmoral und häufig keine Lust zum Arbeiten.
Ich organisierte nun Anleitungskurse, setzte jeden an seinen Platz und Arbeitsbereich innerhalb einer festen Gruppe. In jeder Baracke setzte ich einen Vorarbeiter ein, wenn möglich Leute, die Militär geleistet hatten mit Vorliebe Korporale oder Wachmeister.
Wir bezahlten die Leute gut, sogar sehr gut, aber wer nichts leistete wurde erbarmungslos gefeuert. Für diese war ich dann ein erbarmungsloser Leuteschinder.
Die Nachfrage nach unsern Kunstharzplatten überstieg unsere Produktionskapazität bei weitem und wir mussten die Schichtarbeit einführen. Hugo hatte etwas gegen die „blödsinnige Krampferei“ doch er begriff, dass wir jetzt loslegen mussten auf Teufel komm raus, denn sobald der Patentschutz erloschen sein würde, erwachte die Konkurrenz und dann hatten wir einen harten Kampf zu erwarten.
Hugo klapperte die ganze Schweiz ab mit seinem riesigen Amerikaner Auto und fand immer mehr Kunden.
Dass ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr, duldete er nicht, denn als Direktor einer florierenden Firma schickte sich das nicht. Eines Tages lag mein Fahrrad als jämmerliches Wrack neben einem fabrikneuen Citroen ID, dessen Papiere auf mich ausgestellt waren. Auf diese Art pflegte mich Hugo zu überraschen.
Unsere Firma florierte, wir waren beliebte Arbeitgeber (180 Angestellte), waren gute und brave Steuerzahler und daher hoch verehrte Mitglieder der Gesellschaft. Man suchte unsere Freundschaft oder wenigstens Bekanntschaft, man pumpte uns an von allen Seiten und wir spendeten für das neue Mobiliar des Kindergartens, für Krebskranke und die Rheumahilfe, waren Passivmitglieder des Turnvereins, des Männerchors, der Kleintierzüchter und der Damenriege, wir gaben Geld für den Kampf gegen den Alkoholismus. für die Heilsarmee und für die Bergbauern …
Wenn ich zurückdachte an die Zeit nachdem ich aus dem Knast entlassen worden war und mich nicht wagte jemandem in die Augen zu schauen, wie ich als Arbeitssuchender kritisch gemustert und schliesslich abgewiesen wurde, weil man in meinem Blick die Gitterstäbe noch erkennen konnte, dann wurde ich immer sehr nachdenklich.
Auch mir selber gönnte ich ein stattliches Salär, denn meine Familie wollte auch leben.
Eines Tages stellte sich ein älterer Mann als Arbeitssuchender vor. Ich wusste auf den ersten Blick, dass er ungeeignet war, denn er würde das Arbeitstempo und den Kraftaufwand nicht schaffen, aber irgendwie interessierte mich der Mann, es war da etwas an ihm … „der kommt aus dem Knast“, schoss es mir durch den Kopf. Ich suchte Blickkontakt, er wich aus, ich stand auf und ging zwei Schritte auf ihn zu, sofort senkte er sein Haupt, nahm eine Demutshaltung ein, die ich nur allzu gut kannte.
Ich hielt ihn an einer Schulter und fragte halblaut: „Wie lange?“
„Elf Jahre und sechs Monate, den Rest auf Bewährung “ sagte er grinsend.
Ich teilte ihm mit, dass man ihn in der Produktion nicht brauchen könne, aber ich würde ihn einstellen als mein Faktotum, meinen Leibdiener für kleine Handreichungen, die Post abholen und heraufbringen, mein Büro sauber halten, Hausplatz wischen und so weiter. Er war einverstanden und schien zufrieden zu sein.
Er verriet mir, dass er noch unter Polizeiaufsicht stehe und sich täglich auf dem Polizeiposten zu melden habe. Ich versprach ihm, dass ich das regeln würde. Die Polizei war froh, dass sie diese Kontrolle mir überlassen konnte. Er musste nur am Samstagnachmittag auf dem Posten erscheinen.
Als Personalchef war ich allein für Neueinstellungen und Entlassungen zuständig, Hugo war noch so froh, wenn er damit nichts zu tun hatte, er unterschrieb die entsprechenden Verträge und Kündigungen und damit hatte es sich. Als ich ihm den Anstellungsvertrag für meinen „Diener“, den Emil Kromer vorlegte, stutzte er. Etwas beunruhigt fragte er, was ich über den Kerl wisse.
Für den Moment wusste ich nur, dass er aus dem Knast kam, wo er einen Teil seiner Strafe für zweifachen Mord abgesessen hatte und nun nicht die geringste Chance hatte, eine Anstellung zu finden.
„Ja, du mit deinem geschissenen Altruismus bringst uns Mord und Totschlag ins Haus,“ knurrte Hugo verärgert. Ich solle den „lieben“ Emil ausquetschen, vor allem, weshalb er ausgerechnet hierhergekommen sei. Dann musste der ständig pressante Hugo „ein Haus weiter“, wohl ein Haus mit roter Laterne davor.
An einem Morgen erwartete mich ein Arbeiter der Nachtschicht, Er war sehr verlegen und schien nicht zu wissen, wie er anfangen sollte. Ich fragte ihn nach seinem Problem, da krempelte er wortlos seine Hemdärmel hoch. Ich erschrak. Ich kannte das. Das war eine Allergie auf einen Reizstoff, die zu einem bösen Krebsgeschwür ausarten konnte. Bei meinem Vater war es Zement gewesen und es hatte ihn den Arm gekostet. Er habe noch Glück gehabt, meinte der Arzt, dass es nicht schon den ganzen Körper verseucht habe. Hier war es eines dieser vielen Kunstharze oder Lösungsmittel mit denen wir arbeiteten.
Er war der erste Fall. Berufskrankheiten, das gibt es nun einmal, die Frage stellte sich nun, wie weit unsere Haftung ging. Die Unfall und Krankenversicherung würde sich ein Bild über die Arbeitsverhältnisse machen wollen, dann kam die Aufsichtsbehörde, das Gesundheitsamt, die staatliche Invalidenversicherung und dann der grosse Krach mit einer Gewerkschaft, eventuelle Nebenklagen der Familie ….
Es kam auf jeden Fall „etwas“ auf uns zu.
Hugo wollte den Arbeiter einfach entlassen mit gutem Arbeitszeugnis und einer grosszügigen Abfindung.
Ich schickte den Arbeiter zu jenem Arzt, der auch meinen Vater behandelt hatte und der teilte uns schliesslich mit, dass der Ausschlag behandelbar sei und keine Anzeichen von Hautkrebs zu finden seien.
Hugo machte sich wieder einmal über meine Paranoia lustig und wollte wieder abreisen, drei Tage Monte Carlo mit irgend einer seiner Edelnutten, aber vorher musste er sich den Bericht über den seltsamen Vogel Emil Kromer anhören. Ich hatte von der Polizei erfahren, dass er seine Frau und ihren Liebhaber auf sehr grausame Weise umgebracht hatte, die Details wollen wir uns ersparen. Zwei seiner Söhne, Armin und Freddy, weit herum bekannte Ganoven, Zuhälter, Bankräuber und Scheckfälscher seien seit ihrem letzten Bankraub in Winterthur untergetaucht und seither nie mehr in Erscheinung getreten.
Hugo grinste verlegen und meinte dann, die werden wohl wieder zum Vorschein kommen, wenn sie die fünf Millionen aufgefressen hätten. „Zweieinhalb,“ korrigierte ich ihn.
Hugo mutmasste, dass die beiden vielleicht ihr Geld vermehrt hätten, etwa so wie wir beide.
Ich stellte mich vor meinen Geschäftspartner, rieb meine Handgelenke als ob ich im nächsten Augenblick losschlagen würde.
Mein Gegner erbleichte, obschon er grösser und gewichtiger war als ich, wusste er , dass ich ihn mit einer einzigen schnellen Bewegung auf den Boden schmettern würde.
Er schlug vor, dass wir uns setzten und er begann zu erzählen.
Der Bankraub hatte, wie ich ja wusste (dank deiner Hilfe) bestens geklappt.
Fünf Millionen, das meiste in brandneuen Scheinen (vor allem die Tausender, die man kaum unbemerkt losbringt), dann noch etwas fremdes Geld und drei Goldbarren. Eigentlich nicht schlecht, wenn man den kleinen Aufwand bedenkt.
Die beiden Räuber fuhren dann zum Steg, der über den Fluss führt, liessen den Lieferwagen dort stehen und stiegen, samt Raubgut in Hugos Auto auf der andern Seite der Töss. Auf dem Rücksitz waren zwei Kisten Whisky, die man zur Feier des gelungenen Coups leeren wollte.
Während Hugo noch etwas kreuz und quer durch die Gegend fuhr machten sich die zwei Frettchen über den Schnaps her. Es war eine gute Marke und schien den beiden zu munden.
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