Mit jovialem Lächeln, das allerdings mehr einem Grinsen glich, ging er die wenigen Stufen hinab und mit ausgestreckten Händen auf den General zu. »How do you do, Sir«, grüßte er mit lauter Aufdringlichkeit.
Hawbury nahm etwas verwundert die dargebotene Rechte und schüttelte sie zurückhaltend. Er staunte über die Vertraulichkeit, die hier die Bediensteten an den Tag legten. Aber das mochte wohl eine Folge des Klimas und des seltenen Umgangs mit anderen Weißen sein. Er beschloß, sich diesen Verhältnissen anzupassen, und erwiderte herzlich:
»Freut mich, nach der langen Reise den ersten Englishman in Euch begrüßen zu können. Wollt Ihr nun die Freundlichkeit haben, mich Euerm Herrn zu melden, oder ist er nicht zu Hause?« »Wenn Ihr Stanley Fox meint, Sir, so steht er vor Euch. Ihr müßt meinen Aufzug schon entschuldigen; aber hier vergißt man leicht, daß man früher einmal Kultur geatmet hat.« Der General erschrak innerlich, ließ sich aber nach außen nichts anmerken. »Entschuldigt die Verwechslung«, sagte er, »ich komme soeben erst aus England, und daher fehlt mir im Augenblick noch das Unterscheidungsvermögen für die Herren der britischen Gesellschaft in Indien. Darf ich Euch meinen Begleiter, Mr. Baum und seinen Freund, Mr. Ojo, vorstellen.«
Fox hob die Hand und winkte den beiden herablassend zu. »How do you do«, kaute er nachlässig. Ojo und Michel sahen einander an.
»Ein sonderbarer Kunde«, meinte Ojo auf spanisch. »Er benimmt sich wie ein Graf und sieht aus wie ein Landstreicher.« Fox sagte zu Hawbury:
»Darf ich Euch mein Haus zur Verfügung stellen, Sir? Es ist zwar für englische Begriffe nicht besonders komfortabel; aber ein Dach über dem Kopf habt Ihr allemal.« »Danke. Und wo können meine Begleiter nächtigen?« Fox zuckte die Schultern.
»Ich habe leider nur ein Gastzimmer. Aber wenn sie mit Hängematten vorliebnehmen, so ist in meinem Garten Platz.«
Hawbury war sichtlich verlegen. Einen solchen Empfang hatte er bei aller Illusionslosigkeit nicht erwartet. Er beschloß, Fox deutlicher zu verstehen zu geben, wen er vor sich hatte. Seine Stimme hatte einen barschen Ton, als er sagte: »Hört, Fox, dieses Angebot war eine Frechheit. Ich weiß nicht, wie Ihr dazu kommt, mit solchen Unverschämtheiten aufzuwarten. Ich möchte Euch nur sagen, daß ich das Haus mit Beschlag belege, wie es mir gefällt. Sir Warren Hastings versicherte mir ausdrücklich, daß die Häuser der Angestellten Eigentum der Kompanie sind. Richtet Euch gefälligst danach. Und nun zeigt uns, wo wir uns erfrischen können.« Fox dachte nicht daran, sein Benehmen zu ändern.
»Ihr müßt schon gestatten, daß ich in dem Haus, in dem ich wohne, nur Gäste aufnehme, die mir passen. Und wenn es hundertmal der Kompanie gehört. Ihr habt mir noch nicht einmal den Grund Eures Hierseins genannt.«
Lord Hawbury holte einen Brief aus seinem Ärmelaufschlag und reichte ihn Fox mit zwei Fingern.
»Da, informiert Euch selbst.«
Fox steckte das Schreiben unbeachtet in die Tasche seines Hemdes und wies mit dem Daumen zum Haus. »Tretet näher, Sir.«
Ojo und Michel nächtigten in einem mitgeführten Zelt, das die Träger im Garten des Bungalows aufschlugen. Die Zimmer des Bungalows glichen Rumpelkammern. Ganze Batterien leerer Flaschen standen und lagen in allen Ecken.
Der General war in den kommenden Tagen mit der Überprüfung der gesamten Arbeit des sonderbaren Handelsattaches beschäftigt. Und so hatten der Pfeifer und Ojo genügend Zeit, die Gegend zu durchstreifen. Sie hatten die Büchsen umgehängt und ritten am Rand des Dschungels dahin. Dabei sahen sie, wie die Reisbauern in den Terrassen der Grundherren schufteten. »Arme Teufel«, sagte Ojo mitleidig und schüttelte den Kopf. Michel nickte.
»Es scheint auf der ganzen Welt gleich zu sein. Wohin ich bis jetzt gekommen bin, habe ich nur zwei Sorten Menschen vorgefunden: Herren und Knechte. Und man kann nichts daran ändern. Das ist das schlimmste.«
»Ihr habt eine dritte Sorte Menschen vergessen, Senor Doktor.« »So? Welche denn?« »Die Piraten. Sie sind frei.«
»Nein«, meinte Michel. »Das scheint dir nur so. Sie sind — ganz im Gegenteil — am Unfreiesten; denn sie können ihren Herrn nicht abschütteln. Er ist in ihnen. Sie sind Sklaven der Gier nach Geld und der Lust am Morden. Das hat mit Freiheit nichts zu tun.« »Das verstehe ich nicht. Bin ich ein Sklave des Goldes?«
»Nein, du bist ja auch nicht das, was man schlechthin unter einem Piraten versteht. Du warst es vielleicht einmal. Aber das ist lange her. Ich hoffe, daß sich auch deine Kameraden auf dem Schiff gewandelt haben. Wenigstens bilde ich mir ein, daß ich ihnen den Respekt vor dem Leben anderer beigebracht habe. Auch die Goldgier wird ihnen noch vergehen, wenn sie erst einmal gemerkt haben, daß sie auch mit vielen Schätzen weiter nichts tun können, als sich satt essen und vollaufen lassen.«
Ojo sah ihn skeptisch von der Seite an.
Mitten im Gespräch hielten sie plötzlich erschrocken inne. Vor ihren Augen schoß etwas wie ein Blitz vorbei. Dann brach seitwärts aus den dichten Schlingpflanzen eine Gestalt hervor, ein Jüngling. Er hatte Pfeil und Bogen in der Hand, rannte ein Stück hinüber auf das Reisfeld, verhielt im Lauf, wandte sich um und sandte einen Pfeil in den Wald. Die beiden Reiter beachtete erüberhaupt nicht. Seine Augen suchten das Dickicht zu durchdringen. Aber es zeigte sich niemand.
Er schritt dorthin, wo das blitzende Etwas am Boden lag, bückte sich, hob es auf und wog es in der Hand.
Michel und Ojo wandten ihre Pferde und ritten zu ihm hin. »Gegen wen kämpftest du?« fragte Michel.
»Wer seid ihr?« stellte der Jüngling eine Gegenfrage im besten Englisch.
»Wir sind Reisende«, erwiderte Michel, »und halten uns zur Zeit in Bihar auf, wo einer von uns geschäftliche Dinge zu erledigen hat.«
Der Junge musterte die Reiter mißtrauisch.
»Ihr seid Leute von der Kompanie, nicht wahr?«
»Wir stehen in ihren Diensten. Stört dich das?«
Der Junge ließ die Frage unbeantwortet. Dafür hielt er ihnen den Gegenstand unter die Nase, den er soeben aufgehoben hatte. Michel nahm ihn in die Hand. Es war eine kreisrunde, metallene Scheibe, deren Außenkanten scharf wie ein Rasiermesser waren. In der Mitte hatte diese Scheibe ein Loch.
»Es ist die Waffe der Sikhkrieger, ein fürchterliches Instrument in der Hand des Geübten.« »Verfolgt man dich denn?« fragte Michel.
»Ja. Ich glaube es wenigstens. Es treibt sich schon seit Tagen fremdes Gesindel in Bihar herum. Ich war einigen auf der Spur, konnte sie aber nicht stellen.«
Michel übersetzte Ojo rasch den Inhalt des Gesprächs. Dann wandte er sich wieder dem Jüngling zu.
»Wie alt bist du? Gehörst du zur Polizei des Radscha?«
»Ich bin Tscham«, sagte der Junge einfach, als ob er damit alles erklärt hätte.
Michel dachte nach. In irgendeinem Winkel seines Gedächtnisses gab es diesen Namen. Richtig, er erinnerte sich gehört zu haben, daß beim Radscha ein junger Mann dieses Namens lebte, um später einmal die Nachfolge anzutreten. Dennoch fragte er:
»Tscham? Kannst du dieses Wort nicht ein wenig erläutern?«
»Ja, ich bin der Sohn des Radscha von Bihar. Und später werde ich einmal Radscha sein.« »Und da läßt man dich einfach so im Dschungel herumtollen?« Tschams Stirn krauste sich.
»Ich tolle nicht herum, ich verfolge eine Verbrecherbande. Wahrscheinlich sind es Thags, die jetzt auch hier ihr Unwesen treiben.«
Thags waren Mitglieder einer indischen Mördersekte, die zu Ehren der Göttin Bhowanee, der Gemahlin Wischnus, wahllos Menschen umbrachten, insbesondere solche, von denen sie glaubten, daß sie den Engländern hörig seien.
Michel kannte diesen Begriff noch nicht, hatte auch noch nichts von einer solchen Sekte gehört. »Ist es nicht ein wenig gefährlich für einen Jungen wie dich, einer solchen Beschäftigung nachzugehen?«
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