Das Karatetraining von Jacques brachte mir viel, vor allem weil es mir erst einmal half, die Angst vor dem Gegner zu überwinden. Ich bekam Selbstvertrauen und es gelang mir auch, meinen Jähzorn in bewusste und zielgerichtete Aktionen zu verwandeln. Ich lenkte meine „blinde“ Wut in die Bahnen des gezielten und wohlbedachten Angriffs. Es gelang mir bald ein geachteter Gegner auf dem Pausenplatz zu werden und schliesslich fürchteten selbst grössere Jungen sich mit mir anzulegen und ich begann meine Machtstellung aufzubauen.
Hugo seinerseits war etwas in meinen Schatten gerückt und versuchte nun wieder Boden zurück zu gewinnen mit Intrigen, Verleumdungen, Erpressungen und Drohungen.
Seine Gemeinheiten waren oft wirksamer als meine schnellen Schläge und gegen Lügen und Gerüchte hilft kein Karate.
Jacques hatte nun einige Mühe an den für ihn so wichtigen Schnaps heranzukommen. Er kaufte regelmässig im Konsum sein Kirschwasser oder eine Flasche Tresterschnaps aber er hatte keine Lust mehr am Saufen, weil ihm die Gesellschaft fehlte. Saufen um des Saufens Willen machte ihm keine Freude, aber sein süchtiger Körper wollte saufen, auch ohne Freude.
Nachdem er einige Male stockbetrunken randalierend durchs Dorf gezogen war durfte auch der Konsum keinen Alkohol mehr an ihn abgeben, doch das scherte ihn wenig, er musste noch andere versteckte Quellen haben.
In einer hellen Vollmondnacht sah ich Seline an unserm Haus vorbeischleichen mit einem Körbchen am Arm. Ihr Ziel war wohl das Nachbarhaus. Sie brachte Jacques Nachschub samt Gesellschaft in eigener Person. Das war also seine Nachschubtruppe.
In jenen Tagen erzählte mein Vater beim Abendessen, dass die Gemeinde diesen versoffenen Typen loswerden wolle, aber sie konnten ihn nicht einfach so wegschicken, weil er „ein Sohn“ dieses Gemeinwesens war, das heisst, er war ein Bürger des Dorfes und somit hatte dieses für ihn zu sorgen.
Man hatte zuerst überlegt, ob man ihn wieder in die Legion zurückschicken wolle, aber Jacques hatte derart die Schnauze voll vom Krieg, dass diese Lösung nicht in Betracht kam.
Eine Entziehungskur hätte Geld gekostet, also verwarfen die Gemeindeväter auch dieses Projekt.
Natürlich erzählte ich Jacques von den Umtrieben, die seinetwegen begonnen hatten, aber statt zu fluchen, grinste er nur und sagte mir, er wolle mir mal etwas zeigen, falls ich schweigen könne.
Er nahm mir den Schwur ab, zu schweigen wie ein Grab, ansonsten … hier machte er das gut verständliche Zeichen des Halsabschneidens.
In seiner Kammer zeigte er mir dann ein kleines graues Segeltuchsäcklein voller Goldmünzen. Noch nie im Leben hatte ich echtes Gold gesehen. Er gab mir eine Münze in die Hand und erklärte mir, dass das ein „Napoleon“ sei, eine französische Goldmünze, die sei etwa doppelt so viel wert wie ein Schweizer „Vreneli“.
Beim Wort Napoleon musste ich lachen, denn so hiess der Dackel des Försters und dieser „Näppi“ wie wir ihn nannten war ein arger Herumtreiber, Bettler und Vagabund.
Ich war ganz fasziniert vom seltsamen Glanz, der von diesem Geldstück ausging, ein warmes Leuchten, das wohl dem grossen Kaiser Napoleon galt.
Jacques erklärte mir dann, dass er im Grunde genommen ein reicher Mann sei und nicht auf die Almosen dieser Geizkrägen im Dorf angewiesen. Bevor er sich zurückziehe, wolle er die Schweinebande hier noch etwas ärgern. Er hatte geplant nach Frankreich zurückzukehren in eine Art von Altersheim speziell für Legionäre und dort mit andern Kameraden zusammen den Lebensabend zu geniessen.
Bevor er sein Leinenbeutelchen wieder verschloss, drückte er mir zwei Goldstücke in die Hand und sagte mir, dass er sie mir anvertraue bis zu seiner Abreise als eine Art von Notpfennig oder Versicherung, falls man ihm das andere Gold klauen würde. Einen dieser Goldvögel müsste ich ihm zurückgeben, den andern könnte ich behalten.
Mir schien es, dass Jacques immer mehr und stärker unter Alkoholeinfluss stehe, obschon ihm die Gemeindeväter alle Quellen verstopft hatten, ausser seinem letzten Brunnen, der Kellnerin Seline, die ihn noch versorgte. Bei der Menge, die seine gute Fee anschleppte, müsste das doch auffallen, aber niemand schien das zu interessieren.
Es war während der Heuernte als ich eines Morgens sah, wie Jacques seinen Flachmann auffüllte mit Brennspiritus. Ich glaubte, er hätte sich in der Flasche geirrt, doch er grinste nur und sagte, das sei auch Schnaps, halt mit einem schlechten Geschmack aber sonst OK.
Wir hatten Schulferien, damit wir beim „Heuet“ mithelfen konnten und ich hatte mich beim Nachbarn verdingt für diese Zeit. Ich bemerkte, dass Jacques nicht mehr viel taugte bei der strengen Arbeit. Er schwitzte schon beim Anblick der Arbeit und beim Mähen (damals noch von Hand mit der Sense) mussten wir ihm die letzte Reihe überlassen weil er so langsam war. Nach dem Mittagessen war er verschwunden und ich wurde ausgeschickt ihn zu suchen. Als ich am Stall vorbeiging hörte ich ein jämmerliches, klägliches Stöhnen im Stall. Ich vermutete sofort, dass jemand von der Heudiele heruntergefallen sei und nun im Stall liege mit gebrochenen Knochen.
Die Geräusche kamen aus der leeren Kälberbox.
Da lag Seline, den Rock hochgezogen und wurde von Jacques „besprungen“ und beide keuchten und stöhnten als ob sie Bauchgrimmen hätten.
Mich amüsierte die Szene und ich zog mich rasch wieder etwas zurück.
Als sie ihr Werk vollbracht hatten rollte Jacques grunzend wie ein Schwein in das Stroh. Seline reichte ihm die Schnapsflasche hinüber und er trank in vollen Zügen als ob es Wasser gewesen wäre.
Wenige Augenblicke später schnarchte Jacques und Seline machte sich an ihm zu schaffen. Sie drehte ihn um, damit sie besser an seine Geldtasche herankam. Ich sah nun wie sie eine rotgelbe, glänzende Münze herausklaubte und in ihr Portemonnaie steckte.
Na, der Freier hatte anscheinend gut getan, mir einen Notpfennig anzuvertrauen.
Ich betrat nun offiziell den Stall, betont lautstark um dem Liebespärchen einen ehrenvollen Abgang zu ermöglichen.
Die beiden Zugstiere mussten eingespannt werden. Am Nachmittag wurde das Heu hereingeholt und da mussten alle anpacken.
Ich hatte den ersten Stier angeredet, ihn am Hals gekrault, das mögen sie nämlich und dann habe ich die Kette vom Nasenring gelöst und das mächtige Tier am Strick hinausgeführt. Es folgte mir willig wie ein zahmes Hündchen an der Leine, dabei war es ein furchterregendes Tier mit spitzen Hörnern, schnaubenden Nüstern, einem schreckhaften Gemüt und tausend Kilo Eigengewicht, vor allem aus Muskeln bestehend.
Bevor ich mein Tier fertig angeschirrt hatte wurde es unruhig, warf den Kopf in die Luft und stiess ein heiseres Brüllen aus. Es musste irgendetwas los sein im Stall drüben. Ketten rasselten, Jacques rezitierte sein Repertoire an französischen Flüchen, immer lauter werdend, begleitet vom Klatschen der Stockschläge. Ich beruhigte mein Tier und dann eilte ich zum Stall hinüber.
Mich erwartete ein Bild des Schreckens. Jacques, an die Wand gepresst und vor ihm der Stier, dumpf brüllend, die weisse Spitze des Horns genau auf der Mitte des Hemdes, die weit aufgerissenen Augen des Knechtes und dann drang die Hornspitze in seine Brust, die mit knacken und splittern dem Druck nachgab.
Zuckend hing der Körper am langen Horn und belästigte den Stier, der sich nun zu befreien versuchte und brüllend den Kopf hin und herschwang.
Schliesslich klatschte der leblose Körper auf den Stallboden und der Stier lief ins Freie.
Ich starrte wie gebannt auf Jacques. Sein Körper zitterte noch leicht, aus der Brust sprudelte sein Blut wie Wasser aus einer Quelle und aus seinem Mund trat blutiger Schaum, die Augen starrten ins Nichts. In keinem Moment hatte er geschrien oder gestöhnt. Er hatte sich nicht mehr wehren können, dieser starke und mutige Krieger. Da war Kraft gegen Kraft angetreten und der andere war der Stärkere. Voilà.
Читать дальше