Titelseite Das Recht der Hagestolze Historischer Roman Julius Wolff
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Das Recht der Hagestolze
Historischer Roman
Julius Wolff
Es war in der bereits stark vorgeschrittenen Dämmerung eines warmen Frühlingsabends im Jahre 1397, als ein einsam daherkommender Mönch über die Neckarbrücke zu Heidelberg auf das Stadttor zuschritt. Seine hohe Gestalt war von der braunen Kutte verhüllt und die Kapuze so tief über das gebeugte Haupt gezogen, daß auch von seinem Gesichte nichts zu sehen war. Er hielt die Arme dicht an den Leib geschmiegt und die Hände davor gefaltet, und sein Gang hatte etwas Unsicheres, Schwankendes, als wenn er, dessen ungewohnt auf den Zehen schliche. Ob er auf Sandalen oder in Schuhen ging, war nicht zu erkennen, denn auch die Füße waren vom Gewande bedeckt.
Das Tor war noch offen, aber der Torwart trat just aus der Wachtstube, um es zu schließen, als der Mönch hindurchschritt. Der Wächter maß den Ankömmling mit einem mißtrauischen Blick und schien eben eine Frage an ihn richten zu wollen, als der Mönch die Rechte erhob und das Zeichen des Kreuzes über den andern machte. Aber die Bewegung fiel etwas ungeschickt, fast ungeschlacht aus; die Hand holte in den sich schneidenden Richtungen von oben nach unten und von rechts nach links so hoch und weit aus, als wollte sie den sündigen Laien statt mit dem heiligen Segenszeichen mit ein paar derben Schlägen bedenken, die glücklicherweise nicht dessen Scheitel und Wange trafen, sondern ohne Widerstand zu finden durch die Luft fuhren. Der Wächter unterdrückte seine Frage, und auch der Mönch blieb stumm und schritt eilig die Gasse entlang zur Stadt hinein. Ihm nachblickend schüttelte der Torwart das Haupt und brummte: »Der ehrwürdige Bruder scheint beim Segenerteilen eine recht kräftige Faust zu führen. Was mag er bei Nacht hier in der Stadt zu suchen haben? Denn ein Heidelberger Franziskaner war es nicht; hätte ihn doch fragen sollen!« Damit hatte der Mann die schweren Torflügel geschlossen und schob nun die eisernen Riegel vor. Dann warf er noch einen Blick zum Himmel empor auf die grauen, schnellziehenden Wolken und begab sich wieder in das Wachthäuschen.
In der engen, schon ziemlich dunklen Gasse war die Haltung und Bewegung des Mönches eine ganz andere als vorher beim Durchschreiten des Tores. Seine Gestalt reckte sich, er trug das Haupt hoch und gerade, bewegte die Arme frei an der Seite, und seine Schritte waren fest und weit. Nur wenige Menschen begegneten ihm, vor denen er es, zumal bei dem spärlichen Lichte, vielleicht nicht der Mühe wert hielt, klösterliche Demut zur Schau zu tragen.
Jetzt kam ihm mit lautem Scherzen und Lachen ein Trupp Studenten entgegen, die paarweise in kleinen Abständen voneinander gingen. Als der Mönch an dem ersten Paar vorüber kam, blieb einer der beiden Studenten stehen, wandte sich um und sagte zu dem andern: »Hast du's gehört, Mutz? der Glatzkopf hatte einen Schritt, als trüge er Sporen an den Sandalen.«
»Dummes Zeug! Sporen!« erwiderte sein Genosse, »wird wohl der Teufel gewesen sein, und du hast seinen Pferdehuf trappen hören.«
Lachend gingen sie weiter. Von den zuletzt kommenden Studenten, die zu vieren in einer Reihe schritten, stieß einer, ein großer, stämmiger Gesell, hart gegen den Franziskaner und lachte: »Holla, mi frater! hast du Schultern aus Eichenholz?«
Ein anderer aber fuhr den Mönch heftig an: »Aus dem Wege, Fledermaus! sonst klatsche ich dich an die Wand, daß du kleben bleibst!«
Mit fester, rauher Stimme, fast drohend entgegnete der Gestellte: »Pax vobiscum!« und setzte Raum gebend und weiterschreitend halblaut hinzu: »Oder ein Kreuzhageldonnerschlag soll euch in die Kniekehlen fahren!«
»Was will das Murmeltier?« riefen die Studenten; »kommt, laßt uns ihm die Kutte ausklopfen!«
Einen Augenblick schien es, als wollte der Mönch stehen bleiben und sich zu den Angreifern umwenden; doch er besann sich und machte sich eilends davon. Auch die Studenten gingen auf die besänftigende Aufforderung eines der Ihrigen lachend und spottend ihres Weges.
»Hätt' ich euch Grünschnäbel nur gleich draußen vor dem Tore!« knirschte der Verhüllte und ballte die Faust. An dem Kreuzungspunkt zweier Straßen blieb er unschlüssig stehen, bis eine Frau daher kam, die er mit seinem mildesten Tone frug: »Könnt Ihr mir nicht sagen, liebe Frau, wo der ehrsame, hochgelahrte Magister Doktor Christoph Wiederhold wohnt?«
»Recht gern, ehrwürdiger Vater!« erwiderte die Frau, »Ihr müßt hier fremd sein, denn den Doktor Wiederhold kennt jedes Kind in Heidelberg. Geht nur hier rechts die Gasse hinauf, da ist's das fünfte, sechste, nein, das siebente Haus. Der eiserne Türklopfer ist ein Hund mit drei Köpfen; Ihr könnt's mit der Hand fühlen, wenn Ihr's nicht mehr sehen könnt.«
»Dank Euch, liebe Frau!« sprach der Kuttenträger und schritt in die Gasse hinein, während die Frau noch eine Weile stehen blieb und ihm verwundert nachschaute, bis er im Dunkel verschwand. Das Zeichen des Kreuzes über der Dienstwilligen zu machen, hatte der ehrwürdige Bruder Franziskaner diesmal vergessen.
Bald fand er das gesuchte Haus und setzte den ihm bezeichneten Türklopfer in laut schallende Bewegung. Eine Magd öffnete und führte den friedlichen Gottesmann ohne Zögern und Bedenken die Treppe hinauf zu dem Hausherrn.
Der Herr Magister Doctor juris Christoph Wiederhold saß in seiner Studierstube an einem Tische, auf dem eine Öllampe brannte, über Schriften und Pergamente gebeugt und blickte ob des seltsamen Besuches in so später Stunde verwundert auf. Da mitten in dem niedrigen Gemache stand, beim matten Dämmerschein der Lampe fast gespenstisch anzuschauen, eine hohe, ganz vermummte Gestalt, die ohne ein Wort zu sprechen, zwei funkelnde Augen unter der Kapuze hervor fest auf ihn gerichtet hielt. Dem kleinen, schmächtigen Manne ward unheimlich zumut, und zaghaft klang seine Frage: »Womit kann ich Euch dienen, ehrwürdiger Bruder?«
»Wer Rat und Vertrauen heischt, soll auch Vertrauen entgegenbringen. Ich bin kein Mönch, wenn ich auch Grund und Ursach zu dem Wunsche habe, in den Straßen dieser Stadt für nichts anderes, als einen Mönch gehalten zu werden.« So sprach der Fremde mit tieftönender Stimme, schlug die Kapuze zurück und enthüllte dem nun noch mehr erstaunten Gelehrten ein ernstes, stolzblickendes Antlitz und ein hochgetragenes, bart- und haarumwalltes Haupt, das mit einer blinkenden Stahlhaube bedeckt war. »Ich komme, hochachtbarer Herr Magister,« fuhr er dann fort, »Euch um Euren gelehrten Rat in einer wichtigen Familienangelegenheit zu ersuchen.«
»Nehmt Platz, edler Herr!« erwiderte der Doktor und deutete auf einen zweiten Stuhl, der seinem eigenen Sitze gegenüber stand.
»Meinen Namen möcht' ich Euch verschweigen, denn er tut nichts zur Sache, und es ist fast nur eine Frage, die ich Euch vorzulegen habe, und um die sich alles dreht, was mir zu wissen not tut,« sagte der Unbekannte.
Der Doktor nickte und schaute, bequem in seinem hohen Stuhle sitzend, den Ellenbogen auf der Armlehne und das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, mit gespannter Aufmerksamkeit dem Sprechenden ins Antlitz, der sogleich fortfuhr: »Meine Frage ist diese: Gibt es ein Recht, ein Gesetz, wonach der Landesfürst einen Anspruch auf das Erbe, auf die Hinterlassenschaft an Hab und Gut eines losledigen, unverheirateten Mannes hat?«
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