So angestrengt sie auch arbeiteten, es dauerte immerhin über fünf Stunden, bis sie alle frei waren. Eine wahre Rekordleistung und trotzdem noch zu langsam.
Sollen wir uns jetzt an das Gitter machen?« fragte Ojo.
»Nein. Das würde zu lange Zeit in Anspruch nehmen. Wir müssen es mit einem Trick versuchen.«
Michel drängte seinen Kopf dicht an die Stäbe. Alles wartete gespannt. Man wagte kaum zu atmen.
Plötzlich wurde die Nacht von einer schnellen Folge der berühmten Teufelstriller zerrissen. Es dauerte auch nicht lange, so kamen zwei Posten herzugeeilt.
»Er bi din u mäd häba!« fluchte der eine. »Was ist los, du Hund? Beim Schejtan, kuss omek!« Er holte aus und schlug auf Michel, der plötzlich verstummte, sich aber nach hinten warf, so daß die Peitschenschnur sich in den Gitterstäben verfing.
Auf diesen Moment hatte Michel gewartet. Noch ehe der Posten die Schnur gelöst hatte, war er wieder vorne, griff durch die Stäbe hindurch und packte den Wächter beim Hals. Für eine Sekunde blitzte der Dolch im Mondlicht. Dann hing eine leblose Gestalt in Michels Armen. Der zweite wollte seinem Kameraden zu Hilfe kommen; denn er hatte nicht bemerkt, daß dieser seinen letzten Atemzug bereits getan hatte. Da aber stand auch Ojo schon am Gitter. Er hob die Hand, ballte sie zur Faust und ließ sie auf den Schädel des anderen niedersausen. Der Mann sank stöhnend zusammen.
In fliegender Eile tastete Michel die Gürtelschärpe des Erdolchten ab. Gott sei Dank. Dort hing ein großer, primitiv gearbeiteter Schlüssel, der wahrscheinlich zu allen Zellentüren paßte. Ein Griff, und Michel hatte ihn in der Hand.
Mit zitternden Fingern versuchte er, den Schlüssel von außen ins Schloß zu bringen und umzudrehen. Es gelang.
Sekunden später standen die Sträflinge im Freien, und die beiden Toten wurden in die Zelle geworfen.
»Tut jetzt nur, was ich sage. Wir müssen die gesamte Wachmannschaft überwältigen und wenn irgend möglich Waffen erbeuten. Auch Pferde brauchen wir oder Kamele. Schleicht hinter mir her!«
Bis zum Wachturm waren es gut tausend Fuß am Ufer des Flusses entlang. Glücklicherweise sah man draußen keinen weiteren Posten.Aus einem Durchbruch im Turm schimmerte Licht. Michel sammelte seine Freunde um sich und gab seine Anweisungen:
»Ojo, du gehst mit mir. Auch Abu Hanufa begleitet mich. Deste übernimmt hier draußen die Aufsicht und sorgt dafür, daß alles still bleibt, ganz gleich, was drinnen passiert. Los!«
Sie drückten die schwere Steintür auf und standen an der Treppe, die in den Turm hinaufführte.
Schritt für Schritt legten sie vorsichtig zurück. Die Treppe aber war aus Holz, ein Knarren war nicht zu vermeiden. Oben erschien ein Janitschar in der Tür und fragte:
»Weshalb schleichst du so herauf, Halef? Deine Postenzeit ist doch noch gar nicht beendet.
Warum gibst du keine Antwort?«
Michel knuffte Abu Hanulfa in die Seite. Der antwortete daraufhin in undeutlichem Ton:
»Draußen stimmt etwas nicht. Ich habe Ali gesucht, habe ihn aber nicht gefunden.«
Der oben wurde mißtrauisch. Die Stimme klang ihm fremd.
»Sieh noch einmal nach. Ali muß an seinem Posten sein. Hier ist er nicht.«
In diesem Moment stürmte Michel voran. Die beiden anderen folgten ihm auf dem Fuße. Im Nu hatten sie den Mann in der Tür überrannt und drangen in die eigentliche Wachstube ein.
Acht Mann saßen da und starrten erschrocken auf die Fremdlinge. Bis sie erkannt hatten, wen sie vor sich hatten, vergingen kostbare Sekunden.
Ojo stürzte sich auf den, der ihm am nächsten war, riß ihm das Gewehr aus der Hand und schlug mit dem Kolben wie ein Wilder auf die anderen ein. Das war allerdings nicht vorgesehen, verfehlte aber, wie Michel feststellte, nicht seine Wirkung.
Um die Situation restlos zu verwirren, begann Michel zu pfeifen. Schauerlich klangen die Tonfolgen durch den Raum.
Wo Ojo hinschlug, sank jeweils ein Mann in die ewige Nacht. Auch Michel ging nicht gerade zart mit den Schindern um. Hier wäre jede Schonung fehl am Platze gewesen, denn sie konnte leicht das eigene Leben kosten.
In wenigen Minuten war die Arbeit getan. Man hatte acht schlechte Araberflinten erbeutet. Das machte, mit den beiden vorhin erbeuteten, zehn Gewehre für vierundvierzig Mann. Nicht viel, aber besser als gar nichts.
Michel, der seine Zeit im Steinbruch gut genutzt hatte und jetzt recht gut die arabische Sprache verstand, fragte den einzigen, der noch lebte, wo sich die Waffen befänden, wieviel Janitscharentruppen in El Mengub lägen und woher man Pferde bekommen könnte. Doch der Kerl biß die Lippen zusammen und sagte kein Wort. Michel setzte ihm drohend den Dolch auf die Brust.
»Allah verdamme dich, Giaur!« zischte der Bedrängte. »Laß das Schimpfen! Sprich, sonst bist du ein toter Mann!«
»Lieber lasse ich mir die Haut in Streifen vom Leibe schneiden, ehe ich ein Wort verrate, kelb ibn kelb.«
Michel lachte hart auf.
»Nun gut, fangen wir damit an. Abu Hanufa, zieh ihm das Hemd aus. Ich werde ihm die Haut abziehen.«
Der Araber bekam angstgeweitete Augen. Als ihm sein Landsmann das Hemd herunterriß und Michel das Messer ansetzte, nicht zu zart, damit er es auch spürte, fragte er ängstlich:»Willst du mir wirklich die Haut abziehen?«
»Bei Allah, was ich versprochen habe, halte ich. Ich werde nicht nur deine Haut abziehen, sondern ich werde dich dann in eine neue einnähen lassen, und zwar in eine Wildschweinhaut.«
Ein Ruck ging durch den Körper des Arabers.
»Allah w'Allah!« stöhnte er auf, warum willst du, daß ich als Unreiner vor Allah erscheine? Weißt du, daß du mich um den Genuß der Himmel und aller himmlischen Freuden bringst, wenn du das tust?«
Michel dauerte das Geschwätz zu lange.
»So rede!« sagte er kurz und ritzte die Haut des unter ihm Liegenden. Auf dessen Stirn perlte der Angstschweiß. Doch dann kamen zögernd seine Erklärungen. »Hier in El Mengub gibt es keine Garnison. Das Kommando der Wachen für den Steinbruch besteht aus sechzig Mann, die drüben in den Zelten liegen und dort mit Weib und Kind hausen. Zehn Mann haben jeweils eine Nacht und einen Tag lang Wachdienst. Wir lösen uns stets ab. Dort drüben sind auch die Pferde und die Kamele; die Waffen hat jeder Krieger bei sich.« »Feßle ihn, Diaz. Dann stellst du dich mit Abu Hanufa an den Durchbruch und sicherst mit den hier herumliegenden Gewehren unseren Angriff auf die Zelte. Ich will hoffen, daß alles gelingt. Lange haben wir nicht mehr Zeit, denn die Sonne geht bald auf. Ich möchte möglichst vermeiden, daß geschossen wird. Sonst erwacht die ganze Stadt, ehe wir auf und davon sind.« Diaz nickte, nahm die Gewehre auf, legte sie griffbereit und wies dem Kapitän der »Medina« schweigsam seinen Platz an. Der hatte begriffen, ohne daß Michel seine Erklärung auf arabisch wiederholte.
Die unten Zurückgebliebenen wurden inzwischen schon ungeduldig. Endlich erblickten sie Michel, als dieser aus dem Turm trat. Er gab rasch seine Anweisungen.
Die Sträflinge schlichen unter seiner Führung hinüber. Bald hatten sie die weidenden Pferde ausgemacht, und jetzt erst wurden ihnen die Schwierigkeiten klar: über die Hälfte der Soldaten konnte nicht reiten. Niemand hatte an diesen wichtigen Punkt gedacht.
Stimmen wurden laut.
Michel fuhr unter die Leute und befahl ihnen, den Mund zu halten. Das wichtigste seien im Augenblick nicht Pferde, sondern Waffen.
Ein Leutnant fühlte sich ausgerechnet in diesem Moment bemüßigt, seinen Rang geltend zu machen.
Er baute sich großartig vor Michel auf und meinte:
»Ich werde jetzt das Kommando über meine Leute übernehmen; denn zum Kriegführen scheint Ihr mir doch nicht der richtige Mann zu sein, Senor.« Michel holte aus und schlug ihn einfach nieder. Es ging jetzt ums Ganze. Wenn man nicht augenblicklich handelte, konnte es zu spät sein. Da!
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