Ulrich Slawinski - Weit war der Weg zurück ins Heimatland

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Ich weiß bis heute nicht, wie ich diese 23 Tage überlebt habe, ohne ein Wort mit jemandem gewechselt zu haben und immer mit der Angst vor den Mitgefangenen, die nicht gut über die Deutschen sprachen. Deswegen habe ich mich immer wieder aus dem Blickfeld der Mitreisenden verzogen. Jedes Mal war ich froh, wenn die da oben endlich eingeschlafen waren! Ich habe oft gefragt wie Jesus am Kreuz: «Mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Dann immer wieder die Fragen: «Was wird noch alles kommen in den neun Jahren, die vor dir liegen? Wirst du sie überhaupt überleben und wenn, was wird dann aus dir werden mit 34 Jahren ohne Beruf? Kommst du überhaupt noch einmal nach Deutschland zurück oder musst du in Sibirien verrecken?»
Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, Kraft und Kraftlosigkeit, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit – diese scheinbar so gegensätzlichen Worte wurden Eins in einer nicht enden wollenden Zeit. Von 1942 bis 1953 war Ulrich W. Slawinski in Russland/Sibirien in Kriegsgefangenschaft. Er erlebte dort den Winter seines Lebens, nicht nur im Herzen dieses fremden und fernen Landes, sondern auch in den Herzen der Menschen. Das autobiographische Werk «Weit war der Weg zurück ins Heimatland» erzählt aus der Sicht des nun über 90-jährigen Ehemannes, Vaters, Opas und Uropas seine Erlebnisse in unumschweiflicher Form, mit viel Weisheit und Lebenserfahrung.

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Ulrich W. Slawinski

Weit war der Weg zurück ins Heimatland

Ulrich W. Slawinski

Weit war der Weg zurück ins Heimatland

Meine Erlebnisse als Soldat

und Kriegsgefangener in Russland/Sibirien

Alle Rechte vorbehalten

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert, verbreitet und genutzt werden, insbesondere nicht in Medien, öffentlichen Vorträgen und Datenerfassungen. In gleicher Weise genehmigungspflichtig ist die Speicherung in analoger oder digitalisierter Form auf Datenträgern jeder Art.

Copyright © by Ulrich W. Slawinski

Deutsche Erstveröffentlichung

Dezember 2015

printed in Germany

Cover von Andrea Langer (M.A. Literatur u. Medien)

FSC-zertifiziertes Papier

ISBN 978-3-7375-7971-1

Vorwort

Das Buch verdankt seine Entstehung zunächst der wiederholten Aufforderung von Verwandten, Freunden und Bekannten, meine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und in den langen Jahren in russischer Gefangenschaft zu schildern. Als ich an meinem 90. Geburtstag erneut darum gebeten wurde, begann ich mit der Niederschrift. Nun ist es endlich soweit! Ein Jahr brauchte ich, um meine Erlebnisse unter „brauner“ und „roter“ Diktatur zu Papier zu bringen. Ich möchte damit auch dem Wunsch derer nachkommen, die ihre Väter kaum oder gar nicht kennen lernen durften, weil diese ihr Leben im oder nach dem Zweiten Weltkrieg in Russland verloren haben.

Alle Begebenheiten sind in meiner Erinnerung noch so lebendig, als sei es gestern gewesen. Solche Erlebnisse sind eben nicht auszulöschen!

Am Ende meines langen Lebens, das mir geschenkt wurde, beschäftigt mich immer noch die Frage, warum ich als junger Mensch diesen schweren Weg gehen musste, vielleicht, um die Erkenntnis zu vermitteln, Hoffnung und Glauben niemals aufzugeben.

Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Elisabeth für ihre hilfreiche Unterstützung. Ein ganz großes Dankeschön geht an unsere Tochter Dorothee und unseren Enkel Andreas mit seiner Verlobten Andrea, die in vorbildlicher Weise ihre Freizeit geopfert haben, um meine Erinnerungen in diesem Buch erscheinen zu lassen!

I Einberufung zum Wehrdienst Geboren bin ich Ulrich Wilhelm Slawinski im - фото 1 I Einberufung zum Wehrdienst Geboren bin ich Ulrich Wilhelm Slawinski im - фото 2

I. Einberufung zum Wehrdienst

Geboren bin ich, Ulrich Wilhelm Slawinski, im Inflationsjahr 1923 in Siegen als jüngstes Kind der Familie Friedrich Slawinski. Nach dem Mittelschulabschluss 1940 folgte ein zweijähriges Praktikum vom 1. April 1940 bis 31. März 1942. Während dieser Zeit wurden alle, die nicht Hitler-begeistert waren, der HJ 1 1 Hitler-Jugend -Feuerwehr zugeteilt. Wir mussten abwechselnd nachts Wache schieben, falls es zu Luftangriffen kommen sollte. Im Januar 1942 erkrankte ich an einer schweren Rippenfellentzündung. Es wurde schon längere Zeit gemunkelt, unser Jahrgang würde im April eingezogen. Mein Vater schrieb auf Grund meiner Erkrankung an das Wehrbezirkskommando, mich wegen des schlechten Gesundheitszustandes zurück zu stellen. Die Antwort vom 19. März 1942 lautete: „Ihr Sohn wird mit seinem Jahrgang zum aktiven Wehrdienst einberufen!“ Ich war nach meinen beiden Brüdern Friedrich und Lothar sowie meinem Schwager Herbert der vierte aus unserer Familie, der zum Wehrdienst eingezogen wurde. Mein Vater gehörte keiner Partei an. Alle meines Jahrgangs bekamen im März bereits ihren Einberufungsbescheid, ich erst am Samstag, dem 10. April 1942. Darin stand: „Sie werden zu einer kurzfristigen militärischen Übung am 18. April 1942 eingezogen!“ Nur noch eine Woche!

Es waren 750 junge Leute aus dem Kreis Siegen, die sich morgens um sieben Uhr beim Wehrbezirkskommando in Siegen, Friedrichstraße, zu melden hatten. Mit einem Sonderzug fuhren wir über Wetzlar und Gießen nach Marburg an der Lahn. Dort ging es in die alte Jägerkaserne.

Wir waren mit 26 Mann auf einer Stube! Beim Einkleiden hatte man mir ein Paar ausgetretene Schuhe verpasst. Mit diesen musste ich nachmittags beim Sport einen 10-Kilometer-Lauf machen. Dazu herrschte hochsommerliche Hitze. Meine Füße waren geschwollen und die Fußsohlen voller Blasen. Aber als Soldat muss man ja durchhalten, wie später an der Front! In den folgenden acht Tagen gab es einen Wetterumsturz. Wir bekamen kühles Maiwetter. Da ich durch die Rippenfellentzündung im Januar noch sehr empfindlich war, musste ich immer mit einem Rückfall rechnen. Der kam auch in Form von Kehlkopfkatarrh. Wir hatten morgens eine Stunde Schulung. Hauptmann Hilpisch fragte etwas und zeigte auf mich. Ich stand auf, um seine Frage zu beantworten, konnte aber nicht eine Silbe herausbringen. Hauptmann Hilpisch sagte: „Der Kerl kann ja gar nicht sprechen. Setzen!“

10. Mai 1942 – Es gab Schießübungen. Ich hatte Glück und schoss 34 Ringe, zweimal 12 und einmal 10. Als erster Siegerländer bekam ich auf diese Weise Sonntagsurlaub. Um 15 Uhr ging mein Zug ab Marburg Hauptbahnhof, den ich humpelnd erreichte. Etwa um 18 Uhr kam ich im Heimatbahnhof Geisweid an, brauchte aber eine Stunde vom Bahnhof bis nach Hause, ein Weg, den man normalerweise in 10 Minuten zurücklegt. Ich ging nur auf den Fersen. Alle waren entsetzt, als sie meine Füße sahen. Am Sonntag musste ich schon den Zug um 16 Uhr zurück nach Marburg nehmen, da ich um 22 Uhr in der Kaserne zu sein hatte und der nächste Zug erst um 22.30 Uhr in Marburg angekommen wäre.

In der nächsten Woche machten wir Geländeübungen in Cyriaxweimar, südwestlich von Marburg. Da ich wegen meiner kaputten Füße behindert war, scheuchte man mich extra. Keiner der Kameraden machte den Mund auf, um mich zu rechtfertigen. Nach einem weiteren 30-Kilometer-Marsch mittags in einer Gluthitze rund um Marburgs Osten hinkte ich in der letzten Reihe derart nach, dass Unteroffizier Brust mir das Gewehr abnahm und es für mich trug! Anschließend wurde gefragt, wer fußkrank sei. Ich war nicht der einzige. „Ab ins Krankenrevier!“ Eine Woche vor Pfingsten. Der Sanitäter konnte mir die Haut unter den Füßen abziehen. Meine Mutter hatte sich zu Besuch über Pfingsten angemeldet. Da ich ja eine Woche im Revier gelegen hatte, konnte ich nicht mit ihr in die Stadt gehen. Mein Bruder Friedrich kam auch überraschenderweise nach Marburg, um mich zu besuchen! Da wir Slawinskis dieselbe Fußform hatten, gab er mir seine Stiefel – sie passten – nur hätten sie eine halbe Nummer größer sein können. Aber ich habe den nächsten 40-Kilometer-Fußmarsch in der Woche nach Pfingsten mitgemacht ohne Beschwerden. Alle Vorgesetzten waren fassungslos und konnten nicht begreifen, dass ich keinerlei Fußbeschwerden hatte! Tags darauf Stiefelappell. Oh weh, die Stiefel meines Bruders sahen noch so neu aus und hatten keine Nägel unter den Sohlen. Jeder Stiefel sollte laut Vorschrift mit 32 Nägeln versehen sein. Wehe, es fehlte einer! Was nun? Guter Rat war teuer! Die Stiefel zum Benageln abgeben war nur in der Mittagspause möglich! Da in unserem Kasernengebäude auch noch eine „Genesungskompanie“ untergebracht war, lieh ich mir dort von einem älteren Kameraden gegen eine Schachtel Zigaretten dessen Stiefel aus. Ich dachte, hoffentlich merkt keiner beim Appell etwas, wenn er diese alten ausgetretenen Stiefel sieht. Aber alles ging glatt.

Der Zufall wollte es, dass ich Dienst in der Gerätekammer hatte. Unteroffizier Lissi, dem die Gerätekammer unterstand, sah wohl in mir den geeigneten Soldaten. Er erkundigte sich bei mir nach irgendwelchen körperlichen Einschränkungen wie Herzfehler, Asthma… Ich berichtete, dass ich Herz- und auch Atembeschwerden hätte! Er daraufhin: „Gehen Sie morgen früh sofort zum Arzt ins Krankenrevier und lassen sich untersuchen, alles weitere veranlasse ich.

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