Der Patrizier hob eine mit großen Ringen geschmückte Hand, rieb sich das Kinn und musterte den Zauberer aus perlenartig kleinen, kalt glänzenden Augen.
»Mal sehen«, brummte er. »Eidbruch. Pferdediebstahl. Außerdem hast du Falschgeld in Umlauf gebracht. Tja, ich glaube, das bedeutet die Arena für dich, Rincewind.«
Der Zauberer konnte sich nicht länger beherrschen.
»Ich habe das Pferd nicht gestohlen, sondern einen hohen Preis dafür bezahlt!«
»Mit Falschgeld. Anders ausgedrückt: Du hast es praktisch gestohlen.«
»Aber die Rhinu bestehen aus massivem Gold!«
»Rhinu!« Der Patrizier drehte eine der Münzen zwischen den Fingern hin und her. »So heißen sie also? Interessant. Nun, du weist selbst darauf hin, daß sie kaum Ähnlichkeit mit unseren Dollars haben.«
»Ja, das stimmt natürlich.«
»Ah! Du gibst es also zu?«
Rincewind öffnete den Mund, überlegte es sich anders und schloß ihn wieder.
»Na bitte. Hinzu kommt ein moralisches Vergehen: der niederträchtige und feige Verrat an einem ausländischen Besucher. Schäm dich, Rince-wind!«
Der Patrizier winkte mit einer Hand. Die Wächter hinter dem Zauberer wichen zurück, und ihr Hauptmann trat einige Schritte nach rechts. Rincewind fühlte sich plötzlich sehr allein.
Wenn ein Zauberer stirbt, so heißt es, kommt der Tod höchstpersönlich, um ihn ins Jenseits zu geleiten — anstatt, wie so oft, einen Untergebenen damit zu beauftragen, zum Beispiel Krankheit oder Hunger. Rin-cewind sah sich um und hielt nervös nach einer hochgewachsenen Gestalt in Schwarz Ausschau. (Selbst gescheiterte Zauberer haben in ihrer Netzhaut nicht nur die üblichen Stäbchen und Zäpfchen, sondern auch winzige Oktagone. Damit können sie das oktarine Spektrum wahrnehmen, jene elementare Farbe, neben der die anderen, gewöhnlichen Farben nur Schatten im normalen vierdimensionalen Kontinuum sind.)
Regte sich ein Schatten in einer Ecke des Zimmers?
»Natürlich könnte ich Gnade walten lassen«, sagte der Patrizier.
Der Schatten verschwand. Rincewind blickte auf, und zaghafte Hoffnung zeigte sich auf seinem Gesicht.
»Ja?« erwiderte er.
Der Patrizier winkte erneut, woraufhin die Wächter den Raum verließen. Als Rincewind mit dem Herrscher der Zwillingsstadt allein war, wünschte er sich fast, daß der Hauptmann und seine Leute zurückkehrten.
»Komm näher, Rincewind!« befahl der Patrizier und nickte zu dem niedrigen Onyxtisch neben dem Thron hinüber; dort stand eine Schüssel mit Delikatessen. »Möchtest du eine kandierte Qualle? Nein?«
»Äh«, erwiderte der Zauberer unsicher, »lieber nicht.«
»Bitte hör mir jetzt sehr aufmerksam zu«, fuhr der Patrizier freundlich fort. »Andernfalls stirbst du. Auf eine recht interessante Weise. Und sehr langsam. Zappel nicht dauernd.
Da du eine Art Zauberer bist, weißt du natürlich, daß wir auf einer scheibenförmigen Welt leben, nicht wahr? Am fernen Rand soll sich ein Kontinent befinden, der zwar klein ist, aber ebenso viel wiegt wie die Landmassen in diesem Hemikreis. Alte Legenden behaupten, daß er zum größten Teil aus Gold besteht.«
Rincewind nickte. Wer hatte noch nicht vom Gegengewicht-Kontinent gehört? Einige Seefahrer glaubten sogar an die Geschichten ihrer Kindheit und segelten los, um danach zu suchen. Natürlich kehrten sie entweder mit leeren Händen zurück — oder gar nicht. Vernünftigere Seeleute nahmen an, daß sie von riesigen Schildkröten verschlungen worden waren; sie hielten den Gegengewicht-Kontinent nur für einen Mythos.
»Es gibt ihn tatsächlich«, sagte der Patrizier. »Natürlich besteht er nicht nur aus Gold, aber das von uns so geschätzte gelbe Metall kommt dort recht häufig vor. Ein großer Teil der Masse geht auf gewaltige Oktiron-Sedimente tief im Boden zurück. Für jemanden, der so scharfsinnig ist wie du, dürfte sofort klar sein, daß die Existenz des GegengewichtKontinents eine große Gefahr für uns darstellt.« Der Patrizier zögerte und musterte Rincewind, der ihn mit offenem Mund anstarrte. Er seufzte und fügte hinzu: »Fällt es dir schwer, mir zu folgen?«
»Grrgh«, machte Rincewind. Er schluckte und befeuchtete sich die Lippen. »Ich meine, nein. Ich meine. Nun, Gold.«
»Ich verstehe.« Der Patrizier lächelte. »Glaubst du vielleicht, es sei eine gute Idee, zum Gegengewicht-Kontinent zu segeln und mit einer Schiffsladung Gold heimzukehren?«
Rincewind hatte das unangenehme Gefühl, daß eine verbale Falle auf ihn wartete.
»Ja?« antwortete er vorsichtig.
»Und wenn alle Leute an den Gestaden des Runden Meers einen großen Haufen Gold besäßen — wäre das wünschenswert? Was geschähe dann? Denk gründlich darüber nach.«
Tiefe Falten bildeten sich in Rincewinds Stirn, als er überlegte. »Dann wären wir alle reich?«
Die Temperatur im Zimmer schien zu sinken und ließ ihn ahnen, daß er die falsche Antwort gegeben hatte.
»Ich will ganz offen sein, Rincewind: Zwischen den Lords des Runden Meeres und dem Kaiser des sogenannten Achatenen Reiches gibt es Kontakte«, verkündete der Patrizier. »Wenn auch nur gelegentliche. Der Grund: Wir haben kaum etwas gemeinsam. Wir besitzen nichts, das man dort begehrt. Und dort gibt es nichts, das wir uns leisten können. Es ist ein altes Land, Rincewind. Alt und schlau und gemein und sehr, sehr reich. Wir beschränken uns darauf, brüderliche Grüße per Albatros-Post auszutauschen. In unregelmäßigen Abständen.
Heute morgen traf ein solcher Brief ein. Offenbar hat es sich ein Untertan des Kaisers in den Kopf gesetzt, unsere Stadt zu besuchen. Er möchte sie sich ansehen. Nun, nur ein Verrückter wäre fähig, so viele Mühen auf sich zu nehmen und den drehwärtigen Ozean zu überqueren, um sich etwas anzusehen. Wie dem auch sei.
Heute morgen traf sein Schiff ein. Er hätte einem großen Helden begegnen können, dem hinterlistigsten aller Diebe oder dem klügsten aller Weisen. Statt dessen begegnete er dir und bezahlt dich dafür, sein Reisebegleiter zu sein. Ich möchte, daß du die damit einhergehenden Pflichten ernst nimmst, Rincewind. Ich möchte, daß du den Anseher namens Zweiblum auf Schritt und Tritt begleitest. Du sollst dafür sorgen, daß er nur das Beste über Ankh-Morpork zu berichten weiß, wenn er in seine Heimat zurückkehrt. Nun, was meinst du dazu?«
»Ah«, entgegnete Rincewind kummervoll. »Danke, Lord.«
»Das ist noch nicht alles. Es käme einer wahren Tragödie gleich, wenn dem Besucher während seines hiesigen Aufenthalts irgend etwas zustieße. Es wäre zum Beispiel schrecklich, wenn er stürbe. Schrecklich für uns alle, denn der achatane Kaiser sieht sich seinem Volk gegenüber in der Rolle eines Vaters. Und Väter mögen es nicht gern, wenn jemand ihren Kindern etwas antut. Er könnte uns mit einem Nicken auslöschen. Allein durch ein Nicken. Und das wäre insbesondere schrecklich für dich, Rincewind. Die gewaltige Kriegsflotte des Reiches braucht einige Wochen, um uns zu erreichen — Zeit genug für meine Bediensteten, sich ausgiebig mit dir zu befassen. Vielleicht könnten wir der Rachsucht der Kapitäne vorbeugen, wenn wir ihnen bei ihrer Ankunft deinen noch lebendigen Körper zeigen. Mit gewissen Zaubersprüchen läßt sich ein vorzeitiger Tod verhindern, ganz gleich, wie sehr der Leib gefoltert wird, und. Du verstehst allmählich, wie ich deinem Gesichtsausdruck entnehme.«
»Arrgh.«
»Wie bitte?«
»Ja, Lord. Herr. Ich, äh, kümmere mich um den Besucher. Ich meine, ich werde mir alle Mühe geben, um, äh, dafür zu sorgen, daß ihm nichts geschieht. Äh.« In der Privatsphäre seines Kopfes fügte er verbittert hinzu: Und anschließend besorge ich mir einen neuen, ruhigeren Job. Wie wär's, wenn ich mit Schneebällen in der Hölle jongliere?
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