Ich muss gestehen, dass ich beim Lesen dieses Schreibens einen Moment lang meine Gelassenheit und meine Fassung verloren habe. Weil ich ein Mädchen liebte, mit ihr zusammen eine Familie gründen wollte und das Baby etwas zu früh geliefert wurde, zerstörte man mir jetzt meine Karriere. Statt uns zu helfen machte man uns kaputt. Ich hatte eine Stinkwut auf diese heuchlerische, verrottete, konservative Bande im Lehrerzimmer. Ich glaube ich wäre damals zu jedem blutigen Attentat bereit gewesen.
Aber am Abend servierte ich im Lokal als ob nichts geschehen wäre.
Mein Rausschmiss war triumphal, mit einer einzigen Gegenstimme siegte Tugend, Moral, Anständigkeit und Keuschheit über die unzüchtige, verdorbene, ungezügelte Fleischeslust von zwei jungen, minderjährigen Menschen, die sich liebten.
Am folgenden Morgen kam Barbara vorbei und lud mich ein, mit ihr zusammen einen Ausflug zu machen.
Mit ihrem kleinen Fiat fuhren wir auf die Schwägalp und wanderten dann gemeinsam auf den Säntis, genossen das schöne Wetter, die Aussicht und das Zusammensein.
Sie versprach mir, uns zu helfen. Sie hatte bereits mit Josys Vater Kontakt aufgenommen und ein Gespräch geführt und meinte, der Typ sei hart wie Granit, aber sie habe bereits eine schwache Stelle bei ihm gefunden.
Aber ein anderes Problem brannte auf meiner Zunge, doch wusste ich nicht, wie ich es vorbringen sollte.
Wir wanderten wieder ins Tal hinunter und in einem Restaurant in Appenzell liessen wir uns ein üppiges Abendessen schmecken. Ich blieb die Nacht bei Barbara und da gelang es mir, über „unser“ Problem zu sprechen mit ihr. Zwei Frauen aufs Mal wobei ich im Begriff war, die eine zu heiraten und die andere half mir noch dabei … meine Gefühle begannen sich zu verwirren.
Barbara sprach von ihrer Liebe zu mir, verrückt und wider alle Vernunft aber da war noch ein anderes Problem, das ebenso stark an ihr nagte, dass sie nämlich keine Kinder kriegen konnte wegen einer Erkrankung als sie 15 war und dem Pfusch eines renommierten Arztes.
Da sie sah und wusste, wie ich von einer Familie mit Kindern träumte, verzichtete sie auf mich als Ehemann aber sie wollte mich als Freund und Geliebten behalten.
Dann meinte sie noch, dass meine Bestimmung eine ganz andere sein werde, dabei wies sie auf eine schön gerahmte Pastellzeichnung hin, ein Portrait das ich kürzlich von ihr gemacht hatte.
„Wer so etwas kann, der kann noch mehr,“ meinte sie und sagte dann, dass der Herr Schad vom Einrahmungsgeschäft ihr das Bild habe abkaufen wollen, weil es ihm so gut gefallen hätte.
„Das Bild oder das Bildmotiv?“ fragte ich belustigt.
Sie hatte auch meinen (ehemaligen) Zeichenlehrer gefragt und der soll mir eine grosse Begabung aber auch eine nerventötende Eigenwilligkeit attestiert haben.
Am nächsten Morgen erwartete mich die Polizei vor meiner Wohnung. Wer Beine hatte in der Steinberggasse stand herum um das einmalige (oder eher seltene) Schauspiel einer Verhaftung eines schweren Jungen miterleben zu dürfen. Als ein Polizist mir die Arme nach hinten biegen wollte, eine elementare Übung im Kampfsport, knickten seine Knie ein und er kniete vor mir und ich hatte ihm schon die Handschellen angelegt. Ich erklärte, dass ich auch ungefesselt mitkommen werde und half dem verdutzten Polizisten auf die Beine. Ich entschuldigte mich, dass das für Kampfsportler reine Reflexe seien, Verteidigungsreflexe. Der wütende Blick des Bullen verhiess nichts Gutes.
Ich folgte den Polizisten auf die nahegelegene Hauptwache wo man mir eröffnete, dass man mich festnehme wegen des Bankraubs vom Vortag. Ich war ganz baff, denn ich hatte geglaubt es handle sich wieder einmal um Josy, aber ich ahnte nun plötzlich grosses Unheil. Vor meinem geistigen Auge sah ich die beiden Frettchengesichter.
Man brachte mich in den Verhörraum.
Ausser dem Polizeichef, den ich persönlich (in Zivil) kannte war noch ein kleiner, mickriger Typ da, der nervös mit einem Bleistift spielte. Vor dem musste ich mich in Acht nehmen, kleine Köter spielen gerne den grossen Hund.
Man wollte wissen, wo ich mich am Vortage aufgehalten habe.
Ich erzählte, dass ich von der Schwägalp aus den Säntis bestiegen habe, dann wieder runter, zu Fuss und dann Abendessen im Restaurant „Taube“ in Appenzell.
Der Kleine knurrte nun, er hätte noch nie ein so saublödes Alibi vernommen, ob jemand meine Aussage bestätigen könne.
Ja, die Wirtin im „Tüübli“ und noch eine Kellnerin, die uns das Nachtessen serviert habe.
Ob ich nun in der „Taube“ oder im „Tüübli“ gewesen sei, wollte das Spürhündchen wissen.
Auf so eine dumme Frage erübrige sich eine Antwort, meinte ich.
Wenn ich frech werden wolle, könne er auch andere Saiten aufziehen bellte er los.
Zum Glück griff hier der Chef ein.
Er erklärte mir, dass am Vortag um vier Uhr nachmittags der Geldtransport zur Kantonalbank überfallen und ausgeraubt worden sei.
Mein Alibi wurde von der Tüübliwirtin bestätigt, ja ich sei dagewesen mit einer wunderschönen Dame. Rothaarig und sehr vornehm.
Ich wollte keine Angabe über die Dame machen und der Chef liess es dabei bewenden.
Aber er hatte da noch etwas anderes, ein Stück Papier, A4, arg zerknittert, mit einer Zeichnung, mit Pfeilen, Ausrufezeichen und dem Vermerk : Keine Waffen!
Ich kannte das Papier, ich kannte es nur allzu gut und es würde meine Fingerabdrücke tragen und mir die Schuld, wenigstens teilweise in die Schuhe schieben.
Die Scheisskerle hatte das wohl mit Absicht am Tatort zurückgelassen um mir einen Strick zu drehen.
Ich erklärte nun genau, wie sich alles zugetragen hatte, wie ich den Kerlen auf den Leim gegangen sei und machte dann Angaben über die betreffenden Personen, soweit ich Bescheid wusste und ich wusste, ausser den Vornamen Freddy und Armin nichts. Ich hatte bewusst Hugo aus dem Spiel gelassen, weil ich nicht glaubte, dass er am Raubzug teilgenommen hatte oder höchstens hinter der Tössbrücke.
Der Chef grinste nur und sagte: „Also die zwei haben wieder einmal gearbeitet, diesmal hat es sich aber gelohnt. Fünf Millionen sind ein rechter Batzen Geld.“
Man wollte noch wissen, wie hoch mein Anteil an der Beute sei und ob ausser mir noch andere Hintermänner mitgemischt hätten und dann kam ich in U – Haft im Bezirksgefängnis.
Das Gefängnis ist in verschiedener Hinsicht kein angenehmer Aufenthaltsort, aber ich war dann doch erstaunt, dass es weniger schlimm war als ich mir vorgestellt hatte.
Etwas kahl und trostlos, aber wer aus einer Fabrikarbeiter – Wohnkaserne kommt ist sich schlechteres Wohnen gewöhnt. Ich wurde kurz informiert was ich noch durfte und was nicht, wer mich besuchen durfte, was ich von aussen mir bringen lassen konnte, wie der Tagesablauf organisiert war und so weiter.
Ich konnte sicher damit klarkommen bis man mich wieder freilassen würde, woran ich in meiner Naivität nicht zweifelte, denn ich hatte ja mit dem Raub nichts oder nur ganz wenig zu tun.
Auf das Mittagessen verzichtete ich, es schmeckte mir irgendwie nicht, dafür verlangte ich Schreibmaterialien, denn ich wollte die ganze Geschichte genau aufschreiben, bis ins Detail.
Aus irgend einem unerklärlichen Grund schrieb ich kein Wort von oder über Hugo, obschon mit klar war, dass er der Anführer sein musste, der alles ausführen liess von den zwei Frettchen, sich selber aber im Hintergrund gehalten hatte, denn der Raub wurde von nur zwei Gangstern ausgeführt.
Von Armin und Freddy kannte ich nur die Vornamen, falls sie es gewesen waren konnte ich nicht viel über sie aussagen. Auf Geheiss des Untersuchungsrichters fertigte ich von den Typen zwei Zeichnungen an.
Man bestätigte mir, dass die beiden zum engeren Bekanntenkreis der Polizei gehörten und dass man sie rasch haben werde, denn die seien zu blöd für ihr Metier.
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