„Verflucht soll sie sein! Deine Zeugung und deine Geburt!“ Doch der Fluch klingt nur halbherzig. Die Alte sieht mich streng an, kratzt sich das Kinn und ich glaube, so etwas wie Schuld in ihren Augen aufblitzen zu sehen.
„Aber du hast nicht unrecht, Junge. Ich bin nicht unschuldig an dem traurigen Ergebnis. Es mag meine Strafe und meine Herausforderung sein. Meine letzte. Bevor die Welt mich los hat. Was stehst du da so deppert herum? Komm rein! Du holst dir den Tod. Setz dich ans Feuer! Aber nicht zu nahe, er beißt gerne Fremde … und Bekannte … eigentlich beißt er alle außer mir.“ Und ohne, dass sie auch nur zwinkert, schließt die Tür sich hinter mir und meine Beine tragen mich zum Feuer. Wie ein gehorsamer Zombie setze ich mich auf einen kleinen hölzernen Hocker und warte bis das Zittern meines Körpers nachlässt und die Wärme des Feuers mich erreicht.
Das einzige, was ich herausbringe, ist eine Frage, nur eine: „Wo ist Mr. Perfekt?“
„Suchen wir nicht alle nach Mr. Perfekt? Vielleicht steckt ja doch mehr Weiblichkeit in dir, als der erste Blick vermuten lässt. Dieser Welt wäre es zu wünschen“, erwidert die Hexe freudig.
„Mr. Perfekt ist ihr Pferd, Großmutter“, zerstört Logan die letzte Hoffnung der alten Frau.
„Hinaus mit dir oder ich verwandle dich in einen Floh! Stimmt das?“, fragt sie mir zugewandt. Ich kann nur nicken.
„Nun, dann ist die Welt wohl doch verloren.“ Sie zuckt mit den Achseln und dreht sich wieder weg.
Was zum Teufel bedeutet das alles? Kann ich mich noch fragen, bevor ich den Schemel hinuntergleite und mir die Augen zufallen. Meine Zunge gleitet träge über meine Unterlippe und mit dem Geschmack von feuchter Erde, süßlich-faulem Wasser und dem eiskalten Wind schlafe ich ein.
Ich strecke mich und als ich die Lider langsam hebe, kann ich für einen herrlichen Augenblick daran glauben, dass alles nur ein Traum gewesen ist. Der Count, der Brunnen, die Nixe, das Holzhaus und die alte Hexe.
Bis ich mir den Schlaf aus dem Gesicht gerieben habe und in zwei riesige Augen blicke. Flammende Augen. Nein, das ist nicht korrekt ausgedrückt. Augen, die in den Flammen schweben? Sie glitzern und starren und schwarze Lippen, umzüngelt von hellrotem Feuer grinsen mich in einem frivolen Bogen an.
„Guten Morgen, Prinzessin“, züngelt es aus den Flammen. Eine Stimme, knisternd wie Feuer, klingt sie doch als würde eine Schlange mit mir sprechen.
Und ich schreie.
Wie ein Mädchen.
Laut und grell.
Panisch bewege ich mich rückwärts auf allen Vieren zurück, bis mein Rücken gegen etwas Hartes und Kantiges stößt. Der Schmerz sagt mir, was ich nicht hören will: Es ist kein Traum. Das hier ist kein Traum. Ich will mich übergeben, will weinen und fliehen und kann doch nur schreien. Wie ein Mädchen, das ich nie gewesen bin.
„Wie unhöflich! Da macht man Überstunden, damit das Menschlein nicht friert und was ist der Dank? Hat man dir keine Manieren beigebracht?“, züngelt und zischt es beleidigt und eingeschnappt.
„Ich träume noch … das hier ist ein Traum“, stottere ich trotz besseren Wissens, als noch der Nachhall meiner Panik in der Luft hängt.
„Wohl kaum. Und ich kann es dir beweisen“, behauptet das Feuer kess und bevor ich irgendwie reagieren kann, schießt eine Flamme aus dem Feuer hervor, nimmt die Form von Fingern an, die sich um meinen Fußknöchel legen. Ich will sie abschütteln, will wieder schreien. Lauter, greller. Doch eine Wärme erfüllt mich, steigt von meinem Fuß, über mein Bein, hoch zu meinem Bauch, meiner Brust und schießt in meinen Kopf.
Wärme wird zu Hitze und kurz spüre ich den Schmerz. Ich öffne den Mund, um zu schreien, doch da ist mein Bein schon frei und meinem Mund entschlüpft nur ein unangenehmes Quieken. Ich höre mich wie ein entrüstetes Ferkel an. Nicht einmal wie ein Schwein. Ein kleines, hilfloses Ferkel. Unwissend und naiv in einer Welt, die größer ist, als es je für möglich gehalten hat.
„Schmerz ist nichts für Träume. Das hier ist echt“, züngelt und zischt das Feuer selbstzufrieden.
„Wer … was bist du?“, stottere ich und versuche, meine Angst niederzuringen, als wäre sie nur ein leiser Impuls und kein alles einnehmendes Gefühl, in dem ich drohe unterzugehen.
„Ich bin ein mächtiger Feuergeist!“, erwidert das Feuer und plustert sich auf wie eine Taube beim Balzen. Es sieht witzig aus und ein Lächeln vertreibt einen großen Teil der lähmenden Angst, lässt sie schrumpfen.
„Und als solcher lebst du in dem Kamin einer alten, gemeinen, griesgrämigen Frau?“, erwidere ich und reibe meinen brennenden Knöchel, bin erleichtert, dass mich die Panik nicht mehr im Griff hat. Es schmerzt nicht sehr, doch die Haut ist gerötet und zu meinem Schrecken glaube ich, einen Handabdruck erkennen zu können. Ich schlucke hart und muss mich konzentrieren, um die Gefühle geknebelt und gefesselt zu halten.
„Du solltest Jadigwa nicht verärgern. Deine Ankunft war schon enttäuschend genug. Die alte Hexe hat auf jemand anderen gewartet. Und wenn sie wütend wird …“, krächzt die seltsame Flamme.
„Dann versteckst du dich im Schornstein?“, zische ich dem Wesen entgegen und ziehe meine Beine eng an meinen Körper. Ich bin mutig, nicht ängstlich. Ich bin Luka und fürchte nichts und niemanden und schon gar nicht ein Hasenherz von einer Flamme, das sich aus Angst vor einer alten Frau einnässt.
„Einmal … okay … zwei … vielleicht dreimal. Nicht öfter als zehn ist das passiert“, entrüstet sich der Feuergeist und seine Flamme färbt sich etwas lila, flackert unruhig hin und her.
„Du bist also ein feiges Feuer?“, erwidere ich und muss grinsen. Vor so etwas brauche ich wirklich keine Angst zu haben. Ein feiges Feuer, das sich im Kamin versteckt und sich aus Verlegenheit lila färbt. Ein Hasenherz ohne Füße.
„Ich bin kein dummes Feuer.“
„Nicht dumm also … aber auch nicht mutig …“, sage ich noch einmal und fühle mich endlich wieder gut. Ich habe die Oberhand. Ich fürchte mich nicht. Weder vor dem Feuer noch vor der alten Hexe!
„Und du willst mutig sein? Du kannst froh sein, dass sie dich nicht gekocht und gefressen hat, oder einfach mit Haut und Haaren verschlungen“, zischt das feurige Hasenherz.
„Nun, dann sollte ich mein Glück nicht überstrapazieren. Ich geh dann mal“, sage ich, stehe auf und klopfe den Staub aus meinen Hosen. Wann ist der Boden das letzte Mal geputzt worden?
„Wohin?“, fragt der Feuergeist und tanzt hin und her.
„Nachhause natürlich.“ Warum ich mich weiterhin mit einem ängstlichen Feuer unterhalte, ist mir selbst ein Rätsel.
„So, so …“, erwidert das Feuer. Die Schadenfreude in der züngelnden, zischenden Stimme blende ich einfach aus.
„Ich bin dann weg“, sage ich, winke halbherzig und drehe mich um. Wie viel Uhr es wohl ist? Ist es schon Zeit für die morgendliche Inventarrunde des Lagerhauses, die Vater jeden Tag, seit ich denken kann, durchführt? Und wenn ja, wird er mich überhaupt vermissen? Er hat mich nie dazu eingeladen, mich aber auch nie fortgeschickt, als ich ihm durch das Lager gefolgt bin, ihn in Haltung und Gangart wie ein Affe nachgeahmt habe, wie der Sohn, den Mutter ihm nicht schenken konnte.
Vor meinen Augen sehe ich Vaters Blick, getrübt mit Enttäuschung, weil ich kein Junge bin und weil ich keine Frau sein werde. Unsicherheit und einem leichten Glimmer von Schuld. Hätte ich mich anders entwickelt, wenn er mir mehr Grenzen gesetzt hätte? Darauf bestanden hätte, dass ich mich weiblicher kleide, weiblicher spreche und weiblicher benehme? Ich habe Mutter und ihn streiten hören, sie heimlich belauscht, als sie sich gegenseitig die Schuld für meine Andersartigkeit zuschoben.
Ich schüttle den Kopf, verdränge die Erinnerung.
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