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Die Grundentscheidungen für die Rechts- und damit auch die Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland sind in der Verfassung, dem Grundgesetz, niedergelegt. Das Grundgesetz ordnet das Staatswesen Bundesrepublik Deutschland als Republik, Demokratie, sozialen Rechtsstaat und Bundesstaat. Es enthält auch eine Reihe von Normen, die das Wirtschaftsleben entscheidend prägen. Als Beispiele seien die Garantie des Privateigentums (Art. 14 Abs. 1 GG), die Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG) und die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) genannt. In der Frage, ob und inwieweit das Grundgesetz wirtschaftspolitische Festlegungen getroffen hat, herrscht weitgehende Übereinstimmung. Das Grundgesetz lässt die Frage nach der Wirtschaftsordnung bewusst offen, um der freien Auseinandersetzung und Gestaltung Raum zu lassen. Der vom Grundgesetz geschaffene Gestaltungsraum wird u.a. durch das Gesellschaftsrecht ausgefüllt, das damit ein wichtiges Strukturprinzip der Rechts- und Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Man darf aber nicht vergessen, dass nicht nur Gesellschaften als Akteure am Wirtschaftsleben teilhaben, es gibt darüber hinaus z.B. auch Einzelunternehmer sowie Stiftungen, die beide zwar Rechtsträger, aber eben keine Gesellschaften (verstanden als Verband aus mehreren Personen) sind.
IV. Europäisches Gesellschaftsrecht
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Die Entwicklung eines europäischen Gesellschaftsrechts verläuft zeitlich weitgehend parallel zur EU-Rechtsangleichung allgemein. Sie beruht auf der Idee, ein weitgehend harmonisiertes europaweit geltendes Privatrecht zu schaffen. Das Gesellschaftsrecht ist wie kaum ein anderer Bereich des Privatrechts durch europäisches Primär- und Sekundärrecht beeinflusst.
Das europäische Gesellschaftsrecht kann man in drei Bereiche aufteilen:
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Die Harmonisierung und Koordinierung der nationalen Gesellschaftsrechte. Art. 50 Abs. 2g AEU-Vertrag enthält das primäre Gemeinschaftsrecht, u.a. den ausdrücklichen Auftrag, der die Angleichung und Koordinierung der nationalen Gesellschaftsrechte zum Ziel hat. |
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Die Schaffung supranationaler Gesellschaftsformen. |
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Die Sicherung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften. |
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Im Bereich der Harmonisierung und Koordinierung der nationalen Rechtesind die teils bereits erlassenen, teils erst vorgeschlagenen europäischen Rechtsakte auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, zumeist Richtlinien, zahlreich und betreffen viele Bereiche. Sie reichen von der Gründung der Gesellschaft bis zu ihrer Liquidation. Bei den vom europäischen Gesellschaftsrecht erfassten Gesellschaftstypen stand zunächst die Aktiengesellschaft im Vordergrund. Viele Richtlinien und Richtlinienvorschläge betreffen aber auch andere Gesellschaftsformen, wie z.B. die GmbH[6]. Inzwischen hat das Europäische Gesellschaftsrecht die deutsche Unternehmensverfassung in vielfacher Hinsicht geprägt[7].
Was die supranationalen Gesellschaftsformenangeht, so besteht seit 1989 die Möglichkeit, dass Unternehmen aus jedenfalls zwei Mitgliedstaaten der EU sich zu einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) zusammenschließen. Dabei handelt es sich um eine Personenhandelsgesellschaft, auf die in Deutschland überwiegend das Recht der OHG anzuwenden ist (vgl. dazu Rn. 41 f. und 314 f.).
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Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea = SE)gewährt die Möglichkeit, eine supranationale Rechtsform für eine Kapitalgesellschaft zu nutzen (s. dazu Rn. 42und 593 f.). Eine weitere europäische Gesellschaftsform ist die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europea = SCE).
Ein Richtlinienentwurf der EU-Kommission von 2013 sieht die Einführung einer Societas Unius Personae (SUP)als einer geschlossenen Kapitalgesellschaft mit nur einem Gesellschafter vor.
Bei der Ausübung der Niederlassungsfreiheitdurch Gesellschaften geht es um die Nichtdiskriminierung von Gesellschaften aus anderen Mitgliedsstaaten der EU und die Herstellung der rechtlichen Möglichkeiten für grenzüberschreitende Tätigkeiten durch Agenturen, Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften. Außerdem ist das Problem der Fusionen mit Gesellschaften aus anderen Mitgliedsstaaten angesprochen.
V. Internationales Gesellschaftsrecht
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Das Internationale Gesellschaftsrecht ist dasjenige Recht, das bestimmt, nach welchem Recht eine Personenvereinigung zu behandeln ist, wenn auf Grund eines Sachverhalts auch ein anderes als das nationale Recht Anwendung finden könnte (Gesellschaftsstatut). Das Internationale Gesellschaftsrecht ist Teil des Internationalen Privatrechts, das nationales Recht ist und die sog. Kollisionsnormenenthält.
Das Gesellschaftsstatut bestimmt also, welches Recht anzuwenden ist. Gem. der Lehre vom gesellschaftsrechtlichen Einheitsstatut kann das Gesellschaftsstatut immer nur einer Rechtsordnung unterstehen. Alles, was als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren ist, wird vom Gesellschaftsstatut erfasst. Das Gesellschaftsstatut bestimmt sowohl das Innen- als auch das Außenrecht der Gesellschaft[8].
Die Festlegung des Gesellschaftsstatuts ist in erster Linie eine Frage, die nach dem jeweiligen Internationalen Privatrechtzu beantworten ist, welches nationales Recht darstellt. Für den Bereich der Europäischen Union wird das nationale Recht jedoch durch Europarecht überlagert, das nicht zuletzt durch die Rspr. des EuGH geprägt wird. Für das Gesellschaftsstatut gibt es im Wesentlichen zwei Anknüpfungsmethoden, die Sitztheorieund die Gründungstheorie. Nach der Sitztheorie ist diejenige Rechtsordnung anzuwenden, die an dem tatsächlichen Verwaltungssitz des Unternehmens gilt. Nach der Gründungstheorie gilt die Rechtsordnung, nach deren Bestimmungen der Gesellschaftsvertrag geschlossen worden ist.
Beispiel:
Verlegt eine belgische Gesellschaft, die in Brüssel gegründet worden ist, ihren Hauptsitz und den Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit nach Berlin, so wäre nach der Sitztheorie auf diese Gesellschaft nun deutsches Recht anwendbar. Anders wäre es nach der Gründungstheorie; es fände weiterhin belgisches Recht Anwendung.
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Innerhalb der EU führt die Anwendung der Sitztheorie zu Schwierigkeiten, da die Gesellschaften nach Art. 49 und Art. 54 AEU-Vertrag Niederlassungsfreiheit und nach Art. 56 und Art. 62 AEU-Vertrag Dienstleistungsfreiheit genießen. Der EuGH[9] hat in einem Fall, in dem es um die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer ausländischen Gesellschaft durch ein deutsches Gericht ging, entschieden, es verstoße gegen die Art. 49 und Art. 54 AEU-Vertrag, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und die Parteifähigkeit abgesprochen wird. Das bedeutet: Macht eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaates gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so ist dieser andere Mitgliedstaat nach den Art. 49 und Art. 54 AEU-Vertrag verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit auch die Parteifähigkeit zu respektieren, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates besitzt[10].
Mit einer Entscheidung zum grenzüberschreitenden Formwechsel hat der EuGH[11] die Vorgaben der Art. 49, 54 AEU-Vertrag für die Anerkennung, Sitzverlegung und Umwandlung von Gesellschaften innerhalb der EUkonkretisiert. Nach diesem Urteil haben die Mitgliedstaaten der ausländischen Gesellschaft den Wechsel in eine nationale Rechtsform unter denselben Bedingungen zu gestatten wie einer inländischen Gesellschaft.[12]
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