Johann Widmer - Barbara

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Das Jahr geht zur Neige.
Frühling ist nur noch ferne, verklärte Erinnerung.
Die Blütenpracht hat Patina angesetzt, der silbrige Mond ist schwarz geworden und das Gold der Jugendzeit ist von Grünspan überzogen. Tinnef.
Die Zeit von Sturm und Drang und jugendlichem Übermut ist Legende. Spurensuche bringt nichts an den Tag ausser ein paar Kratzern an der Seele und verwachsenen Narben
Wem der Herbst keine reiche Ernte gebracht hat, dem droht ein kalter Winter ohne Freunde und ohne Feinde.
Nach dem Herbst folgt eine zeitlose Epoche..
Die Zeit ist da und verrinnt sinn- und zwecklos, es sei denn, man fülle das Glas ein letztes Mal und geniesse das Leben bis zum letzten Zug.
Der Sinn des Lebens … ach lassen wir das und freuen wir uns, dass wir noch leben und noch Zeit und Musse haben dieses Buch zu Ende zu lesen.

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Barbara

Johann Widmer

BARBARA

LEBENSGESCHICHTEN

Band 5

Ein grosser Dank gebührt meiner Frau Augustine und meinem Sohn Hannes, die mir bei der Verwirklichung dieses Werks tatkräftig zur Seite gestanden haben.

Stiftung Augustine und Johann Widmer, Hrsg.

© Stiftung Augustine und Johann Widmer

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Bildungszentrums reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.johann-widmer.ch

ISBN: siehe Umschlag

1. Auflage 2019, Band 5

Vorwort

Zum fünften Band

Das Jahr geht zur Neige.

Frühling ist nur noch ferne, verklärte Erinnerung.

Die Blütenpracht hat Patina angesetzt, der silbrige Mond ist schwarz geworden und das Gold der Jugendzeit ist von Grünspan überzogen. Tinnef.

Die Zeit von Sturm und Drang und jugendlichem Übermut ist Legende. Spurensuche bringt nichts an den Tag ausser ein paar Kratzern an der Seele und verwachsenen Narben

Wem der Herbst keine reiche Ernte gebracht hat, dem droht ein kalter Winter ohne Freunde und ohne Feinde.

Nach dem Herbst folgt eine zeitlose Epoche..

Die Zeit ist da und verrinnt sinn- und zwecklos, es sei denn, man fülle das Glas ein letztes Mal und geniesse das Leben bis zum letzten Zug.

Der Sinn des Lebens … ach lassen wir das und freuen wir uns, dass wir noch leben und noch Zeit und Musse haben dieses Buch zu Ende zu lesen.

Hugo

Sieben Jahre lang haben wir gemeinsam die Schulbank gedrückt (wobei die Bank vor allem mich gedrückt hat), doch Freunde waren wir nie, der Hugo und ich. Er wohnte im Haus „gleich um die Ecke“, wir waren also Nachbarskinder, die sich nicht mochten. Das heisst, er hatte immer um meine Gunst geworben, sich um meine Freundschaft bemüht und war dauernd in meiner Nähe, aber genau das liebte ich nicht.

Wir hatten eine ganz eigenartige Beziehung zueinander, er war wie ein Hund, der schwanzwedelnd meine Hände leckte um mich im nächsten Moment in die Fersen zu beissen. Er war ein verdammter Schleimscheisser, der von Freundschaft sprach um mich im nächsten Moment zu verraten.

Zu alledem kamen noch meine Vorurteile: Hugo hatte rote Haare, das allein war schon ein Grund um ihn zu verachten, dann war er ein weiches Muttersöhnchen und zu allem Überfluss noch katholisch. Seine Mutter war eine Deutsche und das war während der Kriegsjahre auch keine gute Reverenz in unserer voreingenommenen Dorfgemeinschaft. Für seine Petzerei in der Schule kriegte er regelmässig seine verdiente „Klassenhaue“ was aber keine Wirkung bei ihm zeigte.

Eine meiner Eigenschaften ist meine aufbrausende, jähzornige Art. Ich kann zwar meist lange an mich halten, aber wenn man mich zu lange, zu stark und zu hinterhältig reizt, sehe ich plötzlich nur noch Rot und dann werden bei mir verborgene Kräfte frei, die, vermischt mit meiner Wut, Angst und Schrecken verbreiten und grossen Schaden anrichten. Hinterher tut es mir immer furchtbar leid, aber Reue macht die Tat auch nicht mehr ungeschehen.

Hugo verstand es ausgezeichnet mich zu reizen und zu triezen bis ich die Beherrschung verlor und genau dieses grausame Spiel liebte er, obschon er es war, der schliesslich die Prügel einheimste.

An eine der ersten unserer Auseinandersetzungen kann ich mich mit dem besten Willen nicht mehr erinnern, obschon der Ausgang blutig gewesen sein musste. Mein Vater hatte mir einen riesig grossen Sandkasten eingerichtet in dem ich Sandburgen errichtete, Strassen, Brücken und Galerien baute und lange Tunnel durch die Berge bohrte. War ich mal nicht anwesend wenn Hugo vorbeikam, so zerstörte er genüsslich meine Kunstwerke um sich anschliessend noch zu brüsten für seine Heldentat.

Man hat mir später erzählt, dass ich ihm geschworen hätte, ihn „tot zu machen“ , wenn er noch ein einziges Mal meine Arbeit kaputtmachen würde.

Ich habe ihm scheinbar mit meiner eisernen Schaufel eins übergezogen und ihm an der Stirne eine grosse klaffende Wunde zugefügt. Eine gut sichtbare, hässliche Narbe ist dabei übriggeblieben, die er fast sein ganzes Leben lang, immer mit einer Haarlocke verdeckte oder auch stolz zur Schau trug, je nach gegebener Situation.

Seine Narbe war in der Folge mein Fluch, sie zeigte, dass ich ein gefährlicher, unbeherrschter Totschläger war, der einst am Galgen enden würde. Nicht dass mich das besonders belastet hätte, doch für die anderen war seine Narbe mein feuriges Kainszeichen.

Ich glaube, ich war an und für sich nie ein geselliger Mensch, ich liebte das Alleinsein, ich liebte das einsame Träumen schon als Kind und bewegte mich gerne in meiner Fantasiewelt. Auf Störungen von aussen soll ich immer verärgert und schroff reagiert haben, so dass meine gleichaltrigen Kameraden mich mieden und bei ihren Spielen nur selten teilnehmen liessen.

Dazu kam noch, dass ich die bei uns üblichen Spiele meist langweilig und primitiv fand und sie zu verbessern suchte. Ich erreichte damit, dass alle Spiele am Schluss unspielbar und kompliziert wurden und ich am Ende als gemeiner Spielverderber weggejagt wurde.

Einzig beim „Völkerball“ wollte man mich dabei haben, weil ich sicher war im Fangen der Bälle und mein Wurf wegen seiner Härte und Schnelligkeit gefürchtet war und regelrechte Massaker verursachte.

Falls Hugo sich in der gegnerischen Mannschaft befand, war es mir ein Vergnügen ihn möglichst hart abzuschiessen. Zum Dank verleumdete er mich dann bei den Spielkameraden mit irgendwelchen abstrusen Behauptungen, bis ich vom Platz vertrieben wurde.

Schon mit etwa fünf Jahren lernte ich lesen und damit tat sich mir eine neue Welt auf. Was mir an Gedrucktem in die Hände kam musste ich lesen, obschon ich anfänglich das meiste davon gar nicht verstand, denn die Schriftsprache unterscheidet sich sehr stark von unserem Dialekt. Dass unser Wort „Anke“ dasselbe sein sollte wie „Butter“ oder „Nidel“ gleich „Rahm“, auf diese verrückte Idee musste man erst mal kommen. Allmählich eignete ich mir den nötigen Wortschatz an und das Gelesene wurde immer verständlicher und dadurch spannender.

Zu meinem grossen Leidwesen hatten sich nur wenige Bücher in unseren Haushalt verirrt, in Arbeiterhaushalten war das Lesen noch ein Luxus, den man sich weder finanziell noch kräftemässig leisten konnte. Kam mein Vater nach 10 Stunden (im Sommer waren es 12) schwerer körperlicher Arbeit nach Hause, hatte er kaum je Lust sich in ein Buch zu vertiefen. Er überflog im besten Fall rasch die Zeitung, die dreimal wöchentlich erschien, aber meistens hatte er noch anderes zu tun im Haus und im Garten.

Das dickste Buch in unserer „Bibliothek“ (sie bestand aus ein paar Büchern und einigen zerfledderten Zeitschriften) war die Familienbibel, also begann ich mit ihr, denn sie schien mir vielversprechend zu sein.

Eine meiner vielen Tanten, eine fromme Pietistin, half mir, mich in diesem Werk zurechtzufinden und ich hatte auch bald einige Geschichten im Alten Testament gefunden, die mich besonders interessierten und die ich auf meine Art interpretierte. Zum Beispiel die Schlacht um Sodom und Gomorra. Vom Jordantal aus griffen die deutschen Panzer an und aus der Luft kam ein amerikanisches Bombengeschwader und warf Bomben ab, Phosphorbomben und Granaten. Nach einer Stunde war alles vorbei, nur noch rauchende Trümmer waren übriggeblieben und auf einem weiten. leeren Feld stand eine Salzsäule, die Frau von Lot, die sich schadenfreudig umgedreht hatte obschon die Soldaten ihr das verboten hatten. Phantasievorstellungen eines Jungen im Winter 44 / 45.

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