»Klappe!«, sage ich also ein bisschen verzweifelt und gehe weiter. Seinen Arm habe ich nach wie vor erbarmungslos im Griff, aber ich achte darauf, dass ich ihn nicht auskugele, während ich das Mädel hinter mir herzerre.
»Bist du einer von ihnen? Du siehst anders aus«, wimmert es.
»Damit hast du deine Frage selbst beantwortet. Hast du die letzten Jahre geschlafen? Du solltest wissen, wie es auf unserer Welt zugeht.«
»Ja«, ist das Einzige, was die Kleine daraufhin sagt, und ich hüte mich davor nachzuhaken, was genau sie meint, und hoffe, damit ist das Gespräch beendet.
Leider umsonst. »Kann ich nicht bei dir bleiben?«
»Bei mir? Was lässt dich glauben, dass ich besser als die Forscher bin?«
»Stimmt. Du tust mir auch weh.« Ihr anschließendes Schniefen hätte ein menschliches Herz gebrochen. Wie gut, dass ich ein mechanisches habe. Trotzdem mag ich es nicht, mit den Forschern auf eine Stufe gestellt zu werden, und packe sie weniger hart an als zuvor. Wenn sie tatsächlich damit liebäugelt, bei mir zu bleiben, stehen die Chancen wenigstens gut, dass sie nicht mehr versucht wegzulaufen.
»Tut mir leid.« Ich habe mich noch nie bei jemandem entschuldigt. Allerdings musste ich bisher auch kein Menschenkind gewaltsam mit mir schleppen. Irgendwie hatte ich gedacht, das hier wäre leichter. Manchmal vergesse ich, dass der freie Wille der Menschen anders funktioniert als bei uns Robotern. Er ist komplizierter. Wenn bei uns einer den Clan wechseln möchte, ist das in der Regel ohne Probleme erlaubt. Man entscheidet sich dazu und hat vorher vermutlich Dutzende Berechnungen durchgeführt.
Menschen hingegen sind extrem sprunghaft. Heute denken sie so, morgen so, manchmal ohne jegliche erkennbare Logik. Unsere Individualität ist künstlich, ihre natürlich. Und da liegt das Problem. Echtheit ist komplex und dieses Mädchen hier ist echter und ehrlicher als jeder Mensch, der mir bisher begegnet ist. Die meisten verstecken ihre Gefühle, doch die Kleine trägt sie offen zur Schau. Weil sie ein Kind ist? Oder steckt noch etwas anderes dahinter? Durchaus möglich, wenn die Forscher ein derartiges Interesse an ihr haben.
Jetzt erst merke ich, dass wir stehen geblieben sind und uns gegenseitig anstarren. Nach meiner Entschuldigung habe ich nichts mehr gesagt, nur noch gedacht. Ich hasse es, mir solche philosophischen Fragen während eines Auftrages zu stellen.
»Du bist keine böse Maschine«, stellt das Mädchen fest. Es sieht ernst aus und blickt mich ohne Scheu an, ist absolut überzeugt von seinen Worten.
»Ich schleppe dich zurück zu den Robotern, die du fürchtest. Nicht gerade sanft. Und ich lasse mich von meinem Vorhaben nicht abbringen. Warum bin ich in deinen Augen nicht böse?«
»Du hast dich entschuldigt. Die anderen machen das nie. Und was sie tun …«, die Kleine schluchzt auf, »ist viel, viel schlimmer. Bitte, bring mich nicht zu ihnen zurück!«
Sie presst sich mit einer Intensität an meinen Körper, die mich verwirrt verharren lässt. Ihre Arme hat sie um das linke Bein geschlungen, während ihr Kopf an meiner Seite ruht und sie haltlos meine Legierung vollheult. Na großartig! Wie geht das noch mal mit dem Trösten? Vorsichtig tätschele ich ihr Haar, was sicher genauso mechanisch aussieht, wie man es sich bei einem Roboter vorstellt. »Ich habe keine andere Wahl. Söldnerkodex und so. Außerdem brauche ich dringend Energie. Jede Minute, die wir vertrödeln, kann mich mein Leben kosten.« Ja, warum bin ich eigentlich so geduldig? Unfassbar, und doch bleibe ich stehen.
Das Mädchen sieht mich mit großen Augen an. Dann streckt es mir seine Händchen entgegen und sagt: »Du kannst was von mir haben.«
Schockiert trete ich einen Schritt zurück. »Das kommt gar nicht infrage. Niemals, auf keinen Fall!« Ja, dieser Gedanke löst regelrechte Panik in mir aus. Vor allem, weil meine eingestaubten Energieslots laut »Ja!« schreien und ich mittlerweile echt kämpfen muss, nicht willkürlich Biomasse aus der Umgebung zu saugen.
»Warum nicht?«, fragt die Kleine. »Die Frau vorhin hat sich auch bei dem Roboter eingestöpselt.«
Irritiert blicke ich sie an. »Wie viel weißt du von unserer Welt?«
Sie hebt die Schultern und streckt erneut ihre Hände aus. »Du kannst wirklich. Aber … tut es weh?« In ihren Augen sind plötzlich Zweifel zu erkennen.
»Ich … glaube schon«, verrate ich und muss an die immerzu erschöpft und leidend aussehenden Spender denken. »Und ich werde dir das bestimmt nicht antun.« Wenigstens weiß ich jetzt, dass die Forscher das Mädel nicht anzapfen, was mich beruhigt. Aber was tun sie dann mit ihm? »Komm. Wenn ich dich zurückbringe, muss ich niemandem Energie klauen. Und du kannst weiter deinen Zweck erfüllen, du bist doch nicht umsonst bei ihnen, oder?«
Mit einem müden Nicken lässt die Kleine die Schultern hängen und tritt neben mich. Ihre Finger verhaken sich mit meinen. Das geflüsterte »Nein, bin ich nicht«, ist kaum zu hören, aber für mich Bestätigung genug, dass diese Diskussion endlich beendet ist.
Kurz bevor wir den Unterschlupf der Forscher erreichen, erhalte ich eine Gesprächsanfrage von Erny. Ich wische sie fort, schließlich habe ich das Mädchen gefunden. Mit ihm zu sprechen, würde unnötige Energie kosten. So langsam bekomme ich echt Panik, mich nicht rechtzeitig aufladen zu können und wie so ein verdammter Naturfreak in den Wäldern zu verrotten. Käme jetzt eine unvorhergesehene Situation, wäre ich echt aufgeschmissen. Das Mädel hat mich noch ein paarmal angesprochen, doch meine Konzentration liegt darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen und nicht nachzudenken. Um den Akku zu schonen. Energiesparmodus, sozusagen. Die Aufnahme meiner Erlebnisse und Gedanken läuft weiter, ich will ja etwas zurücklassen in dieser Welt. Für dich. Damit jemand weiß, was mir widerfahren ist. Auch als Roboter wünscht man sich manchmal, einen Stempel in der Geschichte zu hinterlassen. Ich habe bisher nichts Großartiges geleistet, doch die Vorstellung, einfach sang- und klanglos zu verschwinden, beunruhigt mich.
Das Problem ist, dass ich so nicht in einer besonders guten Lage bin, mit den Forschern zu verhandeln. Ich kann nur auf eine gerechte Zahlung hoffen, aber sie könnten mich auch einfach über den Tisch ziehen. Sprachbereit und schlagfertig bin ich unter solchen Bedingungen nicht mehr, allerdings darf man mir das auf keinen Fall anmerken.
Die zwei Wächter am Eingang machen Platz, als wir auf die Lichtung treten. Ich merke, dass das Mädchen seinen Griff um meine Finger verstärkt, aber ich reagiere nicht. Vielleicht würde ich ihm Mut zusprechen, wenn mich das keine Energie kosten würde. Ich bin zu müde, um darüber nachzudenken, und folge dem Forscher, der sich vor uns einreiht und uns dahin führt, wo ich ein paar Stunden zuvor den Auftrag erhalten habe.
Es dauert einige kostbare Minuten, bis der Anführer auftaucht und uns mustert. Dann streckt er den Arm aus und nimmt die freie Hand des Kindes in seine. »Kaia. Da bist du ja wieder.« Jegliche Sorge fehlt in seiner Stimme, er könnte wenigstens den Anstand haben, sie zu imitieren.
Nur ein winziger Teil von mir registriert, nun den Namen des Mädchens zu wissen. Warum mir das wichtig zu sein scheint, weiß ich nicht. Schließlich werde ich es nie wiedersehen. Ich werde gleich einen Energieschub bekommen, das Biotop auf Nimmerwiedersehen verlassen und keinen weiteren Gedanken an das alles hier verschwenden.
Kaia macht keine Anstalten, sich von mir zu lösen. Der Anführer sieht mich abwartend an. Ich seufze und schüttele meine Hand, damit ihre Finger von mir abgleiten. Es reicht nicht, ich bin gerade schlichtweg zu schwach. So viel zum Thema, mir dies nicht anmerken zu lassen.
»Geh mit ihm«, fordere ich sie leise auf, aber auch das hilft nicht.
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