Er lacht, steht auf und zieht mich dann hoch.
Am Abend bin ich so fertig, dass ich auf dem Boden einschlafe, wo Bay das Lager aus Decken hergerichtet hat. Ich wache erst auf, als jemand mir sachte über die Wange streicht.
„Kleine?“
Ich blinzle in gedimmtes Licht und erkenne En, der neben mir sitzt. „Hi“, bekomme ich verschlafen über die Lippen, dann mach ich die Augen wieder zu, weil sie so schwer sind.
Er lacht leise. „Du hast sie ganz schön fertig gemacht“, sagt er und meint offensichtlich nicht mich.
„Ich trage nur eine Teilschuld. Sie hat mich quasi gezwungen“, erklärt Bay. „Aber keine Sorge. Alles im Rahmen. Ich meine, was wir geübt haben.“
„Kein Problem. Ich danke dir. Es ist spät, geh schlafen. Ich mach das hier.“
„Alles klar. Wir sehen uns morgen.“ Die Tür geht auf und zu, dann ist es still. En legt eine Decke über mich und steht auf. Als ich nachschaue, was er tut, sehe ich ihn in der Küche herumhantieren. Still beobachte ich ihn von meinem Lager aus, wie er sich etwas zu essen macht, dann wendet er sich mir zu und sieht, dass ich wach bin.
Mit einem Lächeln kommt er zurück, sinkt wieder neben mir auf die Decken und hält mir ein halbes Sandwich hin. „Hast du Hunger?“
„Nein“, antworte ich noch immer müde.
„Wie geht’s dir?“
Ich muss grinsen. Seine Lieblingsfrage. „Gut. Danke. Und dir?“
„Auch gut“, lächelt er und beißt in sein Abendessen.
„Was machst du den ganzen Tag?“, will ich wissen, denn seit geraumer Zeit ist er nicht mehr 24 Stunden am Tag an meiner Seite. Nicht das mich das stören würde. Er soll sein Leben nicht nach mir ausrichten. Um Himmels willen. Aber er erzählt auch nicht, was er so tut.
„Ich bin bei Said und unten im Haus. Wir bekommen in letzter Zeit mehr neue Stadtbewohner und ich helfe, sie unterzubringen und zu integrieren.“
„Aha.“ Ob er mich mal mitnehmen würde? Ich würde schon gern mal hier rauskommen. „Nimmst du mich mal mit oder ist das blöd?“
Sein Blick wird nachdenklich. „Ich denke, das könnte ich tun.“
„Aber?“
„Wir müssen sehen, dass wir nicht gerade einen Tag erwischen, an dem ich viel unterwegs bin. Meist muss ich mehrmals quer durch die Stadt, das würde glaube ich, nicht so gut funktionieren.“ Er nickt kurz zum Rollstuhl.
„Mm. Okay.“
„Wenn es nicht unbedingt, meine Arbeit sein muss, vielleicht hast du Lust, einfach so einen Tag in der Stadt zu verbringen? Wir könnten bummeln gehen. Vielleicht ein bisschen einkaufen, oder so. Oder einfach irgendwo einen Tee trinken.“
Meine Freude scheint auch ihn zu erfassen, denn auch Ens Lächeln wird breiter, als ich nicke und breit grinse.
„Gut. Ich werde morgen sehen, dass ich einen freien Tag bekomme, dann machen wir das so bald wie möglich. Und ich muss dir warme Sachen besorgen. Es ist saukalt draußen.“
8
Der Elf hat mich dick eingepackt und schiebt mich auf direktem Weg in unser neues Lieblingscafé. Seit zwei Wochen gehen wir jeden Nachmittag hier Kuchen essen und er erzählt mir von seinem Tag. Es macht Spaß, so was Normales zu tun. Und es fühlt sich gut an, nicht mehr nur in der Wohnung zu hocken und darauf zu warten, dass etwas passiert.
Manchmal begleiten seine Geschwister uns. Alle außer Ristan. Ihn habe ich noch nicht kennengelernt. En will es nicht und es scheint ihm echt gegen den Strich zu gehen, dass ich so neugierig deswegen bin.
Bent, Basil und Cara sind dagegen total okay für ihn. Das ist so merkwürdig. Wieder so was Seltsames. Ristan setzt sich, den Erzählungen meiner Freunde nach, richtig für die Stadt ein. Er besorgt Vorräte und Waffen. Er schickt seine Leute aus und unterstützt Saiden, den ich auch noch nicht kenne, wo er nur kann.
Er hat ja sogar seine eigene Stadt in den Hintergrund gerückt, um für Ryél da zu sein. Okay, Fraya, Ens zweite Schwester ist dortgeblieben und kümmert sich, aber sie ist nun mal nicht die Regentin.
Trotzdem hegt Enyo einen tiefen Groll gegen seinen ältesten Bruder. Niemand gibt mir Antworten deswegen und ich merke, wie es mich immer mehr frustriert, dass mein Gedächtnis so gegen mich arbeitet.
Ich glaube, manchmal träume ich von Dingen, die passiert sein könnten. So wie die Sache mit Bay im Krankenhaus. Aber die scheinen alle so unwirklich zu sein, dass ich mir nicht sicher bin, was echt sein könnte und was Traumgeschehen ist. Ich traue mich allerdings auch nicht, En von den Träumen zu erzählen. Einiges davon ist wirklich erschreckend und ich habe ein bisschen Angst, es könnte wahr sein.
„Jedenfalls kommen morgen die Akquisiteure aus dem Norden zurück“, erzählt Bent gerade. „Sie haben lange nichts von sich hören lassen. Ich bin gespannt, was sie berichten.“
Ich sehe, wie sein Blick sich auf etwas hinter mir richtet und dann zu En schnellt, der neben mir sitzt. Irgendwie wirkt Bent alarmiert. Ich drehe mich um und werfe einen Blick über die Schulter. Eine junge Frau, ungefähr in meinem Alter kommt freudestrahlend auf uns zu.
„Tyree!“ Sie kommt bei uns an und nimmt mich von hinten in die Arme. „Hey! Wie geht es dir? Ich hab dich ewig nicht gesehen. Du siehst gut aus!“
Ah ja, okay. Mein Blick geht fragend zu En, der missmutig den Kopf schüttelt.
„Lillith“, sagt er und ich weiß nicht, ob er sie jetzt grüßt oder es nur feststellt.
„Hallo Leute!“, grüßt sie die Runde und bekommt von jedem außer En ein Lächeln. „Ich will gar nicht lange stören. Ich hab euch nur gesehen und Ty, wirklich, du siehst echt erholt aus. Wir sollten mal einen Kaffee zusammen trinken. Ich bin so froh, dass du wieder auf den Beinen bist.“
Ist das ein schlechter Scherz? „Auf den Beinen ist gut“, bemerke ich und ziehe die Brauen hoch.
„Oh. Ehm. Entschuldige, so war das nicht gemeint. Ich meinte, dass ich froh bin, dass du wieder wohlauf bist.“
„Na ja. Es gab sicher schon bessere Tage, aber danke, ehm Lillith, ja?“
Ihr Ausdruck wird verwirrt und einen Moment später erschrocken. „Oh mein Gott. Ty! Entschuldige! Ich hab nicht dran gedacht! Das tut mir so leid! Du weißt noch nicht, wer ich bin? Ich meine, du kannst dich noch nicht an mich erinnern? Ich dachte, weil du hier bist und so.“
„Kein Problem“, beruhige ich sie, weil es ja okay ist. „Ich freue mich, neue alte Bekanntschaften zu machen.“
„Wirklich? Oh gut. Ich meine, schön. Weil wir kannten uns ja recht gut. Ehm, ja.“ Sie senkt betreten den Blick.
„Ich würde gern mit dir reden. Ich denke, du weißt, wo ich wohne? Besuch mich gern. Wenn dich seine Anwesenheit nicht stört?“ Ich deute auf Bay, denn egal was kommt, mein Training mit ihm wird nicht ausgelassen.
Sie schaut ihn kurz an und lächelt dann erleichtert. „Nein, tut es nicht. Ich komme gern vorbei. Wann passt es dir denn?“
„Mhh. Wenn du willst, dann Mittag oder abends.“
„Nicht abends“, wirft En ein. „Das ist meine Zeit mit dir.“
Ich muss schmunzeln. Besitzergreifend ist er auch. „Na gut, dann Mittag oder früher Nachmittag.“
„Alles klar“, freut Lillith sich und wippt auf den Füßen vor und zurück. „Dann morgen gegen zwölf. Ich bring was zu essen mit. Ich freu mich.“ So sehr, dass sie jetzt sogar leicht hüpft.
„Alles klar.“
Sie winkt in die Runde und dreht ab. En atmet hörbar aus.
„Magst du sie nicht? Sie war nett.“, frage und halte ich fest.
Er schüttelt nur den Kopf.
Ich seufze. „Du weißt, dass ich irgendwann alles erfahren werde?“
„Leider.“
„Dann sag’s mir doch gleich, Elf.“
Bent grinst seine Kaffeetasse an und Bay lacht leise auf.
„Wo sie recht hat, En“, stimmt Cara mir feixend zu.
Enyo atmet tief durch und meint dann: „Lillith ist eine Hexe. Eine ná Aleárth.“
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