»Weil - weil ich Euch liebe.«
Sie konstatierte, daß seine Stimme während dieser Worte nichts Arrogantes, nichts Widerwärtiges, nichts Abstoßendes an sich gehabt hatte. Er blickte zu Boden, als er die oft gesagten Worte wiederholte — wie ein Primaner. Irgendwie schien es ihr recht. Etwas wie Rührung kam in ihr auf.
Sie trat einen Schritt näher und legte ihre Hand sacht auf seinen rechten Arm.
Er war wie elektrisiert. Die Berührung durchfuhr ihn wie ein Schlag. Seine Augen weiteten sich, die Erwartung stand in seinem Gesicht geschrieben.
Als Charlotte die Wirkung ihrer Handbewegung wahrnahm, zog sie die Finger rasch wieder zurück.
»Ihr seid mir«, sagte sie langsam, »in den letzten Jahren tatsächlich beinahe so etwas wie ein Freund geworden, Graf. Damals, als Ihr Michel davonjagtet, hätte ich es nie für möglich gehalten. Aber es ist so. Nun, ich habe nichts gegen Eure Freundschaft. Mein Freund dürft Ihr bleiben; denn Ihr seid zum Schluß auch Michels Freund gewesen. Aber verlangt nicht im Ernst, daß ich Euch liebe.«
Er zog seufzend die Schultern hoch.
»Was soll man dazu noch sagen?«
»Nichts«, meinte sie und lachte. »Grüß Gott.«
Sie verschwand im Eingang.
Eberstein ging, tief in Gedanken versunken, die Straße entlang.
Schon vor Jahren hatte der alte Eberstein ein großes, schönes Haus in Kassel erworben. Es war prächtig und gediegen eingerichtet. Die gräfliche Familie führte ein feudales Leben.
Der alte Graf war immer unterwegs. Und obwohl die Güter der Ebersteins nicht viel abwarfen, war immer reichlich Geld im Haus.
Den alten Grafen führten seine Reisen weit über Land. Wenn ihn Leute aus seinen Kreisen fragten, weshalb er sich in seinem Alter so wenig Ruhe gönne, antwortete er verschmitzt:
»Wer leben will, muß in Geschäften unterwegs sein. Überall liegt das Geld auf der Straße. Man muß nur verstehen, es aufzuheben.«
Rudolf von Eberstein hatte sich nie große Gedanken darüber gemacht, woher das viele Geld kam. Hätte er von seinem Majorsgehalt leben müssen, dann wäre er kärglich dran gewesen. Die Zuschüsse vom Vater waren beträchtlich. Rudolf Eberstein wußte auch, daß das Geld nicht immer auf ganz saubere Weise verdient war.
Pecunia non olet, hatte ein römischer Kaiser gesagt. Geld stinkt nicht. Nun, und was einem Kaiser recht war, das war einem Grafen Eberstein schon lange gut. Nein, Geld stank nicht. Man mußte es nur haben.
Als an diesem Abend der Gong im Hause die Familienmitglieder zu Tisch rief, hatte der alte Graf ein verkniffenes Gesicht. Während die Diener das Essen servierten, beugte er sich zu seinem Sohn hinüber und flüsterte :
»Komm nach dem Abendessen in die Bibliothek. Ich muß mit dir sprechen, Rudolf.«
Seine Stimme hatte ungewöhnlich sorgenvoll geklungen. Was mochte geschehen sein? Dem jungen Grafen schmeckte das Essen nicht mehr. Als er sah, wie sein Vater in dem Braten herumstocherte, verging auch ihm der Appetit. Er mußte ernste Sorgen haben.
Als sie dann eine Stunde später in der Bibliothek saßen, meinte der Graf:»Ich muß dir eine wenig schöne Eröffnung machen, Junge.«
»Was gibt«s?« fragte Rudolf trocken.
»Ich weiß, daß du dich nie dafür interessiert hast, woher das Geld kommt, das wir verbrauchen.
Diesen Standpunkt wirst du nun ändern müssen.«
»Und weshalb?«
»Nun, wenn wir unsere gesellschaftliche Stellung hier wahren wollen, so ist es unumgänglich notwendig, daß du dich dafür interessierst.«
»Ich verstehe dich nicht.«
Der Alte lachte.
»Du willst nicht verstehen. Ich kann auch noch deutlicher werden. In Zukunft wird unsere gesellschaftliche Stellung ganz allein von dir abhängen. Zumindest so lange, bis ich mich erholt habe.«
Rudolf von Eberstein wurde blaß. Er zog die Stirn in Falten.
»Willst du dich nicht klarer ausdrücken, Vater?«
»Recht gern, mein Sohn. Sehr klar. Wir sind pleite. Ich habe leider eine größere Spekulation gemacht und — verloren.«
»Und meine Zuschüsse?«
»Die auch.«
»Schöne Geschichte.«
»Ja, du wirst dich in Zukunft schon selbst darum kümmer müssen, wo das Geld herkommt, das du ausgeben willst.«
»Aber wie?«
»Stelle das unfruchtbare Werben um Charlotte Eck ein. Der Alte ist zwar ein wohlsituierter Bürger; aber große Reichtümer sind von den Ecks nicht zu erben.«
»Ich liebe das Mädchen.«
»Hahaha«, lachte der Alte, »ich habe viele Mädchen geliebt; aber ich konnte sie nicht alle heiraten.«
»So darfst du nicht sprechen. Meine Gefühle für Charlotte sind heilig.«
»Parbleu«, meckerte der Alte, »rede keinen Unsinn. Was nützt dir dein ganzes Heiligtum, wenn du kein Geld hast!«
Rudolf von Eberstein schwieg. Er dachte über die veränderte Lage nach.
»Sei gescheit«, unterbrach der Vater sein Grübeln. »Wenn du klug genug bist, können wir unsere Lage bald verbessern.«
Rudolf sah auf.
Eine Frage stand in seinem Gesicht.
»Hast du schon ein Rezept?«
»Ja. — Du kennst doch Abraham Hirschfelder, nicht wahr?«
»Den Juwelier?«
»Eben den.«
»Soll ich etwa zu ihm gehen, um eine Anleihe aufzunehmen?«
»Anleihe? — Rede keinen Unsinn. Wovon sollen wir eine Anleihe zurückzahlen?«
»Ja, das weiß ich auch nicht.«
»Ich meine eine anständige Mitgift«, sagte der Alte und lachte.
»Eine Mitgift?« Rudolf von Eberstein war ehrlich verblüfft. Er faßte nicht, was sein Vater sagte.
»Parbleu, du mußt die Tochter vom alten Abraham poussieren. Wie ich ihn kenne, gibt er sein halbes Vermögen, wenn seine Tochter in adlige Kreise Einlaß findet. Und er wird vollends aus dem Häuschen geraten, wenn seine Tochter gar eine Gräfin werden soll.«
»Du meinst — du meinst, daß ich Abraham Hirschfelders Tochter heiraten soll?«
»Genau das. Rachel ist ein süßes Kind, süßer jedenfalls als deine langsam alt werdende Charlotte Eck.«
Rudolf von Eberstein verlor für einen Moment die Fassung. Dann sagte er ungehalten und sehr laut:
»Ich —, Rudolf Graf von Eberstein, soll eine Jüdin heiraten?«
»Was heißt das schon? Mir wäre ein indische Prinzessin auch lieber. Aber da wir keine haben, müssen wir eben mit einer israelitischen Juwelierstochter vorliebnehmen. Hauptsache, es kommt Geld ins Haus.«
»Unmöglich! Eine solche Mesalliance könnte zu der Konsequenz führen, daß ich meinen Abschied nehmen muß. Seine Hoheit wird es nicht dulden, daß ein Offizier seiner Leibdragoner eine solche Verbindung eingeht.«
»Das laß nur meine Sorge sein. Wenn du sie nur kriegst, sie und ihre Diamanten. Das andere will ich schon regeln. Die Heirat mit Charlotte Eck wäre auch nicht gerade standesgemäß gewesen.
Da hattest du keine Bedenken.«
»Charlotte liebe ich auch.«
»Liebe — wenn ich das schon höre! Wie man sich so etwas nur einbilden kann!«
»Und wie stellst du dir das vor, Vater?«
»Ich muß nur wissen, ob du grundsätzlich dazu bereit bist. Das andere mache ich schon.«
»Laß mich die Sache beschlafen.«
»Nicht beschlafen. Betrinke sie. Dabei kommt mehr heraus.«
Als der junge Eberstein später in seinem Bett lag, dachte er über diese sonderbare Sache nach.
Rachel Hirschfelder war ihm keine Unbekannte. Sie galt als eines der schönsten Mädchen der Stadt. Nun, warum sollte man es sich nicht überlegen?
Am nächsten Abend drängte der Vater wieder. Und an diesem Tag wäre auch der Zuschuß fällig gewesen, den Rudolf von Eberstein sonst stets erhalten hatte. Nicht einen Dukaten rückte der Alte heraus.
»Hol sie dir von Rachel«, sagte er.
Und Rudolf von Eberstein willigte ein. Es dünkte ihn doch schlimmer, ohne Geld als ohne Charlotte Eck zu leben.
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