Überall wurde gelacht, getanzt und gesungen. Es gab reichlich zu essen und zu trinken für jedermann. An diesem Tag der Freude gab es kein Arm und kein Reich, alle waren gleichgestellt und gleichsam vereint in Glück und Glückseligkeit.
Die Stimmung war ausgelassen und doch ausgesprochen friedlich.
Für alle Fälle aber waren die Palast- und Stadtwachen präsent, um im Zweifelsfall schnell eingreifen zu können.
Kuja saß an der Stirnseite der größten Tafel, Mariella neben ihm. Er hatte sehr gut gegessen und fühlte sich rundum satt, glücklich und zufrieden. Natürlich wollte jeder mit ihm anstoßen. Sein Vater hatte ihm daher schon im Vorfeld einen Rat gegeben. Daraufhin hatte Kuja seinen persönlichen Diener angewiesen, ihm an diesem Abend stets nur einen deutlich verdünnten Rotwein nachzuschenken, der dafür sorgen sollte, dass er allen Trinksprüchen gerecht werden konnte, dabei aber nüchtern genug blieb, um noch aktiv teilhaben zu können.
Zwischenzeitlich tanzte er immer mal wieder mit Mariella. Und wenn er sie in seinen Armen hielt, er sie in ihrem atemberaubend verführerischen Kleid sah und sich ihre Körper berührten, spürte Kuja eine deutliche Erregung in seinen Lenden und er dankte seinem Vater gleich nochmals für seinen Rat, würde er doch auch zur Folge haben, dass er mit Mariella nach dem Ende der Feierlichkeiten noch Sex haben konnte.
Kuja wollte ihm zuprosten, doch war sein Platz leer. Wahrscheinlich hatte er sich unter die Menge gemischt und nahm Glückwünsche für seine erfolgreiche Amtszeit als Fürst dieses Landes entgegen. Kuja gönnte ihm das von ganzem Herzen, denn sein Vater hatte seine Sache absolut brillant gemacht und seinem Sohn ein funktionierendes und finanziell, wirtschaftlich und gesellschaftlich gesundes Land übergeben. Kuja freute sich darauf, ihm zu zeigen, dass er ein würdiger Nachfolger war.
Im nächsten Moment verspürte Kuja einen deutlichen Druck auf seiner Blase. Da die Aufmerksamkeit fast aller gerade auf einem Trupp Artisten lag, der in der Mitte des Marktplatzes atemberaubende Kunststücke vollführte, nutzte er die Gunst des Augenblicks und stahl sich davon.
Kurze Zeit später hatte er die Toilettenräume im Fürstenpalast - Kuja wollte ein bisschen Ruhe von dem Trubel auf dem Marktplatz haben - erreicht und ging sogleich seiner Notdurft nach.
Als er damit fertig war, fühlte er sich erleichtert und fit genug, um sich wieder zurück in das Getümmel der Feier zu stürzen.
Nur noch eben schnell die Hände waschen , dachte er. Doch genau in dem Moment, da er das kalte Wasser auf seinen Händen spürte, konnte er dort auch wieder diese widerlichen, wurmähnlichen, sich schlängelnden Ausbuchtungen unter seiner Haut entdecken.
Dieses Mal war er so geschockt, dass er einmal laut aufstöhnte. Sein gesamter Körper verkrampfte sich, er stand stocksteif da und starrte mit großen Augen auf seine Hände. Kuja spürte, wie eine ekelhafte Hitzewelle durch seinen Körper rollte. Doch er spürte auch noch etwas Anderes. In seinem Gesicht!
Instinktiv riss er den Kopf in die Höhe und betrachtete sich in dem großen Spiegel über dem Waschbecken. Oh Gott, tatsächlich! Da waren ebenfalls diese furchtbaren Würmer. Auf seiner Stirn, auf den Wangen, am Kinn. Mindestens sieben Stück konnte er zählen. Geschockt schrie er auf und taumelte entsetzt zurück, achtete nicht, wohin er ging, stolperte und schlug hinterrücks auf den kalten, harten Boden, wo er nochmals aufschreien musste, dieses Mal jedoch aus echtem körperlichem Schmerz. Hektisch rappelte er sich sofort wieder auf, stürzte zurück zum Spiegel, doch als er jetzt hineinsah, konnte er keine Würmer mehr erblicken. Er stöhnte nochmals auf, betrachtete sein Gesicht ausgiebig, dann seine Hände, zog auch die Ärmel in die Höhe, um die Unterarme zu kontrollieren, schließlich sein Hemd, um Brust und Bauch zu betrachten. Doch er konnte nichts erkennen.
Eine Mischung aus Erleichterung und Angst machte sich in ihm breit. Er ließ kaltes Wasser laufen und wusch sich damit sein Gesicht mehrfach.
Die Tatsache, dass er jetzt keine Würmer mehr sehen konnte, durfte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie dennoch da waren. Ja, das war keine Einbildung. Diese furchtbaren Kreaturen waren wirklich da, unter seiner Haut, in seinem Körper. Er konnte und durfte sie nicht verleugnen, mehr noch aber musste er einen Weg finden, sie wieder loszuwerden. Doch dazu bedurfte es erst einmal des Wissens, was zum Teufel sie überhaupt waren! Also musste er einen Arzt aufsuchen. Einen verschwiegenen Arzt!
Kuja würde sich darum kümmern, sobald es ihm möglich war. Das nahm er sich fest vor.
Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, verließ er die Toilettenräume und machte sich auf den Weg zurück zum Marktplatz. Dabei kam er an ein paar Zimmern vorbei. Aus einem davon hörte er Stimmen. Instinktiv verlangsamte er seinen Schritt. Zunächst konnte er kein Wort verstehen, war sich aber sogleich sicher, dass er zumindest eine der beiden Stimmen kannte. Also verharrte er an der Eingangstür und spähte vorsichtig in den Raum.
Es befanden sich zwei Personen darin, zwei Männer, und einen davon erkannte Kuja sofort, denn es war sein Vater. Den anderen, er war groß, muskulös, hatte ein gepflegtes Aussehen und trug ein feines, schwarzes Lederwams, hatte er noch nie zuvor gesehen.
"…bist du sicher?" hörte Kuja seinen Vater fragen. Dabei blickte er den anderen mit ernster, forschender Miene an.
Sein Gegenüber nickte. "Ja, bin ich! Ich habe mit vielen Leuten gesprochen. Unter anderem mit Linguri, dem Wirt der Schänke und mit Avato, den Kuja als Führer vorgesehen hatte!"
Kuja erschrak. Linguri? Avato? Oh, er kannte diese Namen und vor seinem inneren Auge sah er die beiden Männer und auch Fetzen der Geschehnisse in dem Wirtshaus. Doch warum um alles in der Welt kamen die Namen dieser beiden Männer ausgerechnet hier und jetzt zur Sprache?
"Beide haben mir bestätigt, was Ihr bereits vermutet hattet!" fuhr der Fremde fort. "Kuja und Marietta verschwanden etwa zur selben Zeit! Doch noch viel wichtiger: Tizian und Giovanni verließen das Wirtshaus erst deutlich später!"
Marco nickte stumm und mit finsterer Miene. Kuja konnte sehen, wie seine Kiefer aufeinander mahlten und glaubte fast das Knirschen seiner Zähne zu hören. Das erschreckte ihn und gleichzeitig spürte er, wie heiße Angst in ihm aufkam. Sein Vater hatte offensichtlich Jemanden in das Bergdorf gesandt, der dort Fragen gestellt hatte. Zu dem Abend im Wirtshaus, über den Ablauf der Ereignisse. Aber, warum? Kuja wusste es fast im selben Moment: Sein Vater misstraute ihm!
"Noch etwas?" fragte Marco mit harter Stimme.
Wieder nickte der Fremde. "Ich habe auch mit Torrini gesprochen. Er war dabei, als man Kuja und die anderen am Morgen in der Höhle gefunden hatte. Er hat mir den Ablauf der Ereignisse erzählt! Die Entscheidung eures Sohnes war rechtlich vollkommen korrekt, aber…!" Der Mann stoppte und wartete, bis Marco ihn ansah. "…unglaublich gnadenlos!" Während er die Worte sprach, verzogen sich seine Mundwinkel zu einer verächtlichen Miene.
Marco sah den Fremdem stumm an. "Und Burini?"
"Ja, ich habe auch mit ihm geredet! Aber es war sehr schwierig. Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll? Als er über diesen Vorfall gesprochen hat, war es so, als würde er einen sachlichen Bericht abgeben. Total unpersönlich. Ganz so, als würde ihn dies alles nichts angehen oder berühren! Vollkommen emotionslos!" Er schüttelte den Kopf. "Allerdings waren seine Ausführungen in Bezug auf das, was er in seinem Haus vorgefunden hat, als er nach der Jagd zurückkam, sehr eindeutig!" Er sah Marco an. "Nicht Giovanni war bei Marietta, sondern… euer Sohn !"
Das Gesicht von Kujas Vater wurde fast noch finsterer, als es ohnehin schon war. Gedankenversunken starrte er auf einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Dann atmete er einmal tief durch und nickte schließlich. "Danke!" sagte er zu dem Fremden. "Deine Ausführungen waren sehr hilfreich! Der vereinbarte Lohn ist wie immer an entsprechender Stelle hinterlegt!"
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