„Das ist ja widerlich. Sprich die Wache an, die sollen einen Abdecker verständigen. Aber der muss einen großen Wagen samt Kran mitbringen, da liegen mindestens zwanzig Rinderhälften rum. Lass uns verschwinden, die können sich melden, wenn sie hier sind.“
Neunzig Minuten später war der Fahrer der Tierkörperbeseitigung auf dem Parkplatz. Der Streifenführer der Autobahnpolizei schaute skeptisch auf den roten lackierten Hubkran, der hinter dem weißen Führerhaus montiert war und die Tierkadaver in den silbernen Container hieven sollte.
„Der schafft was, keine Angst“, brummte der Fahrer zwischen zwei Zügen an seinem Zigarillo, als er den abschätzigen Blick bemerkte.
„Der Lkw stinkt ja jetzt schon zum Himmel. Zum Aufladen brauchst du uns ja bestimmt nicht, oder?“
„Ist nicht meine erste Tour heute. Zeigt mir die Stelle, an der ich am dichtesten herankomme, dann könnt ihr abhauen.“
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Der Streifenwagen kam mit hohem Tempo in die Abfahrt des kleinen Rastplatzes gefahren. Die Reifen sangen, weil das Fahrzeug fast bis zum Einsetzen des ABS scharf abgebremst wurde. Die Karosserie schaukelte noch, da war der Beifahrer bereits ausgestiegen. Der Mann trug jetzt ein längliches Pflaster auf der Stirn. Sichtlich verärgert stapfte er zu dem Fahrer der Abdeckerei, der nur wenige Schritte entfernt völlig entspannt auf der Bordsteinkante saß, ein Handy in der Hand hielt und an einem Zigarillo zog, der im Mundwinkel steckte.
„Was ist denn jetzt schon wieder? Ich dachte, das bekommst du alleine hin, die paar vergammelten Viecher einzusacken.“
Der Mann drehte sich provozierend langsam zur Seite, Asche seines Zigarillo fiel auf die offenstehende Brusttasche der Arbeitsjacke.
„Was wollt ihr denn hier? Meine Firma hat angerufen und gesagt, dass die Kripo kommen wird.“
„Das lasst mal schön unsere Sache sein, wer wann kommt. Also, was ist los?“
Der Mann machte keinerlei Anstalten aufzustehen. Er hob die Hand und zeigte mit dem Daumen hinter sich. Durch die grüne Wand war die Front seines Lkw kaum noch zu sehen.
„Wenn das eure Sache ist, dann mach dich mal auf den Weg. Immer dem Geruch nach, viel Vergnügen. Ich sage nur so viel, da hat jemand nicht nur Viecher entsorgt.“
Der Streifenbeamte machte sich wieder auf den Weg, diesmal kletterte auch sein wesentlich jüngerer Fahrer aus dem Wagen und folgte ihm. Am Lkw des Abdeckers angekommen, hüllte sie beißender Gestank ein. Die vom Fahrzeug verdrängten Sträucher drückten derartig fest an das Blech, dass die Beamten weit zur Seite ausweichen mussten, um den Gürtel der Büsche zu durchbrechen. Schließlich standen sie vor einer kleinen Lichtung, hielten sich mit einer Hand die Nase zu, während die andere versuchte, die aggressiven Insekten zu vertreiben.
Auf einer Fläche von dreißig bis vierzig Quadratmetern lag eine auf den ersten Blick kaum zu definierende Fleischmasse. Unzweifelhaft enthäutete Tierhälften, mit schleimiger Verwesungsflüssigkeit und Eiterblasen bedeckt. Der Abdecker hatte einige der Körper bereits angehoben und in den Hochboardcontainer verfrachtet, der als Aufbau des Lkw diente. An der Ladekante triefte eine dunkle Flüssigkeit von sirupartiger Konsistenz herab. Der Kran war wieder in Richtung der Kadaver zurückgefahren und auf halbem Weg stehen geblieben. Der Streifenführer ließ seinen Blick über den Bereich unterhalb der leicht pendelnden Kranschlinge wandern. Anhand einer Schleifspur, die sich über die Körper mit aufgerissenen, faustgroßen Eiterblasen hinwegzog, war der letzte Arbeitsschritt des Abdeckers nachzuvollziehen. Zwischen zwei verwesenden Tierhälften ragten Fremdkörper hervor, die nicht ins Bild passten. Füße, zierliche Füße. Der Beamte machte einen großen Schritt zur Seite und wäre beinahe gestolpert bei dem Versuch, nicht in die zum Heck des Lkw führende Schleimspur zu treten. Die nackte Haut war an verschiedenen Stellen aufgeplatzt, sie hatte beinahe die gleiche Farbe angenommen wie die sie umgebenden Kadaver. Der Blick des Polizeibeamten folgte der verdrehten Gestalt, von den in ihre Richtung weisenden Füße bis hinauf zu den Schultern. Hier stoppte der Mann abrupt und gab seinem Kollegen aufgeregt Handzeichen. Der junge Mann machte ebenfalls weitere Schritte seitwärts, kopfschüttelnd, weil sein Verstand das, was er sah, nicht glauben wollte. Auch er wäre beinahe gestolpert und konnte sich nur mit Mühe abfangen. Den Kopf ungläubig weit nach vorn gereckt starrte er auf den von Fäulnis entstellten Leichnam vor ihnen.
„Mein Gott“, presste er würgend hervor und drehte sich weg.
6. Konsequenzen
Der Fahrer kletterte zurück in den schweren Geländewagen und ließ ihn langsam durch das schäbige Tor rollen, nur um gleich darauf wieder anzuhalten. Mit langen, zügigen Schritten war er erneut am Tor, zog es zu und vergewisserte sich, dass der Verschlusszapfen einrastete. Misstrauisch schaute er den Rückleuchten eines vorbeifahrenden Pkw nach, bevor er zurück in den Wagen kletterte und bis zu einem schmuddelig aussehenden Rolltor am Hauptgebäude der ungepflegten Anlage fuhr. Weitere Fahrzeuge waren auf dem Areal nicht zu sehen. Wieder stieg der dunkel Gekleidete aus, der von einem Bewegungsmelder gesteuerte Scheinwerfer flammte auf. Der Mann trat dicht an das Rolltor, stieß zweimal kräftig mit seiner Fußspitze dagegen und blickte hinauf zu den Oberlichtern. Es dauerte nicht lange, bis im Inneren der Halle Licht aufflackerte und gleich darauf öffnete sich die in das Rolltor eingelassene Schlupftür.
Ein Kopf schaute heraus, lauernd blickten die Augen erst über das verlassene Gelände, dann hinüber zum Wagen. Die dunklen Haare des Mannes, der langsam einen Schritt nach draußen machte, waren bereits oberhalb der Ohren ausrasiert. Der Typ trug Jeans und ein blaugestreiftes Hemd, dazu eine weiße Schürze und schwarze Gummistiefel. Seine Hände steckten in hellblauen Gummihandschuhen.
Der Neuankömmling trat an ihn heran, mit einander zugeneigten Köpfen sprachen sie leise miteinander. Die Gestik des Mannes in der Schlachterkluft passte nicht zu dem kaum hörbaren Geraune, immer wieder machte er heftige Bewegungen mit seinen Händen.
Fadel kehrte zum Fahrzeug zurück, trat an die Beifahrerseite. Die stark abgetönte Scheibe rollte einen spaltbreit herab. Von dem Mann im Wagen war nur ein kleiner Teil des rasierten Schädels zu sehen. Er machte eine auffordernde Geste.
„Sie haben ihn stundenlang bearbeitet, er ist total am Ende. Aber er bleibt dabei, dass er nichts damit zu tun haben will.“
„Und was sagt er? Warum war er dort?“
„Erst hat er behauptet, dass die Hinterachse Geräusche gemacht hätte. Er wollte das nur kontrollieren. Als sie ihn härter angefasst haben, hat er schließlich zugegeben, dass er Zigaretten kaufen wollte und auf der Toilette war. Und dabei bleibt er jetzt, egal, was sie alles mit ihm angestellt haben.“
Der Mann im Wagen blieb stumm. Akram Fadel, der Mann mit der Narbe, stand breitbeinig neben dem luxuriösen Geländewagen und wartete geduldig. Er kannte seinen neuen Boss noch nicht lange genug, aber er wusste, dass der keine unüberlegten Entscheidungen traf. Ihm war jedoch klar, je länger es dauerte, umso einschneidender würde es für Gerrit Winter werden.
„Er weiß zu viel. Wenn der Inhalt der Ladung bekannt wird, kann er eins und eins zusammenzählen, spätestens nach dem heutigen Tag.“
Die Scheibe surrte nach oben.
Fadel ging zurück zu dem Wartenden, der sich in den Türrahmen zurückgezogen hatte und eine Zigarette rauchte. Leise raunte er ihm eine Anweisung zu.
Gleich danach verließ der Wagen das Gelände.
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Mahdi El Zein blickte dem Wagen nach, bis das Tor wieder verschlossen war und die Rücklichter verschwanden. Er schnippte die Zigarettenkippe in hohem Bogen weg und warf einen Blick auf den Anbau am anderen Ende des Grundstücks. Beide Fenster waren mit Vorhängen zugezogen, Lichtschein war nur an den Rändern zu erahnen. El Zein schlüpfte in die Halle zurück. Sorgfältig verriegelte er die Tür und schlurfte dann in seinen Gummistiefeln quer durch die Beladehalle zu einer anderen Tür, die aus stabilem Eisen war. Er hatte eben mit dem Vertreter seines Chefs gesprochen und die Anweisungen waren klar und unmissverständlich gewesen.
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