EINMAL KOMPETENZ, BITTE
„Sozialkompetenz“ oder „Soft Skills“ sind Fachbegriffe, die man heute überall hört. Jeder ist der Meinung, er sei besonders gut darin - so ähnlich, wie jeder denkt, er sei der bessere Autofahrer. Mein
Bruder sagt immer, ich bin der schlechteste Beifahrer der Welt. Obwohl ich nie einen Führerschein gemacht habe, habe ich immer etwas zu meckern. Immerhin, sagt Aaron, sind meine „Soft Skills“ am Werden. Das sollte übrigens für jeden von uns gelten.
Die Fähigkeit, mit Menschen umzugehen, darf man nicht als selbstverständlich voraussetzen. Sie hat nämlich entscheidenden Einfluss auf Glück und Erfolg: Ohne gute Beziehungen kommt man nicht weit! Deswegen sollte man sie ständig im Blick haben, aktiv ausbauen und weiterentwickeln. Psychologen sagen, man braucht eine Grundausstattung an Fähigkeiten, um vertrauensvolle und ertragreiche Beziehungen aufbauen zu können. Dazu gehören unter anderem:
• Stimmungen und Emotionen zu erspüren
• aufmerksam zuzuhören, was der andere sagt und wie er es meint
• nonverbale Signale zu empfangen, zu verarbeiten und darauf zu reagieren
• in jedem sozialen Umfeld zurechtzukommen
• schnell Verbindungen zu knüpfen
• seinen Charme spielen zu lassen
• Taktgefühl und Selbstbeherrschung zu haben
• aktiven Einsatz für andere zu zeigen
Jede dieser Fähigkeiten möchte ich etwas näher betrachten.
SCANNER AUF AUTOPILOT
Jeder von uns kann bis zu einem gewissen Grad Körpersprache, Tonfall, Mimik und Augenausdruck lesen. Man kann gar nichts dagegen tun. Das geschieht ganz automatisch. Viele Leute können sogar unterscheiden, ob jemand wirklich sauer ist oder nur so tut, oder ob jemand Schmerzen hat oder imitiert, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Mit fortschreitendem Alter steigt diese Fähigkeit, sagen die Psychologen, und Frauen sind besser darin als Männer. Was mich nicht wundert: Mütter sind besonders gut darin. Ich war für Mom immer wie ein offenes Buch. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wusste noch vor mir, wenn es mir schlecht ging oder ich traurig und verletzt war.
OHREN AUF!
Wie sagt man so schön? „Warum machte Gott zwei Ohren, aber nur einen Mund? Damit man doppelt so viel zuhört wie man spricht.“ Oft haben wir beim Zuhören gar nicht das Ziel, etwas zu verstehen. Wir wollen nur gerade so viel aufnehmen, um irgendetwas darauf antworten zu können. Für eine echte Verbindung zwischen zwei Menschen darf man aber nicht bei den Worten stehen bleiben. Man muss auf die Gefühle dahinter schauen. Ich bin kein Beziehungsexperte, aber ich beobachte, wie gerade Männer sich damit schwertun. Frauen sind meist intuitiver und ärgern sich über die Männer, die alles einfach nur wörtlich nehmen. Ein Mann hält sich eben an das Gesagte und blendet die Gefühle leicht aus.
LESEN, HOREN, HANDELN!
Gut zuzuhören und aufmerksam zu beobachten ist eine Sache. Viel wichtiger ist, die Signale auch auszuwerten, zu verarbeiten und entsprechend zu handeln. Wer das beherrscht, wird gute Beziehungen haben und es beruflich weit bringen. Oder auch blitzschnell reagieren und so sein Leben retten: In der New York Times stand einmal ein Bericht über zwei amerikanische Soldaten auf Patrouille im Irak. Sie kamen an ein abgestelltes Auto, in dem zwei Kinder saßen. Die Fenster waren trotz brütender Hitze geschlossen. Der eine Soldat fragte den Anführer der Patrouille, ob er den beiden Jungs im Auto etwas Wasser geben dürfe und machte ein paar Schritte auf das Auto zu.
Der Verantwortliche ließ die Umgebung einen Moment auf sich wirken und spürte plötzlich Gefahr. Er befahl dem Soldaten, umzudrehen. Gerade als dieser gehorchen wollte, detonierte im Auto eine Bombe. Die beiden Kinder wurden zerfetzt. Der Soldat überlebte, wurde aber von einem Splitter getroffen.
Später gab der Anführer zu Protokoll: „Mir wurde plötzlich kalt - eben dieses Gefühl, dass gleich etwas passiert.“ Die früheren Geschehnisse des Tages hatten ihn zusätzlich sensibilisiert: Den ganzen Morgen war kein einziger Schuss gefallen und die Straßen waren ruhiger als sonst.
Studien mit Kriegsveteranen haben gezeigt, dass sie sich auf ihre Fähigkeit stützen, ihre Umgebung schnell zu erfassen. Blitzschnell verarbeiten sie Eindrücke, Körpersignale oder merken, dass „irgendetwas nicht stimmt“. Diese Fähigkeit bringt nicht nur bei Beziehungen etwas. Sie sichert manchmal auch das Überleben.
KEINE FALSCHE (PARTY-)SCHEU
Zu den „Soft Skills“ gehört auch zu wissen, wie man sich verhält, wenn man unter Leuten ist. Das kann ein Empfang sein, eine Betriebsfeier, eine Party oder auch ein einfaches Abendessen. Die Verhaltensregeln können ganz unterschiedlich ausfallen. Wenn ich im Ausland bin, bitte ich oft meinen Gastgeber oder den
Dolmetscher, mich auf die jeweiligen Traditionen und Bräuche hinzuweisen, damit ich nicht in ein Fettnäpfchen trete und das Publikum verärgere.
Manche Essgewohnheit von zu Hause sollte man im Ausland tunlichst vermeiden. In den meisten Ländern ist Rülpsen der Gipfel der Unhöflichkeit. (In anderen Kulturen wiederum ist ein lauter Rülpser ein Kompliment an den Küchenchef.) Genauso gibt es Themen, die man besser nicht überall zur Sprache bringt. Alte Konflikte, Politik und in manchen Fällen auch Religion können zur echten Rutschpartie werden.
Trotzdem kann man immer eine gemeinsame Gesprächsebene finden. Übrigens: Mit zunehmendem Alter habe ich gemerkt, dass Zuhören am wichtigsten ist, wenn man auf andere zugehen will - vor allem bei großen Anlässen.
FALSCH VERBUNDEN?
Verbindungen zu anderen Menschen knüpft man nicht nur durch Worte, sondern auch mit Blicken und der Körpersprache. Dazu gehört auch der richtige Abstand zum Gesprächspartner. Oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst, bis jemand in unsere Privatsphäre eindringt, der kein Gefühl dafür hat. Leute, die einem im Gespräch auf die Pelle rücken, wollen meist nur eine persönliche Beziehung knüpfen. Erreichen tun sie aber das Gegenteil: Der Gesprächspartner schaltet auf Rückzug. Leider kann man den richtigen Abstand nicht verallgemeinern. Je nach Vertrauensverhältnis dürfen manche Leute weiter in unsere Privatsphäre vordringen als andere. Einmal warf mir ein Freund auf einer Party einen panischen Blick zu, weil ihn vier Leute mit ihrer Aufmerksamkeit in eine Ecke gedrängt hatten. Er sah aus wie ein Fuchs, der von Jagdhunden in die Ecke getrieben worden ist.
IMMER WIEDER ERSTAUSSTRAHLUNG
Die Aufmerksamkeit von Leuten zu gewinnen, fällt mir leicht. Sie zu behalten, ist etwas ganz anderes. Mein Aussehen fällt natürlich sofort auf, aber viele Leute fühlen sich nicht wohl damit, mich anzusehen. Ich habe also nur ein paar Sekunden, um meinen Charme spielen zu lassen. Bei Kindern und Teenagern mache ich einfach ein paar Scherze. Ich sage, früher hätte mein Leben noch Hand und Fuß gehabt, oder die anderen Teile seien grad bei der Inspektion oder so etwas, damit sie merken, dass ich alle Sprüche schon kenne und darüber lachen kann. Ich glaube, Ausstrahlung bedeutet, dem Gegenüber zu vermitteln, dass er meine volle Aufmerksamkeit hat.
ALLES EINE FRAGE DER DIPLOMATIE
Die meisten Leute sind von sich überzeugt, besonders takt- und rücksichtsvoll zu sein. Ich weiß, dass ich manchmal danebenliege. Mein Bruder erinnert mich nur zu gern daran, wie ich ihn als Kind herumkommandiert habe. Aaron hatte es wirklich nicht leicht mit mir. Auch wenn unsere Eltern daheim waren, musste er mir helfen, weil wir sowieso die ganze Zeit zusammen waren. Wenn du ihn fragst, wird er dir erzählen, wie ich manchmal den Bogen überspannte. Eines Morgens besuchte uns sein Freund Phil. Er kam gerade in die Küche, als wir noch beim Frühstück saßen. Also bot ich ihm Schinkenspeck und Eier an.
„Ja, gerne. Danke, Nick!“, sagte Phil.
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