Michel bejahte.
»Nun, dann werden wir sie nicht begraben. Laßt sie liegen zum Fraß für die Geier. Sie sind nicht wert, daß man ihre Leichen wie die von guten Menschen behandelt.«
Michel verlegte sich aufs Bitten.
Aradman war nicht in der Stimmung, dem Mann, demgegenüber er fast so etwas wie Ehrfurcht empfand, eine Bitte abzuschlagen. So ließ er sich denn von Michel erklären, wie das Begraben vor sich gehe.
Dann gab er einer Anzahl seiner Krieger die Anweisung, eine tiefe Grube auszuheben.
Die Krieger waren zwar ein wenig erstaunt, führten jedoch den Befehl des Königs ohne Murren aus.
Als sich die Sonne nach Westen zu neigen begann, lagen sowohl die toten Menschen als auch die toten Pferde unter der Erde. Ojo war in dieser Zeit nicht müßig geblieben. Aus jungen Baumstämmchen hatte er ein Kreuz zusammengesetzt.
Als er es in die Erde stecken wollte, die die Toten bedeckte, wehrte Michel ab.
Lächelnd meinte er:
»Sie werden dich noch im Tode verfluchen, wenn du ihnen ein Kreuz aufs Grab setzen willst.«
»Demonio«, rief Ojo, »ich habe gar nicht daran gedacht, daß es keine Christen sind. Teufel, so hätte ich wohl einen Halbmond machen sollen?«
»Vielleicht.«
»Aber wie?« fragte Ojo. »Ich bin kein Künstler im Holzschnitzen. So ein Kreuz herzustellen, das ist eine einfache Sache. Aber einen Halbmond?«
»Laß nur«, sagte Michel. »Ob mit oder ohne Halbmond, Hauptsache, sie sind begraben.«
11
Ein Tag wie dieser mußte natürlich gefeiert werden. Feste des Sieges sind wohl auf der ganzen Welt eine althergebrachte Einrichtung. Für die meisten Menschen, auch für die zivilisierten, gibt es selbst heutzutage keinen schöneren Anlaß, ausgiebig zu feiern, als den Triumph über einen geschlagenen Feind.So brutzelten überall in den Straßen der Königsstadt große Ochsen am Spieß. Die Frauen zerrieben im Schweiße ihres Angesichts Mais zu Pulver, um Kuchen zu backen. Als die Dunkelheit hereinbrach, war überall ein großes Gelage im Gange.
Im Schloß ging es nicht weniger festlich zu, wenn auch in etwas gesetzteren Formen. Die Vornehmen des Dschaggareiches hatten sich versammelt. Neben dem Thron des Königs saßen zur Linken Ojo und Michel und zur Rechten der Königsläufer Maradsche. Große Tonschüsseln mit einfachen, aber kräftigen und schmackhaften Speisen wurden herumgereicht.
Ojo und Michel waren unbestreitbar die Helden des Abends. Ugawambi hielt sich zwar im Hintergrund, war jedoch aus der Nähe seines Massa nicht wegzubringen. Er hatte die nicht unbegründete Furcht, daß sich der König in vorgerückter Stunde vielleicht doch noch der wenig rühmlichen Rolle entsinnen mochte, die der lange, dürre Schwarze gespielt hatte. So war es schon besser, man hielt sich bescheiden im Hintergrund. In der Menge unterzutauchen ist von jeher der Grundsatz derer gewesen, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen mußten.
Der König wandte sich mit einer Frage an Michel :
»Wie lange wirst du uns noch die Ehre deines Besuches erweisen?«
»Ich denke, bis unser Freund Tscham gesund ist.«
Der König nickte. Dann beugte er sich zu Maradsche und flüsterte diesem etwas zu. Maradsches Augen suchten den Saal ab. Dann winkte er dem alten Mann, der trotz seines hohen Amts als Obermedizinmann des Stammes den Freuden dieser Welt in Form der dargereichten Speisen kräftig und mit aller menschlicher Begier zusprach.
Der Alte erhob sich und folgte dem Wink. Zwischen Aradman und ihm entspann sich ein kurzes Gespräch. Dann war der Zauberer wieder entlassen.
»Was sagt er?« fragte Michel.
»Das Befinden deines Freundes ist ausgezeichnet. Er hofft, daß er in spätestens drei Tagen wieder vollständig hergestellt ist.«
»Unglaublich«, wunderte sich Michel.
Aradman lächelte.
»Der Medizinmann ist ein weiser Mann.«
»Aber wie macht er das?«
»Wer in unserem Land Arzt werden will, muß sein Können beweisen. Dazu gehört auch das Heilen des Wechselfiebers.«
Im Lauf des Abends verstand es Michel, sich dem königlichen Leibarzt zu nähern. Es fiel ihm nicht leicht, mit seinen spärlichen Kisuaheli-Sprachkenntnissen ein alltägliches Gespräch anzuknüpfen, um dann auf diskrete Weise auf das überzuleiten, was er wissen wollte.
Der alte Mann aber verstand ihn. Und da er, wie alle anderen, Michel für den Retter des Landes hielt, hielt er ihn für würdig genug, das Heilverfahren der Wadschagga kennenzulernen. Er erhob sich und winkte Michel, ihm zu folgen. Sie schritten durch eine Tür, dann einen Gang, dann wieder durch eine Tür und standen in einem kleinen Raum, dessen Einrichtung unverkennbar Ähnlichkeit mit einem europäischen Laboratorium hatte.
Da gab es vier verschiedene Feuerstellen, die sicherlich zum Kochen der Substanzen für die Präparate verwendet wurden. Auf einigen Steintritten standen irdene Gefäße, in denen sich in allen Farben schillernde Flüssigkeiten spiegelten. Weiter gab es kleine, aus Bast geflochtene Ge-fäße, die die Form von Schächtelchen oder Kästchen hatten. Darinnen befanden sich viele Arten und Sorten von Pulver.
Auf einem anderen Steinvorsprung lag eine saubere Bastmatte, die eine Menge sonderbar geformter Instrumente trug. Sie sahen aus wie chirurgische Werkzeuge des Arztes.
Auch eine Art Ruhebett stand dort. An den Seiten dieses Bettes waren Bastriemen befestigt, die dazu dienen mochten, einen sich vor Schmerzen bäumenden Patienten zu fesseln.
Michel konnte sich an diesen Dingen nicht satt sehen. Wenn man diese Einrichtung genau betrachtete, konnte man nicht umhin, den Stand der medizinischen Fürsorge für die Wadschagga zu bewundern. Nichts ähnelte der Primitivität, die den anderen Negerstämmen eigen war. Es war erstaunlich. Michel kam der Gedanke, daß diese Leute von den Ägyptern abstammen könnten.
Vielleicht war es ein Stamm, dessen Vorfahren vor Jahrtausenden das ägyptische Reich verlassen hatten, um sich bis nach Zentralafrika durchzuschlagen. Ihre ganze Kultur, ihre Art zu leben, ihre Staatsform, alles war anders als bei den meisten anderen Negerstämmen.
Michel war nun gespannt zu erfahren, womit dieser wunderbare Doktor das Fieber bekämpfte.
Aber da öffnete der Leibarzt des Königs schon eine andere Tür, die Michel bisher übersehen hatte. Als er den dahinter liegenden Raum betrat, stand er in einer hellen, freundlichen Krankenstube. Auch hier gab es wieder die erhöhten Ruhebetten aus Bast. Fensterartige Mauerdurchbrüche ließen tagsüber Licht, Luft und Sonne herein. Dabei waren die Fensterlöcher so durch den Felsen gebrochen,
daß es nie hereinregnen konnte. Ganz gleich, von welcher Seite der Regen kam.
Auf einem der Ruhelager lag Tscham. Der Arzt wies mit einer einladenden Bewegung auf den Patienten. Und da es Nachtzeit war, brannten in den vier Ecken des Raumes hell flackernde Fackeln. Sie hinterließen keine Spur von Ruß oder brandigem Geruch. Michel trat zu Tscham.
»Tscham, mein Freund, wie geht es dir?«
»Oh, ich fühle mich ausgezeichnet. Ich glaube, es wird nicht lange dauern, und ich kann aufstehen.«
»Das klingt ja fast unglaublich. - Um ehrlich zu sein, ich hatte dich beinahe aufgegeben. Dafür habe ich nun sechs Jahre Medizin studiert, daß ich heute sprachlos vor den Heilerfolgen eines Eingeborenenarztes stehe.«
»Freut es dich nicht, daß ich wieder gesund werde?«
»Aber, Junge, es gibt keine bessere und frohere Botschaft für mich. Es wäre mir schrecklich gewesen, wenn...«
»War es so schlimm?« fragte Tscham.
»Noch schlimmer«, nickte Michel. Der Doktor glaubte, daß sich der Patient nun genug mit seinem Freund unterhalten habe. Er trat an das Lager und legte seine Hand auf Tschams Kopf.
Dann zog er ein Stück Bambusrohr aus der Tasche, setzte es mit der einen Seite auf Tschams Brust und horchte auf der anderen Seite dessen Herztöne ab.
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