1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 „Prima. Und was ist das?“ Er hebt das Buch an.
„isch.“ Nein, halt. Das ist ein Buch. Buch, Ty. B-u-c-h. „Bug.“
Bay grinst. „Fast. Bu ch .“
„Bug.“ Alter! Ich presse die Lippen zusammen und fixiere das Buch mit den Augen. „Buch!“
„Klasse! Super, Kleine.“ Bay freut sich ehrlich und auch ich kann nicht anders, als zu grinsen. „Wollen wir weitermachen?“, fragt er und wirkt aufgeregt.
Ich nicke und schon steht Bay und sucht allerlei Kram zusammen, dem ich dann seinen richtigen Namen geben soll.
Spät am Abend liegt der halbe Hausstand im Wohnzimmer und wir beiden sitzen mittendrin. Es macht richtig Spaß, mit ihm zu üben und so frustrierend manche Worte sind, weil ich sie einfach nicht über die Lippen bekomme, umso mehr freue ich mich über jedes richtige.
Als En nach Hause kommt und das Chaos sieht, bleibt er überrascht und verwirrt in der Tür stehen. „Was ist denn hier passiert?“
„En!“, begrüße ich ihn freudestrahlend und seine Verwirrtheit weicht einem unschlagbarem Lächeln.
„Hey. Du bist ja gut drauf“, freut er sich und kommt rüber, wobei er aufpassen muss, nicht über irgendwas zu fallen. „Was habt ihr denn hier gemacht?“
„En. En, höre“, sage ich und will seine Aufmerksamkeit.
„Ich höre“, grinst er und sinkt neben dem Rollstuhl in die Hocke.
Ich deute auf das Buch in Bays Hand. „Buch, En.“ Ich zeige auf den Stift daneben. „Stift.“ Mein Blick trifft seinen.
„Richtig. Sehr gut.“
Das war nicht alles! Warte, Elf! Voller Vorfreude zeige ich auf Bay. „Bay ist Ens Bruder.“
Ens Grinsen wird breiter. „Hey. Alles klar. Das habt ihr gemacht? Ihr habt sprechen geübt?“
Ich nicke. „Ja. Ich kann. En.“
Er nimmt meine Hand und küsst sie. „Sehr gut. Finde ich super. Nur übertreibt es nicht. Du musst langsam machen, Ty.“
Ich verdrehe die Augen. „Nerv nicht.“
Bay lacht auf und auch Enyo schmunzelt.
„Jetzt weiß ich, wie du das vorhin gemeint hast. En nervt also immer? Okay.“
„Ja, das sagt sie am liebsten“, bestätigt der Elf neben mir immer noch grinsend. „Aber ich höre nicht auf.“ Er lächelt frech zu mir. „Gut. Es ist aber spät. Für heute ist Schluss, okay?“
Ich nicke, weil ich wirklich müde werde.
„Ich helfe Ty noch kurz, wartest du, Bay?“
„Klar. Ich räum mal etwas auf hier.“ Sein Blick schweift über das Chaos.
„Nicht viel“, weise ich ihn an, denn wir brauchen die Sachen wieder. „Morgen, Bay.“
„Ganz wie die Dame es wünscht“, gibt er mir vornehm zurück und neigt leicht den Kopf. Dann schiebt En mich ins Bad, damit er mir beim Waschen und Umziehen helfen kann.
6
Ich reiche Basil ein Bier und lasse mich dann neben ihm auf das Sofa fallen. Er hat ein bisschen Ordnung gemacht, ist aber Tys Wunsch nachgekommen und hat vieles nur zur Seite und auf einen Haufen geräumt.
„Ihr habt also sprechen geübt?“, frage ich noch mal, auch wenn ich die Antwort ja schon kenne.
„Jupp. Und bevor du austickst, ich hab aufgepasst, dass es sie nicht überfordert.“
„Die Ärzte sagen ...“
„Sie sagen, was sie denken, was sie für richtig halten“, unterbricht er mich. „Aber sie wissen nicht, was Ty für okay hält.“
„Aber sie sind die Ärzte, nicht Ty oder wir.“
„Stimmt schon. Aber Dicker, du hast doch selbst gesehen, wie glücklich sie war. Wann hat sie das letzte Mal so gestrahlt, hm?“ Er hat recht. Sie hat sich so gefreut, das war lange nicht. Sonst ist Ty immer genervt. Verständlicherweise. Trotzdem will ich nicht, dass sie es übertreibt. Sie ist immer noch in der Genesungsphase.
„Ich versteh’s ja“, gebe ich zu. „Trotzdem. Bitte macht langsam.“
„Mach dir keinen Kopf. Ich passe schon auf. Und jetzt erzähl. Was gibt es Neues von der Belagerungsfront?“
Den Kopf an die Sofalehne gelehnt erzähle ich Bay, was heute in der Ratssitzung gelaufen ist. „Leodrín und Kattár weichen wie erwartet keinen Schritt zurück. Verhandlungen blocken sie vollkommen ab. Wahrscheinlich denken sie immer noch, sie könnten uns irgendwann aushungern.“
„Sie haben also noch keine Ahnung von den Tunneln?“
„Sieht jedenfalls nicht danach aus. Ristan meint zwar, es sind wieder vermehrt Suchtrupps unterwegs, aber die sind alle nah am Stadtrand. Keine Gefahr also für die Tunnelwege.“
Es gibt derzeit drei davon und alle sind in unterschiedliche Richtungen gegraben worden. Sie sind wahnsinnig lang und führen weit verzweigt, in einer Art Labyrinth unter der Stadtgrenze durch und dann weit ins Umland. Jeder Tunnel hat nur einen Eingang draußen und drinnen. Aber unzählige Gänge unter der Erde führen davon ab und in Sackgassen.
Selbst wenn der Feind eine der Unterführungen finden würde, würde er sich höchstwahrscheinlich verlaufen und sterben, bevor er der Stadt auch nur zu nahekommt. Nur die Räte haben Karten bekommen und jeder von ihnen hat nur wenige Vertraute, denen sie den richtigen Weg zeigen durften.
„Wie weit ist der Tunnel nach Norden?“, will Bay weiter wissen.
„Sie brauchen noch drei oder vier Tage, dann werden sie an die Oberfläche graben.“
„Super. Und die Akquisiteure, die raus sollen? Ist da alles bereit?“ Er meint die Gruppen, die zeitnah ausgeschickt werden sollen, um neue Leute nach Ryél zu holen. Hier ist es egal, welches Volk. Es geht darum, neue Mitstreiter zu finden, die sich für die Menschenrechte einsetzen wollen. Mehr Befürworter machen eine größere Masse, die eindrucksvoller wirkt, wie Saiden sagt.
„Die sind so gut wie reisefertig. Ein paar Kleinigkeiten noch, dann brechen sie auf“, erkläre ich.
„Was machst du dann? Gehst du mit?“
Dafür bekommt er einen schiefen Blick von mir. „Nein?! Und frag jetzt bloß nicht blöd, warum.“
„Aber du hast das alles ins Leben gerufen. Willst du dann hier einfach warten und sehen, was passiert?“
„Ja.“
„Ty hätte ...“
„Halts Maul, Bay! Ich will nicht hören, was sie hätte und wollte. Sie braucht mich hier!“
„Wenn du meinst.“
„Was habt ihr heute gemacht? Nur geübt?“, will ich dann wissen.
„Größtenteils. Es macht Spaß und sie will das wirklich. Klar, ab und an ist es frustrierend für sie, wenn irgendein Wort einfach nicht klappt. Aber die Kleine ist immer noch die ...“ Bay verstummt, starrt ins Leere und man könnte meinen, ihm wäre gerade jemand über den Fuß gefahren, denn sein Mund steht zu einem lautlosen a offen.
„Bay? Geht’s dir gut?“
Er dreht den Kopf und starrt nun mich an. „Scheiße! En!“ Er schließt die Augen und vergräbt dann das Gesicht in den Händen. „Bei allen Göttern! Ich bin so bescheuert!“
„Stimmt. Und sagst du mir noch, was los ist?“
Er schaut auf und strahlt mich freudig an. „Sie hat sich erinnert, En!“ Er lacht auf. „Ich hab’s nicht gecheckt, weil ihre Worte keinen Sinn ergeben haben. Jetzt hab ich’s!“
Augenblicklich sitze auch ich gerade. „An was hat sie sich erinnert?“
„Sie meinte was mit schlafen und ich und sie und Hörer . Ich hab’s nicht gecheckt. Aber sie muss gemeint haben, dass ich wohl was gesagt habe, während sie geschlafen hat. Es muss irgendwann im Krankenhaus gewesen sein, aber mir fiel vorhin nichts ein, was es hätte sein können. Ich meine, dass ich sie mal geweckt hätte oder so. Alter, sie meinte, dass sie mich gehört hat, als ich mit ihr geredet habe. Weißt du noch? Das eine Mal, wo ich kurz allein mit ihr war. Ich hab sie gefragt, ob sie noch die Kämpferin ist, die ich kenne und dass sie doch aufwachen soll. Du hast mir später dafür gedankt, weil du dachtest, sie hätte auf mich gehört. En! Sie hat mich gehört! Und sie weiß es wieder!“
Читать дальше