5 Ich mache mir Sorgen um Kaia. Mein Roboter-Geisteszustand ist definitiv instabil.
6 Trotz all der düsteren Umstände weigere ich mich immer noch, unrechtmäßig Energie zu mir zu nehmen, geschweige denn, mich an den Tieren hier zu vergreifen. Instabilität erneut bewiesen.
Joa … sieht doch gut aus, oder? Aufgeben steht mir jedoch nicht, weswegen ich mich mit neu gewonnener Entschlossenheit erhebe. Das Kätzchen springt vorher mit einem frustrierten Maunzen von meiner Brust. Gerade als ich endlich stehe, geht wieder ein Beben durch das Biotop und ich halte mich an einem der Regale fest. Es scheint, als würden die Explosionen immer näher kommen. Ob ich Erny anfunken sollte, um an neue Informationen zu gelangen? Sicher ist er an der Front. Die Biobots sehen vielleicht harmlos aus, aber sie sind nicht umsonst die Wächter der für die Roboter und Menschen wichtigsten Gebiete. Anlegen sollte man sich mit ihnen niemals. Manchmal gibt es zusätzlich Söldner in der Gegend, die Kampfkraft und Schutz anbieten, aber ich habe zumindest bei Ernys Stützpunkt keine gesehen. Normalerweise ist es auch nicht nötig. Nur scheinen die alten Regeln nicht mehr zu gelten und ich bin nicht in der Lage, heute noch irgendwen zu schützen, denn bald werden meine Ölfilter explodieren und das ganze Visier bunt blinken wegen dieser vermaledeiten Fuchsleiche. Garantiert wollen die Forscher mich loswerden und der Grund dafür hat irgendwie mit Kaia zu tun. Ich habe mich tatsächlich übers Ohr hauen lassen. Schon wieder. Verrate das bloß niemandem, okay?
Endlich bin ich bei dem Zeltausgang angekommen und stürze hinaus. Wie erwartet, ist das Areal leer. Ich wage es jedoch noch nicht, mich vor die Zelte zu bewegen, für den Fall, dass Wachen zurückgelassen wurden. Garantiert gehen sie davon aus, dass ich schon in meinem eigenen Öl auf dem Boden liege und dahinschwinde. Sie zu überraschen, wäre also möglich. Meine rechte Hand liegt auf dem Griff des Schrotdrillings, der an meiner Taille befestigt ist. Nie habe ich damit gerechnet, die Waffe einmal ausgerechnet auf dem heiligen Boden eines Biotops ziehen zu müssen. Tja. Viele erste Male heute.
Ich bewege mich in die Richtung, in die vorhin der Anführer mit dem Mädchen verschwunden ist. Dabei folge ich einem Instinkt von mir, den ich nicht kenne und den ich schon seit dem Zusammentreffen mit Kaia kritisch beäuge. Die persönliche Weiterentwicklung eines Roboters wird nie gestoppt und ich habe keine künstlichen Sperren einprogrammiert. Meinen Kodex habe ich selbst entwickelt und er wäre nicht echt, wenn ich ihm nicht Raum zur Entfaltung und für gelegentliche Korrekturen geben würde. Wahrscheinlich hat Kaia irgendwelche neuen Berechnungen angeregt. Vatergefühle. Schon allein dieses Wort lässt mich schnauben, nur leider ohne schicke Rauchwölkchen aus den Luftschlitzen. Mal wieder.
Ich bitte meine Synapsen, diesen Werdegang noch einmal zu überdenken, aber meine Schritte führen mich trotzdem weiter in das nächste Zelt. Vorsichtig bücke ich mich unter die Plane und spähe hinein. Hier ist nichts bis auf eine Klappe im Boden. Da hätten wir wohl den Bunker. Schlau, ihn dermaßen zu verbergen. Ob die Biobots davon wissen? Oder wurde er heimlich gebaut? Ich speichere diese Erkenntnis gut ab, denn es wäre ein weiterer Verstoß der Forscher gegen geltendes Recht. Nach allem, was sie mir angetan haben, bin ich gern gewillt, es ihnen heimzuzahlen.
Beim Öffnen der Luke bemerke ich erste Anzeichen der Biomassevergiftung. Meine Bewegungen werden schwerfälliger und die inneren Verkabelungen kribbeln unangenehm. Das Gefühl setzt sich fort in Richtung Kühlung und Ölkreislauf. Blöd. Ich muss mich beeilen.
Hinunter führt eine kleine Leiter, die mir ziemlich morsch erscheint. Zögerlich setze ich einen Fuß darauf. Wenn sie die schweren Forschermaschinen trägt, dann doch hoffentlich auch mich.
Meine Motorik ist gerade echt nicht mehr so gut, ich brauche eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich auf festem Boden ankomme und die Umgebung inspizieren kann. Erwartet habe ich einen Bunker, sehe mich jedoch einem Höhlensystem gegenüber. Faszinierend und sehr schlau. Sicher hat der Clan nach einem natürlichen Hohlraum unter der Erde gesucht, um nicht selbst tätig werden zu müssen. Das hätte schließlich definitiv die Aufmerksamkeit der Biobots erregt.
Auch hier ist es still, viel stiller als oben. Inzwischen haben sogar die Explosionen aufgehört. Diese sind in Kombination mit einem unterirdischen Tunnelsystem nun noch beängstigender. Nicht dass hier in den nächsten Minuten alles einstürzt, weil die uralten Gänge die Erschütterungen nicht unbeschadet überstanden haben.
Wankend mache ich einige Schritte in den Stollen hinein und fixiere mich auf die Fußabdrücke im matschigen Boden. Die zeigen mir, in welche Richtung ich gehen muss. Meine Laune verschlechtert sich immer weiter, denn nun würde ich auch noch unter der Erde verrecken. Ob ich mit der Vergiftung diese Leiter wieder hochkomme, ist fraglich. Außerdem ignoriere ich seit ein paar Sekunden gekonnt, dass sich schwarze Schmiere aus meinem linken Ohrknubbel drückt.
Aufhalten kann ich diesen Prozess nicht, nur ertragen. Frische Energie würde helfen, nach diesem Ausraster meines Körpers die erforderlichen Reparaturen vorzunehmen, aber ja … du kennst meine Probleme. Warum ich die letzten Momente meines synthetischen Lebens in dieser Kloake und auf der Suche nach einem Kind verbringe, das ich kaum kenne, ist auch mir ein Rätsel.
Aber irgendwie kann es mir ja egal sein, oder? Viele Optionen habe ich schließlich nicht und das hier hat mehr Sinn, als den Forschern draußen in die Arme zu laufen oder bei einer dieser Explosionen in die Luft zu fliegen.
Ich taste mich also vor. Mein Blick verschwimmt etwas und in typisch menschlicher Manier wische ich mit der Hand über mein Visier. Als würde es an Regentropfen oder so liegen. Tut es natürlich nicht, also bringt die Geste auch nichts. Mich beruhigt sie dennoch.
Je mehr ich das Höhlensystem erkunde, desto dunkler wird es um mich herum. Bis ich vor mir witzigerweise eine Tür sehe. Ja, eine Tür. Aus Metall. Mitten in einer Höhle. Die Forscher haben sie hier angebracht, wahrscheinlich weil es etwas Gewohntes ist. Sie operieren sonst nicht in der Natur, sie mögen es klinisch und steril. Eine Tür gaukelt ihnen vor, einen Raum zum Abschließen zu haben. Oh, und ich nehme an, dass Operieren durchaus auch medizinisch gemeint ist. Zumindest kombiniere ich das fix, als ich die Pforte aufstemme und mich einem OP-Saal gegenübersehe. Womöglich sogar einer Folterkammer. So sicher bin ich mir da nicht. Denn es ist Kaia, die dort auf einem Tisch fixiert ist, aschfahl und mit zusammengepressten Augenlidern. Der Forscheranführer hängt gierig über ihr und ist durch Schläuche mit ihr verbunden.
Das ist … wow, mehr, als ich ertragen kann. Vor allem, weil ich dachte, dass sie keine Energie von ihr nehmen. Es klang vorhin nicht so, als würde sie diese Prozedur kennen. Aber das hier sieht genau danach aus. Was sonst tut er da?
Ich habe meine Flinte gezogen und halte sie zitternd hoch. Dass ich sie nicht abfeuern kann, liegt auf der Hand. Schrot verteilt sich zu sehr, ich würde Kaia ebenso treffen. Allerdings tropft mir das Öl nun schon aus beiden Ohrknubbeln und mein Prozessor ist so heiß, dass es fürchterlich brennt. Ich kann nicht mehr so richtig logisch denken, sonst hätte ich die Waffe stecken lassen und nur durch meine Präsenz Angriffslust ausgestrahlt. Aber so greift ein niederer Instinkt zu einer menschlichen Ausdrucksweise. Echt peinlich. Wenigstens kann ich mich davon abhalten abzudrücken.
»Weg von ihr!«
Langsam erhebt sich der Forscher. Die blinkenden Lichter der Technik spiegeln sich in seinem Antlitz. Verdammt, er sieht schon schick aus. Aber das darf mich nicht ablenken. Vielleicht sollte ich mir den Neid doch mal abklemmen, der ist in solchen Situationen echt störend.
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