Werner Siegert - Der Tod ist keine Frau

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Dr. Hans Temme, Werbekaufmann, 47, leistet sich den kleinen Luxus, in einer alten Burg im Rupertiwinkel, nahe Laufen an der Salzach, ein Appartement anzumieten, als Rückzugsort, zum Malen, Meditieren, Faulenzen. Völlig überraschend besucht ihn dort eine junge Frau. Sie redet ihn vertraut mit Vornamen an. Er vermag sich nur schemenhaft zu erinnern. In seiner Verlegenheit nennt er sie Annemarie. Sie lässt sich auf das Spiel ein. Sie weiß sehr viel über ihn, er so gut wie gar nichts. Er ist mehr als ein Idol für sie. Ihn erfüllen Ängste. In seiner Verlegenheit lädt er sie zu einer Wanderung ein. Sie finden näher zu einander. «Annemarie» quartiert sich bei ihm ein. Auf ihrem Kofferanhänger steht nur «I.v.D». Als Temme am nächsten Morgen aufwacht, ist sie weg. Spurlos verschwunden. War sie eine Todesbotin? Gab es sie überhaupt? Temme beginnt an sich selbst zu zweifeln. Halluzinationen? Wochenlang versucht er, die Ereignisse in der Burg zu verdrängen. Da – anlässlich einer Reise in die Schweiz, begegnet er dieser Frau wieder, kann sie aber nicht ansprechen. Jetzt nimmt er die Suche auf, wie ein Detektiv. Er stößt auf das Touristik-Unternehmen «Thema-Reisen GmbH». Doch kaum hat er endlich Näheres erfahren, liest er in der FAZ die Todesanzeige von «Imogen von Drabenegg». Noch in der Nacht rast er über die Autobahn nach Kronberg im Taunus. Aus diskreter Entfernung wird er Zeuge des Begräbnisses, als ihn jemand von hinten antippt. Er dreht sich um: Vor ihm steht seine «Annemarie», in Wirklichkeit Madlon von Drabenegg. Die Zwillingsschwester der Verstorbenen. Temme wird überraschend zum Mittelpunkt der Trauerfamilie. Er muss sogar spontan als Reiseleiter einspringen, als Madlon bei einem Schwächeanfall stürzt. Erst als sie ihn wieder ablösen kann, in der Schweiz, finden sie endgültig zu einander, müssen aber auch erkennen, dass ihre beiden Berufe, die sie mit Leidenschaft und Profession ausüben, eine bürgerliche Ehe kaum zu lassen.

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Werner Siegert

Der Tod ist keine Frau

Roman

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Inhaltsverzeichnis Titel Werner Siegert Der Tod ist keine Frau Roman Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

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Eine flüchtige Begegnung

V e r w i r r u n g e n

Irrlicht im Klostergarten

Eine heiße Spur

T o t e n t a n z

IMOGEN VON DRABBENEGG

T r a n s i t i o n

E r i n n e r u n g e n

W o r p s w e d e

Rosen auf steinernen Treppen

Die Geschichte einer Flucht

D i e R e i s e z u m D u

D i e Z u k u n f t - e i n V e r s u c h

Impressum neobooks

Eine flüchtige Begegnung

Wollte ich mich heute noch daran erinnern, wie hoch die alte Burg über dem Dorf lag, könnte ich es mir nicht genauer ins Gedächtnis zurückrufen als durch diese Beschreibung: Man konnte von oben erkennen, dass ein Mädchen unten zwischen den Häusern und Ställen hindurch lief und herauf winkte. Und dass es eine weiße Bluse anhatte. Denn dieses Bild hat sich mir tief eingeprägt.

Ein Mädchen - oder erkannte ich eine junge Frau? - kam hinter den Häusern hervor, lief einige schnelle Schritte an der alten Scheune vom Jennerbauer entlang, blickte nach oben zu mir. Ich stand ganz zufällig, um meinen Augen einen Moment der Erholung zu gönnen, am offenen Fenster. Sie winkte und nahm dann mit hastigen Sprüngen den Abkürzungspfad über den Wiesenhang.

Ich erwartete keinen Besuch. Ich erwartete keine junge Dame. Ich erwartete in dieser von Hinfälligkeit zernagten Klause überhaupt niemanden - es sei denn .... mich selbst. Und dennoch zweifelte ich nicht eine Sekunde, dass das Winken mir gegolten hatte und dieses Mädchen bald vor mir stehen würde, ein wenig keuchend - denn der Hang war steil - mit lachsroten Wangen und aufgelöstem Haar. Irgendein Zauber, eine magische Wolke (wenn es so etwas geben sollte), ein Zukunftshologramm ließ mich mit absoluter Transparenz im Voraus erkennen, was sich - vor einer Sekunde noch jeglicher Phantasie entrückt - hier gleich abspielen würde. Ich wusste, dass wir uns in die Arme schließen und ein langer, vieles erzählender Kuss eine ebenso köstliche wie geheimnisvolle Schlinge um uns ziehen würde. Ja, ich war dessen so sicher, dass ich hastig begann, dies und jenes zu ordnen, nicht um irgendetwas zu verbergen, sondern um dieser Frau ein schöneres Willkommen zu bieten.

Wenn ich von einer Burg geschrieben habe, dann mag das zu Missverständnissen Anlass geben. Hier oben wohnten damals die Ausgeflippten, die Unsteten, die Gescheiterten, die Flüchtlinge der Gesellschaft. Hier oben wohnten eigentlich die, die unten waren.

Unten im Dorf war das geregelte Leben. Waren die geordneten Vermögensverhältnisse, war das Eigentum ordentlich vermessen und im Kataster eingezeichnet. Da gab es noch Alteingesessene, Menschen, deren Haut von der Arbeit auf dem Felde gegerbt und deren Rücken vom Pflanzen, Jäten, Ernten und Tragen gekrümmt wurde. Meist waren sie nicht über die nähere Umgebung hinausgekommen. Vielleicht hatte irgendein spendabler Firmpate sie mal zu einer Reise nach Salzburg oder gar München eingeladen. Aber dort war ganz sicher für viele von ihnen die Welt zuende, und das genügte ihnen auch. Natürlich knatterten gelegentlich schon Mopeds über das Kopfsteinpflaster. Auch schwere Maschinen heulten auf, wenn die Jüngeren von der Arbeit in den umliegenden Gewerbestädtchen zurückkehrten oder - später dann - zu Disco, Kino und Imponierkorso wieder abbrausten. Alles ging tagaus, tagein seinen Lauf.

Die Burg- oder Schlossherren lebten schon längst nicht mehr. Kein Adliger trug - soweit mir bekannt war - heute noch den Namen dieses vergammelten Anwesens, das einst Herrschaftssitz, Zollstätte und Raubritterburg, später Jagdschloss und Refugium wilder oder auch verträumter Grafen war. Das Geschlecht verarmte. Mit der Ökonomie hat es offensichtlich ebenso gehapert wie mit der politischen Klugheit und der Heiratsstrategie. Irgendwann hat es sich dann endgültig auf die falsche Seite geschlagen. Ein besonders Widerspenstiger wurde eingekerkert und enthauptet, jedenfalls erzählte man sich das. Der Besitz wurde zerschlagen, verschleudert und geplündert. Später suchten wechselnde Herrschaften die restlichen Baulichkeiten zu nutzen. So dienten sie als hoheitliche Verwaltungsräume, als Hofhaltung des Gauleiters in der Nazizeit, als Fliegerleitstelle im Krieg, als Garnisonsgefechtsstelle, als Unterstellräume für Kunstgegenstände, als Flüchtlingslager, als Kommandantur der einrückenden Amerikaner, als Puff, als Umschlagplatz einer Schwarzmarktmafia mit dicken, protzigen Ami-Schlitten. Dann war einer ebenso spinnert wie eloquent, dass er die Gemeinde für den Plan zu begeistern vermochte, den Burghof für Freilichtaufführungen zu nutzen und durch jährliche Ritterfestspiele Weltruf zu erlangen. In der Tat, die Komparserie war ja schon da; denn insgesamt kann man an der Aufzählung unschwer erkennen, dass das Burgschloss stets seiner Bestimmung treu geblieben war, von jenen bewohnt zu werden, die sich auf die falsche Seite geschlagen hatten.

Daran hatte sich bis zum heutigen Tage nichts geändert. 17 Namensschilder, deren Internationalität sich nicht nur durch Schreibweise und Wortklang, sondern auch durch ihre Sorgfalt oder Unbekümmertheit verrieten, wiesen den Besucher zum Beispiel „ganz hoch, unter Dach, fünftes Türr links". Auch einige Klingeldrähte verwurstelten sich zur Gewölbedecke, als habe man bunte Spaghetti mit einer Gabel empor gezerrt. Einige stammten sicher noch von der deutschen Wehrmacht, andere aus US-Beständen. Meist war die Klingel jedoch nur Statussymbol. Der Draht endete im Nirgendwo. Die Fortsetzung diente wahrscheinlich längst im Hof als Wäscheleine. So, das mag genügen, um dem Ruch zu entkommen, diese Geschichte entspringe im Schlossherrenmilieu und die Gänsemagd schicke sich gerade an, den feschen Junker zu verliebäugeln.

Übrigens - die Miete zahlte man an die Gemeinde. Es war eher eine symbolische Handlung, denn die Summe war der Rede nicht wert. Stets in der Hoffnung, es verirre sich eines Tages ein stinkreicher Amerikaner nach T. und wolle ein echtes deutsches "castle" kaufen, es zerlegt, Stein für Stein nummeriert und verpackt nach Texas schicken oder an Ort und Stelle zu einem romantischen Hotel und Party-Place ausbauen, ließen sich die Gemeindeväter stets auch die Erklärung unterschreiben, monatliche Kündigung sei vereinbart.

Hatte ich mich auch auf die falsche Seite geschlagen? Dies zu beantworten, überlasse ich meinen späteren Leben. Diese Geschichte ließ es zunächst vermuten. Zwei der ehemaligen Prunkräume hatte ich billigst von einem Maler übernommen, der hier Zuflucht gesucht hatte, aber seines Rheumas wegen seinerseits wieder die Flucht antreten musste. Überhaupt, so glaube ich, war das Rheuma einer der strengsten Herrscher unter dem schwammsüchtigen Gebälk. Man war auf elektrische Heizungen angewiesen, hier jedoch zu niedrigen Anschlusswerten gezwungen, weil die Installation abenteuerlich genannt werden musste. Uralte Steckdosen, teils noch aus vielfach gesplittertem Porcellan (mit "c"!) und nur in meinen Rittersälen als Hinterlassenschaft der Army bereits aus hässlichem Bakelit, wiesen jeden Schukostecker von sich. Brände brachen wohl nur deshalb nicht aus, weil dafür nun wirklich alles zu feucht war.

Warum mietete man eine solche Bruchbude? Dafür gab es drei überzeugende Argumente. Eines und das wichtigste breitete sich vor dem Betrachter aus, wenn er aus den Fenstern weit in die Landschaft schaute, bei Föhn bis tief ins Gebirge. Heute, an diesem Maientag über die prangende Baumblüte, über das strotzende Frühlingsgrün bis zu den näheren Höhenzügen, von denen schlanke Barockzwiebeltürme herübergrüßten. Wer hier aus dem Fenster sah, pflegte sofort zu fragen "Ist hier noch etwas frei?" und hielt den Bewohner fortan tatsächlich für einen Schlossgrafen. Der zweite Grund, hier dem Gliederreißen zu trotzen, war die Abgeschiedenheit ohne Telefon - eine Fluchtburg für Kreativität. Und drittens war es ein herrliches Gefühl, wenn man in den Büros der nicht gar zu nahen Großstadt München saß, sich sagen zu können: Ich kann jederzeit "auf mein Schloss" fahren, und dann könnt ihr mich alle mal. Allerdings musste man der Verlockung widerstehen, irgend jemandem ein Sterbenswörtchen von diesem Paradies zu verraten oder auch nur eine Andeutung zuviel auszuplaudern.

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