Will Berthold - Malmedy - Das Recht des Siegers

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Malmedy – dieser Name steht für eines der besonders dunklen Kapitel des Zweiten Weltkriegs: das Massaker an amerikanischen Gefangenen im Zuge der Ardennnen-Offensive Ende 1944 an der Straßenkreuzung nahe Malmedy. Wieder einmal ist Will Berthold ein eindringlicher Kriegsroman gelungen, der sich auf Tatsachenberichten stützt. In seiner Erzählung schildert Berthold aber nicht nur die schrecklichen Ereignisse am 17. Dezember 1944, sondern konzentriert sich in erster Linie auf die Vorgänge während des Dachauer Kriegsverbrecherprozesses. Hauptfigur dabei ist der US-amerikanische Chefverteidiger Evans, der als Jurist und Oberst damals seinen Dienst im besiegten Deutschland tat und sich dafür einsetzte, keine blindwütige Rache gegen die 43 Verurteilten walten zu lassen. «Schuldig» oder «unschuldig» entschied damals über Tod oder Überleben der vor Gericht stehenden früheren SS-Soldaten.Will Berthold (1924–2000) war einer der kommerziell erfolgreichsten deutschen Schriftsteller und Sachbuchautoren der Nachkriegszeit. Seine über 50 Romane und Sachbücher wurden in 14 Sprachen übersetzt und erreichten eine Gesamtauflage von über 20 Millionen. Berthold wuchs in Bamberg auf und wurde mit 18 Jahren Soldat. 1945 kam er vorübergehend in Kriegsgefangenschaft. Von 1945 bis 1951 war er Volontär und Redakteur der «Süddeutschen Zeitung», u. a. berichtete er über die Nürnberger Prozesse. Nachdem er einige Fortsetzungsromane in Zeitschriften veröffentlicht hatte, wurde er freier Schriftsteller und schrieb sogenannte «Tatsachenromane» und populärwissenschaftliche Sachbücher. Bevorzugt behandelte er in seinen Werken die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg sowie Themen aus den Bereichen Kriminalität und Spionage.-

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Will Berthold

Malmedy

Das Recht des Siegers

SAGA Egmont

Malmedy - Das Recht des Siegers

Malmedy Das Recht des Siegers (Mitgefangen Mitgehangen, Malmedy, Malmedy aufgeschoben aufgehoben)

Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass

represented by AVA international GmbH, Germany ( www.ava-international.de)

Originally published 1957 by Kindler Verlag, Germany

Copyright © 1957, 2017 Will Berthold Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711727348

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Erstes buch

Mitgefangen — Mitgehangen

Malmedy

1. kapitel

Das große, weiträumige Haus von München-Harlaching hat schon viel schlimmere Stürme erlebt als den heutigen Abend. Es ist kurz nach 22 Uhr, und nur wenige Gäste, eine bunte, vom Zufall zusammengewürfelte Gesellschaft von Amerikanern und Deutschen, können noch auf den Beinen stehen. Der dünne Whisky hat ihnen dicke Köpfe gemacht.

Der eigentliche Besitzer der Herrschaftsvilla sitzt in einem Internierungslager. Mit Recht übrigens. Sein derzeitiger Vertreter, ein rundlicher Besatzungsmajor, liegt bereits im Bett und gibt den überreichlich getrunkenen Schnaps wieder von sich. Der Gastgeber ist nicht der einzige, der schlappmacht. Der Stil der Partys des Jahres 1946 ist mitunter die Stillosigkeit …

Leutnant Henry F. Morris ist ganz und gar nicht in Laune. Seit zwei Stunden beobachtet er schweigend und verdrossen die willigen, billigen Mädchen und die girrenden, hektischen Damen, die nie genug bekommen. Seit dieser Zeit steht die Frau eines früheren NS-Parteibonzen im Mittelpunkt und führt das große Wort; dabei weiß jeder von ihr, deren Namen früher auf den Titelseiten der Zeitungen beinahe täglich zu finden war, daß sie in ihrer Villa am Tegernsee den amerikanischen Befreiern splitternackt entgegengekommen war.

Die Unterhaltung ist zweisprachig. Der junge, schlaksige Leutnant kann das miserable Englisch und das gebrochene Deutsch nicht mehr hören. Er greift sich nochmals einen „Scotch“ und wünscht sich 4000 Kilometer weg von hier. Der Krieg ist zwei Jahre aus, und er weiß nicht, was er in diesem verdammten Germany noch zu suchen hätte.

„Mixen Sie mir auch einen“, sagt ein junges Mädchen hinter ihm.

Er nickt, ohne sich umzudrehen.

„Noch mehr Soda?“ fragt er gewohnheitsmäßig.

„Nein, danke, es reicht.“

Jetzt erst sieht er sie … und er sieht sie gerne. Sie ist mittelgroß, dunkelblond, hat helle, wache Augen und eine hübsche Stirn. Ihr Englisch ist so sauber wie ihr Gesicht.

„My god … wo kommen Sie denn her?“ fragt Leutnant Henry F. Morris.

„Ich habe mich verspätet. Aber auf Partys dieser Art kommt man wohl nie zu spät.“

„Bestimmt nicht.“

Mit den Gläsern in der Hand verziehen sich die beiden in eine Ecke, finden zwei Polsterstühle, lassen sich nieder, schlagen die Beine übereinander, betrachten sich lächelnd.

„Ich wollte gerade gehen.“

Der Leutnant gibt sich keine Mühe, seine Sympathie besonders zu verstecken.

„Lassen Sie sich nicht aufhalten“, versetzt das Mädchen.

Er steht auf, versucht einen Augenblick lang gerade dazustehen, streckt ihr die Hand hin und sagt:

„Ich bin Henry F. Morris.“

„Ich heiße Vera Eckstadt.“

Sie lächelt, ohne dabei den Mund zu verziehen. Sie ist selbstsicher, natürlich kokett, ohne eine Spur von Pose dabei. Sie wirkt wie eine Zwanzigjährige, könnte aber auch schon älter sein.

„Schade, daß wir uns ausgerechnet hier kennenlernen müssen“, nimmt der Amerikaner das Gespräch wieder auf.

„Wo sollten wir es sonst?“

„Es ist seltsam. Entweder ich kann jemanden in der ersten Sekunde leiden oder ich kann ihn nicht ausstehen.“

„Sie können mich also leiden“, antwortet das Mädchen lächelnd.

„Ja“, sagt er. Einen Augenblick lang wirkt er verlegen. „Es ist schrecklich mit diesen Leuten hier“, erklärt er, „sie wollen alle was. Die einen Zigaretten oder Schnaps, die anderen ihre Entnazifizierung oder eine Lizenz oder sonst irgendeinen Unfug.“

„Ja. Manche füllen sogar den Zucker in mitgebrachte Tüten“, entgegnet Vera. Sie legt sorgfältig das linke Bein über das rechte, streicht mit einer knappen, keineswegs prüde wirkenden Bewegung den Rock glatt.

„Ihr Amerikaner habt eben zuviel, und wir Deutsche haben zuwenig.“

„Na ja“, erwidert Henry, „nicht ganz ohne Grund, nicht?“

Sie nickt.

„Ich kann mir schon vorstellen, wie das bei euch ist. Aber Sie können nicht wissen, wie einen das alles ankotzt, wenn jeder, dem Sie begegnen, etwas von Ihnen will … Auf einmal haben Sie das Gefühl, Sie sind in einem Netz und gleich kommt die Spinne …“

Sie nickt wieder. Sie wirkt jetzt ernst und müde.

„Ja“, sagt sie leise, „und dabei will ich auch etwas von Ihnen.“

Er hört es gar nicht.

„Ich bin nur hierhergekommen, um Sie zu treffen.“

Er schweigt noch immer.

Sie wird heftig:

„Hören Sie, Henry F. Morris, ich will etwas von Ihnen!“

„So“, sagt er langgedehnt und verständnislos.

Er greift hastig in die Tasche, holt eine Zigarette hervor, will sie anzünden. Das Feuerzeug versagt.

„Sie müssen mich morgen mit Colonel Evans zusammenbringen … Sie sind doch sein Assistent, nicht?“

„Zum Teufel, was wollen Sie eigentlich“, stößt er hervor.

„Wenn Sie mir nicht helfen“, sagt sie leise und bestimmt, „wird ein Unschuldiger gehängt.“

„Können Sie mir einen Deutschen zeigen, der nicht schuldig ist?“

„Ja“, erwidert sie.

Sie steht auf. Ihr Blick wird auf einmal merkwürdig starr, als ob sie in eine imaginäre Ferne sähe, als ob sie Raum und Zeit vergäße, als ob sie entsetzlich allein sei.

„Ja“, sagt sie noch einmal. Ganz leise.

„Meinen Bruder.“

In der ersten Sekunde begreift es der Leutnant nicht. Dann ist es soweit. Er würgt den Fluch hinunter, betrachtet Vera Eckstadt, lächelt dümmlich dabei, versucht die Zigarette noch einmal anzuzünden, schnappt sein Whiskyglas, trinkt es in einem Zug leer. Die Minute ist aus Gummi. Sie ist endlos, gemein und quälerisch …

An diesem Tag zweifelt Colonel Evans zum erstenmal in seinem Leben an Gott. An der Weltordnung. An der Würde des Menschen. An der Humanität seines Landes. Am Fortschritt. An diesem Tag fürchtet der Oberst alles zu verlieren, an das er bisher glaubte …

An diesem Tag verflucht der Oberst die Tatsache, daß er Jurist ist. Daß er Englisch spricht. Daß er als Amerikaner zur Welt kam. Daß er die Uniform eines Obersten der Vereinigten Staaten trägt. Daß er sein Land liebt.

An diesem Tag glaubt er, es zu hassen.

Colonel Evans ist mittelgroß und zierlich, hat ein intelligentes, kantiges Gesicht, lebhafte, scharf beobachtende Augen. Er stammt aus Atlanta, der Hauptstadt von Georgia, und der energische, fast asketisch wirkende Mann ist schon auf den ersten Blick der Typ des Gentleman aus den Südstaaten.

Der Krieg spült ihn nach Deutschland. Er hatte keinen Grund, es besonders zu lieben. Und er liebte es auch nicht besonders. Er tat seine Pflicht. Er diente in der Army. Er brachte es bis zum Obersten. Eigentlich sollte er längst zurück sein, um sich um seine Rechtsanwaltspraxis zu kümmern. Er war jetzt bald an der Reihe und stand kurz vor der Rückreise in die Vereinigten Staaten.

Da kam der Auftrag.

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