1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 »Und obendrein schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klapp … vielleicht!« Er strahlte übers ganze Gesicht. Und rammte seine rechte Faust in die linke Handfläche. »Wir bekommen auf diese Weise die letzten Betten in den Asylantenheimen belegt. Das bringt auch noch mal einen kleinen staatlichen Obolus! Junge! Die Idee ist magnifico! Grandioso!«
Sie machten einen Spaziergang. Einige Fischer saßen auf einer Bank vor einer Bar, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. Sie spielten mit ihren halbvollen Gläsern. Sie hörten einem anderen zu, der vor ihnen stand und einen Vortrag zu halten schien. Ein Stück weiter machte sich einer in einem blauen Overall an seinem Ruder zu schaffen. Ein anderer verpasste seiner verrosteten Reling einen neuen Anstrich und war dabei, ein weiteres Stück Geländer mit Sandpapier abzuschleifen. An seiner bunten Hose konnte man ablesen, dass er schon einige Zeit mit diesen Malerarbeiten verbracht hatte. Aus der Ferne hörte man schwere Hammerschläge auf Eisen prallen. An einem Tisch in der Bar spielten vier Leute Karten. Man brauchte sie nach ihren Geschäften nicht zu fragen. Man sah es. Die Leute machten einen gelangweilten Eindruck, aber die beiden fühlten sich beobachtet. Die Fischer hatten sie im Auge. Was wollten die beiden Fremden von ihnen, die absolut nicht hierhin gehörten, ja, hier nichts zu suchen hatten?
Sie bestellten zwei Espresso. Schauten den Leuten beim Kartenspiel zu. Einer mischte, die anderen sahen sie vorsichtig respektvoll an.
»Habt Ihr einen Sprecher?«, fragte Onkel Antonio einfach so in die Runde.
Nach einer Schweigeminute entschloss sich einer zur Antwort.
»Der kommt heute Abend, hat dann aber keine Zeit für ein Palaver. Er ist heute an der Reihe mit Rausfahren«, bekam er als schroffe Auskunft. »Da hat er alle Hände voll zu tun … Außerdem spricht er nicht mit feinen Pinkeln!«
Der Kartengeber stellte sein Mischen ein, wandte sich um: »Wir verkaufen nicht!« Er teilte die Karten aus und musterte die beiden Fremden biestig von oben bis unten. »… und schließen uns auch niemandem an!«
Von den anderen kamen Handbewegungen, die darauf hinwiesen, dass die beiden sich vom Acker machen sollten.
»Buongiorno, Abdel, wie geht es meinem Freund? Alles zufrieden? Was machen die Geschäfte?«
Abdel, 25, groß gewachsen, tiefschwarze Haut, so schwarz wie der Bildschirm seines Smartphones, dass hinten einige Zentimeter aus seiner Hosentasche herauslugte, krauses Haar, hatte seinen Stand an der Promenade aufgebaut und wartete auf Kunden. Auf einer langen Platte, die aus zwei zusammengestellten Campingtischen mit weißer Decke bestand, hatte er seine Waren ausgebreitet. Sie bestanden jetzt bei Sonnenschein zu drei Vierteln aus Sonnenbrillen. Der Rest teilte sich auf in kleine Lederarmbänder, einfachen Portemonnaies, Gürteln und afrikanisch anmutenden Umhängetaschen. Viele Schnitzereien, die besonders bei Frauen und Kindern Anklang fanden, wie Elefanten, Tiger und Antilopen aus Macoré-Holz, nahmen auf seinem Stand einen breiten Raum ein. Bei Regen änderte sich das Sortiment zu Gunsten von Regenschirmen und Capes. Er lehnte mit seinem schmächtig erscheinenden Körper an einem Laternenpfahl, die Beine übereinander geschlagen, und beobachtete die Passanten. Seine Hose wurde mit einem Stück Wäscheleine gehalten.
Abdel stammte aus dem Nordwesten des Senegal, wo er bei der Erdnussernte half. Jeden Sommer kam er nach Italien und verdiente seinen Lebensunterhalt und den seiner Frau und Eltern als Fliegender Händler in Sachen Kleinkram. Er lief mit ganzen Bügelstangen auf der Schulter den Strand entlang und verkaufte im Namen verschiedener Geschäfte T-Shirts und Kappen. Seit zwei Jahren hatte er nun diesen Stand in Boccadasse. Die Arbeit war nicht so hart und brachte mehr ein. Sie war sogar an manchen warmen Tagen, wenn die Kundschaft müde war und nicht so scharf handelte, recht einträglich. Er und seine Kollegen waren stadtbekannt und geduldet. Kam ein Beamter der Behörden am Stand vorüber und erkundigte sich nach den Geschäften, bedankte er sich mit einem Geschenk. Das bestand meistens aus einer Sonnenbrille oder einem Gürtel und sorgte dafür, dass er wieder einige Tage unbehelligt seinen Geschäften nachgehen konnte.
»Es geht«, dabei zeigte er seine hellen leeren Handflächen. »Die Zeiten sind schlechter geworden, die Italiener hüten ihr Geld. Aber … ich möchte mal nicht klagen. Es wird schon wieder. Die Saison hat ja gerade erst begonnen. In der nächsten Woche ist Ferienbeginn und am Wochenende werden die ersten Touristen kommen, die ihre Sonnenbrillen vergessen haben. Die Kinder stehen auf diese Armbänder. Die Väter nehmen am Ende des Urlaubs alle neue Gürtel mit. Abwarten. Am Ende der Saison wird abgerechnet.« Er war der geborene Optimist und wenn er lächelte, zeigte er dabei eine Zahnlücke beim linken Augenzahn seiner ansonsten makellosen strahlend weißen Zähne, um die ihn manche Italienerin beneidete.
»Schöne Grüße vom Don«, der Bote, ein cooler italienischer Twen, trat lässig wippend einen Schritt auf ihn zu, leicht nach vorne gebeugt, die Hände bis an die Knie in den Hosentaschen vergraben, eine Colaflasche in der Gesäßtasche, die ebenfalls beinahe bis in seine Kniekehlen hinabreichte. Man hätte meinen können, er hätte die Hose von seinem größeren Bruder geerbt. »Er hat eine Nachricht für deinen großen Freund. Er lässt fragen, ob er Zeit für ihn hat und ihn mal besucht. Er hat verschiedentlich versucht, den Mann zu erreichen, aber er ist unauffindbar. Kannst du helfen?«
»Wann ist es ihm recht?«
»Heute Abend …? Gegen neun Uhr? Er ist eingeladen mit ihm zu Abend zu essen.«
»Er wird heute nicht können. Er ist unterwegs. Geschäfte. Er sitzt die ganze Nacht im Flugzeug und kommt erst morgen früh zurück. Dann könnte er kommen. Neun Uhr morgen Abend? Ist das ok? Soll ich ihm das so ausrichten?«
Der Bote tippte an seine Baseballmütze, schwarz mit den ineinander geschriebenen Buchstaben NY über dem Schirm, was für New York Yankees stand. »Geht klar!« Er drehte sich mit elegantem Schwung und geschlossenen Füßen auf seinem Absatz herum und drehte ab.
»Grüße den Don von mir«, rief er noch hinterher.
»Danke!«
Abdel zog sein Smartphone aus der Tasche und schickte seinem Anführer eine Nachricht, »Abendessen morgen 9h«. Dann wusste dieser Bescheid. Abdel freute sich über diesen Auftrag. Es war immer mit einem kleinen Nebenverdienst zu rechnen. Außerdem garantierte es ihm einen ungestörten Aufenthalt, wenn er sich so nützlich machen konnte und alles klar ging.
Gegen Abend räumte Abdel seinen Tisch ab, klappte alles zusammen und lud seine Habe in einem mächtigen Wanderrucksack auf seinen Rücken. Die Tische kettete er an die Laterne. Morgen war wieder ein Tag. Er hatte es nicht weit. Er teilte sich ein abgelegenes verwahrlostes, rot gestrichenes Haus am Rande der Bucht mit wechselnden Mitbewohnern. Ab und an kam jemand vorbei und verlangte eine Miete oder wollte eine Aufenthaltsgenehmigung sehen. Das war dann mit einer kleinen Spende für die Kinder des jeweiligen Kontrolleurs abgegolten.
Mustafa Baruka wurde schon erwartet. Punkt neun Uhr, was in der Muttersprache der Wolof auch halb zehn hätte heißen können oder noch später, war er da. Er hatte sich im Laufe der Jahre, die er schon in Italien war, an verschiedene Regeln gewöhnt. Groß und stark, mit breiten Schultern, kahl geschorenem Kopf und einer goldenen Sonnenbrille im Gesicht, stand er in seinem fast weißen Anzug vor der Tür. Eine dicke Kette glänzte unter seinem bis zur Brust offenen Hemd und eine mächtige Uhr schmückte sein Handgelenk. Ein breites Grinsen auf seinem Gesicht strahlte förmlich Fitness aus.
»Hallo Mustafa, herzlich willkommen. Tritt ein!«, wurde er herzlich begrüßt. Der Don ließ es sich nicht nehmen, seinen Gast persönlich zu empfangen. Er war einer der wenigen Menschen, die diesen beim Vornamen nennen durften. Er trat einen Schritt beiseite und ließ seinen Besuch vorgehen. Der bedankte sich für die Einladung mit einem kurzen Händedruck und ging mit lockerem Schritt zur Terrasse. Er blieb einen Augenblick stehen und hielt sich die Hand wie einen Schirm über die Augen, weil die Abendsonne ihn einen Augenblick blendete. Dann entdeckter er Giulio, der ihn auf der Terrasse erwartete und sich sogleich erhob.
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