Paul Lafargue - Das Recht auf Faulheit

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Arbeit ist das Allerwichtigste. Wer das nicht so sieht und wer sich in Zeiten von ständiger Erreichbarkeit und Burnout daran stört, der findet in Paul Lafargue einen frühen Mitstreiter für das Recht auf Faulheit. Lafargue meinte schon 1880, dass alles beherrscht sei von «-Arbeitssucht», dass es nur noch darum gehe, die Bedürfnisse des Menschen möglichst kleinzuhalten, seine Leidenschaften zu ersticken und ihn «zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, aus der man pausenlos und gnadenlos Arbeit herausschindet» – im Interesse eines «Fortschritts» um seiner selbst willen, den Lafargue vehement ablehnte.

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Paul Lafargue

Das Recht auf Faulheit

Zurückweisung des »Rechts auf Arbeit« von 1848

Aus dem Französischen übersetzt von Ute Kruse-Ebeling

Reclam

4. Auflage

2018 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2019

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961311-6

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019487-4

www.reclam.de

Das Recht auf Faulheit.

Zurückweisung des »Rechts auf Arbeit«1 von 1848.

[Vorwort]

Monsieur Thiers2 sagte 1849 in der Kommission für den Grundschulunterricht: »Ich möchte den Einfluss des Klerus allmächtig machen, weil ich auf ihn zähle bei der Verbreitung jener guten Philosophie, die den Menschen lehrt, dass er hier auf Erden ist, um zu leiden, statt jener anderen Philosophie, die im Gegenteil zum Menschen sagt: ›Genieße!‹« – Monsieur Thiers formulierte die Moral der Bourgeoisie, deren unerbittlichen Egoismus und Engstirnigkeit er verkörperte.

Als die Bourgeoisie noch gegen den vom Klerus unterstützten Adel kämpfte, schrieb sie sich die freie Forschung und den Atheismus auf ihre Fahnen; aber sobald sie triumphiert hatte, änderte sie ihren Ton und ihr Verhalten; und heute versucht sie, ihre ökonomische und politische Vorherrschaft auf die Religion zu stützen. Im 15. und 16. Jahrhundert hatte sie fröhlich die heidnische Tradition wieder aufleben lassen und das Fleisch und seine Leidenschaften, die vom Christentum verdammt worden waren, verherrlicht; heute, randvoll gestopft mit Gütern und Vergnügungen, verleugnet sie die Lehren ihrer Denker, den Rabelais’3 und Diderots4, und predigt den Lohnarbeitern Enthaltsamkeit. Die kapitalistische Moral, eine jämmerliche Karikatur der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Bann; ihr Ideal ist es, den Produzenten auf ein absolutes Minimum an Bedürfnissen zu reduzieren, seine Vergnügungen und seine Leidenschaften zu unterdrücken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, die ohne Rast und ohne Dank Arbeit ausführt.

Die revolutionären Sozialisten müssen den Kampf wieder aufnehmen, den die Philosophen und Pamphletisten der Bourgeoisie gekämpft haben; sie müssen zum Sturm auf die Moral und die Gesellschaftstheorien des Kapitalismus ansetzen; sie müssen in den Köpfen der zum Handeln aufgerufenen Klasse die Vorurteile zerschlagen, die von der herrschenden Klasse gesät wurden; sie müssen angesichts aller Heuchler von Morallehren verkünden, dass die Erde aufhören wird, das Tal der Tränen des Arbeiters zu sein; dass in der kommunistischen Gesellschaft der Zukunft, die wir »falls möglich, friedlich, andernfalls mit Gewalt« errichten werden, die Leidenschaften des Menschen völlige Freiheit genießen werden, denn »wir sehen, daß sie alle von ihrer Natur aus gut sind. Wir müssen nur ihren schlechten Gebrauch oder ihr Übermaß vermeiden«*5, und diese werden nur durch den wechselseitigen Ausgleich der Leidenschaften und die harmonische Entwicklung des menschlichen Organismus vermieden werden. Denn, so stellt Dr. Beddoe fest, »erst dann, wenn eine Rasse ihr Maximum an physischer Entwicklung erreicht, erreicht sie auch ihren Höhepunkt an moralischer Energie und Kraft.«* Diese Meinung vertrat auch der große Naturforscher Charles Darwin.*

* * *

Die Widerlegung des Rechts auf Arbeit , die ich mit einigen zusätzlichen Anmerkungen neu herausgebe, erschien zuerst 1880 in der Wochenzeitschrift L’Égalité , zweite Serie.

P. L.

Sainte-Pélagie 6 , 1883.

I.

Ein seltsamer Wahn beherrscht die Arbeiterklassen der Nationen, in denen die kapitalistische Zivilisation regiert. Dieser Wahn zieht das individuelle und soziale Elend nach sich, das die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten quält. Dieser Wahn ist die Liebe zur Arbeit, die wilde Arbeitsleidenschaft, die bis zur Erschöpfung der Lebenskräfte des Einzelnen und seiner Nachkommenschaft getrieben wird. Anstatt gegen diese geistige Verirrung vorzugehen, haben die Priester, die Ökonomen und Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Verblendet und engstirnig, wollten diese Menschen weiser sein als ihr Gott; schwach und verachtungswürdig, wollten sie wieder zu Ansehen bringen, was ihr Gott verdammt hatte. Ich, der ich nicht behaupte, christlich, ökonomisch und moralisch zu sein, appelliere von ihrem Urteil aus an das ihres Gottes; von den Predigten ihrer religiösen, ökonomischen, freidenkerischen Moral aus an die unerträglichen Folgen der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft.

In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache für jeden geistigen Verfall und jede organische Verformung. Vergleichen Sie die Vollblutpferde aus den Ställen der Rothschilds7, die von einer zweihändigen Dienerschar bedient werden, mit den schweren Tieren auf den Bauernhöfen der Normandie, die den Boden umpflügen, den Mist wegkarren und die Ernte einfahren. Schauen Sie sich den edlen Wilden an, den die Missionare des Handels und die Händler der Religion noch nicht mit dem Christentum, der Syphilis8 und dem Dogma der Arbeit verdorben haben, und schauen Sie sich dann unsere bedauernswerten Maschinendiener an.*

Will man in unserem zivilisierten Europa einen Hauch von der natürlichen Schönheit des Menschen wiederfinden, so muss man sie bei den Völkern suchen gehen, bei denen die ökonomischen Vorurteile noch nicht den Hass auf die Arbeit ausgerottet haben. Spanien, das – leider! – ebenfalls im Verfall begriffen ist, kann sich noch rühmen, weniger Fabriken zu besitzen als wir Gefängnisse und Kasernen; der Künstler aber freut sich, wenn er den kühnen Andalusier, braun wie Kastanien, gerade und beweglich wie eine Stange aus Stahl, bewundert; und das Herz des Menschen bebt, wenn er dem Bettler, herrlich in seine löchrige capa 9 gehüllt, lauscht, wie er die Herzoge von Osuna mit »amigo« anspricht. Für den Spanier, in dem das ursprüngliche Tier noch nicht verkümmert ist, ist Arbeit die schlimmste Form der Sklaverei. Auch die Griechen hatten in ihrer Blütezeit nichts als Verachtung für die Arbeit übrig: Einzig den Sklaven war es erlaubt zu arbeiten, der freie Mann kannte nur körperliche Ertüchtigungen und geistige Spiele. Es war zugleich die Zeit, in der man unter dem Volk eines Aristoteles10, Phidias11 und Aristophanes12 wandelte und atmete. Es war die Zeit, in der eine Handvoll Tapferer bei Marathon die Horden aus Asien, die Alexander13 kurze Zeit später besiegen sollte, vernichtete. Die Philosophen der Antike lehrten die Verachtung der Arbeit, diese Erniedrigung des freien Menschen; die Dichter besangen die Faulheit, dieses Geschenk der Götter:

O Meliboee, Deus nobis haec otia fecit .*

Christus predigte in seiner Bergpredigt die Faulheit: »Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomon in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie derselben eins.«*

Jehova, der bärtige und finstere Gott, bot seinen Anbetern das höchste Beispiel an idealer Faulheit – nach sechs Tagen Arbeit ruhte er sich für alle Ewigkeit aus.

Für welche Rassen stellt dagegen die Arbeit eine organische Notwendigkeit dar? Für die Auvergnaten14, für die Schotten, diese Auvergnaten der Britischen Inseln, für die Gallegos15, diese Auvergnaten Spaniens, für die Pommern, diese Auvergnaten Deutschlands, und für die Chinesen, diese Auvergnaten Asiens. Und welche Klassen in unserer Gesellschaft lieben die Arbeit um der Arbeit willen? Die Bauern mit eigenem Besitz und die Kleinbürger, die sich – die einen über ihre Böden gebeugt, die anderen in ihren Läden hockend – wie der Maulwurf in seinem unterirdischen Gang bewegen und sich niemals aufrichten, um die Natur in Muße zu betrachten.

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