»Ja, und auch während der Nacht.«
»Dabei werden zweifellos Anschlüsse und unbewegliches Inventar beschädigt, nicht wahr?«
»Anschl. Oh, ich verstehe. Du meinst die Einrichtung und so weiter. Ja, da hast du sicher recht.«
»Bestimmt ärgern sich die Wirte darüber.«
»Tja, ich habe noch nie darüber nachgedacht. Vermutlich gehört das zu ihrem Berufsrisiko.«
Zweiblum sah ihn an.
»Vielleicht könnte ich helfen«, sagte er. »Risiken sind mein Geschäft. Hm, ich glaube, dieses Essen enthält ziemlich viel Fett, nicht wahr?«
»Du wolltest eine typisch morporkianische Mahlzeit probieren«, entgegnete Rincewind. »Wie war das eben mit den Risiken?«
»Oh, damit kenne ich mich gut aus. Ich habe täglich damit zu tun.«
»Also habe ich dich richtig verstanden. Aber ich kann's kaum glauben.«
»Oh, ich gehe keine Risiken ein. Zu dem aufregendsten Zwischenfall meines Berufslebens kam es, als ich ein Tintenfaß umstieß. Nein, ich bewerte Risiken, Tag für Tag. Weißt du, wie die Chancen stehen, daß ein Haus im Roten Dreieck von Bes Pelargic durch ein Feuer zerstört wird? Eins zu fünfhundertachtunddreißig. Das habe ich berechnet«, fügte Zweiblum mit gewissem Stolz hinzu.
»Wes.« Rincewind versuchte, einen Rülpser zu unterdrücken. »Weshalb? Entschuldige bitte.« Er griff nach der Weinflasche und füllte sein Glas.
»Für.« Zweiblum zögerte. »In Trob fällt mir kein passender Ausdruck ein. Wahrscheinlich haben die BinTrobi überhaupt kein Wort dafür. In meiner Sprache nennen wir es.« Er formulierte einige seltsam klingende Silben.
»Fähr-sicher-ung«, wiederholte Rincewind. »Hört sich komisch an.«
»Angenommen, du hast ein mit Goldbarren beladenes Schiff. Es könnte in einen Sturm geraten oder von Piraten überfallen werden. Da du so etwas vermeiden möchtest, besorgst du dir eine Fähr-sicher-ungs-Polließ. Ich rechne die Wahrscheinlichkeit für einen Verlust der Ladung aus, wobei ich die Wetterberichte und das Piratenaufkommen der letzten zwanzig Jahre berücksichtige. Dann füge ich ein bißchen hinzu, und du bezahlst Geld auf der Grundlage des von mir ermittelten Risikofaktors.«
»Wobei auch das >Bißchen< nicht zu kurz kommt, wie?« Rincewind hob tadelnd den Zeigefinger.
»Nun, wenn die Fracht tatsächlich verlorengeht, entschädige ich dich.«
»Ent-was?«
»Ich bezahle dir eine Summe, die dem Wert der Ladung entspricht«, erklärte Zweiblum geduldig.
»Oh, ich verstehe. Es ist wie mit einer Wette, stimmt's?«
»Ein durchaus angemessener Vergleich.«
»Und mit Fähr-sicher-ungen verdient man Geld?«
»Normalerweise verzeichnet die Bilanz einen Überschuß, ja.«
Eingehüllt in den warmen gelben Glanz des Weins versuchte Rince-wind, sich Fähr-sicher-ungen unter den besonderen Bedingungen des Runden Meeres vorzustellen.
»Ich glaube, dasch mit den Fähr-sicher-ungen verschtehe ich nich ganz«, sagte er fest und beobachtete, wie sich die Welt um ihn herum drehte. »Magie, ja. Magie verschtehe ich.«
Zweiblum lächelte. »Magie ist eine Sache, Widerhallendes-Geräusch-wie-von-unterirdischen-Geistern eine ganz andere.«
»Hä?«
»Was?«
»Dieses schonderbare Wort, dasch du gerade benutzt hascht«, meinte Rincewind ungeduldig.
»Widerhallendes-Geräusch-wie-von-unterirdischen-Geistern?«
»Hab's noch nie zuvor gehört.«
Zweiblum versuchte es zu erklären.
Rincewind versuchte es zu verstehen.
•
Einen ganzen Nachmittag lang wanderten sie durch die drehwärtigen Stadtviertel am Ufer. Zweiblum ging voraus, und an einem Riemen baumelte ihm der seltsame Bildkasten um den Hals. Rincewind wankte ihm nach, wimmerte manchmal und tastete sich gelegentlich nach dem Kopf, um festzustellen, ob er ihm noch immer auf den Schultern saß.
Eine rasch größer werdende Schar folgte ihnen. In Ankh-Morpork gehörten Hinrichtungen, Duelle, Kämpfe, magische Fehden und ungewöhnliche Ereignisse zur täglichen Gewohnheit, und deshalb hatten die Bewohner den Beruf des interessierten Zuschauers bis zur Vollendung entwickelt. Sie alle waren außerordentlich begabte Gaffer. Zweiblum fertigte immer wieder Bilder von Leuten an, die, wie er meinte, >typi-schen Beschäftigungen nachgingen, und da anschließend ein Viertelrhinu den Besitzer wechselte — für die Mühe< der Ikonographierten —, zog er bald einen langen Schweif aus Neureichen hinter sich her. Die meisten von ihnen hofften vermutlich, daß der Verrückte irgendwann in einem Goldregen explodierte.
Vor dem Tempel des Siebenhändigen Sek fand eine hastig einberufene Versammlung von Priestern und rituellen Herzverpflanzern statt; alle Teilnehmer vertraten die Ansicht, die hundert Spannen hohe Statue des Gottes Sek sei viel zu heilig, als daß ein magisches Bild angefertigt werden dürfe. Zwei Rhinu sorgten dafür, daß sie ihre Meinung änderten und zu dem Schluß gelangten, daß Er vielleicht doch nicht so heilig war.
Ein längerer Aufenthalt in verschiedenen Bordellen hatten zahlreiche bunte und lehrreiche Bilder zur Folge. Rincewind steckte mehrere davon ein, um sie später allein und in aller Ruhe zu betrachten. Als der Nebel hinter seiner Stirn zerfaserte, fragte er sich ernsthaft nach der Funktionsweise des Ikonographen.
Sogar ein gescheiterter Zauberer wußte, daß lichtempfindliche Substanzen existierten. Waren die Glasplatten auf eine geheimnisvolle Weise behandelt worden, um das eingefangene Licht festzuhalten? Vielleicht. Rincewind vermutete häufig, daß es irgendwo Dinge gab, die besser waren als Magie, doch wenn er danach suchte, mußte er immer wieder Enttäuschungen hinnehmen.
Bald nutzte er jede Gelegenheit, um mit dem schwarzen Kasten Bilder anzufertigen. Zweiblum freute sich darüber, denn es ermöglichte ihm, in den eigenen Aufnahmen zu erscheinen. Es dauerte nicht lange, bis Rin-cewind eine seltsame Feststellung machte. Der Besitzer des Kastens bekam eine eigentümliche Macht: Wer sich mit dem hypnotischen Glasauge konfrontiert sah, gehorchte selbst den gebieterischsten Befehlen in Hinsicht auf Haltung und Gesichtsausdruck.
Während der Zauberer auf dem Platz der Gebrochenen Monde seiner neuen ikonographischen Leidenschaft frönte, schlug das Unheil zu.
Zweiblum posierte neben einem verwirrten Talismanverkäufer; und die Schar seiner Bewunderer stand in der Nähe, beobachtete ihn interessiert und wartete darauf, daß er etwas Verrücktes anstellte.
Rincewind ging für den richtigen Aufnahmewinkel in die Hocke und betätigte den magischen Hebel.
»Hat keinen Zweck«, sagte der Kasten. »Mir ist das Rosa ausgegangen.«
Direkt vor Rincewinds Augen öffnete sich eine bis dahin verborgene Klappe. Eine kleine grüne und schrecklich warzige Gestalt beugte sich daraus hervor und deutete auf die verschmierte Palette in ihrer Klauenhand.
»Kein Rosa mehr, siehst du?« kreischte der Homunkulus. »Es hat überhaupt keinen Sinn, daß du den Hebel betätigst, wenn kein Rosa mehr da ist, klar? Wenn du Wert auf Rosa legst, hättest du nicht die vielen jungen Frauen ikonographieren sollen, kapiert? Von jetzt an mußt du dich mit Schwarzweiß-Aufnahmen begnügen, verstanden?« »Ja, sicher, schon gut«, erwiderte Rincewind. In einer dunklen Ecke des Kastens glaubte er, eine Staffelei und ein ungemachtes Bett zu erkennen. Der Zauberer hoffte, daß ihm die Augen einen Streich spielten.
»Farbe kannst du dir abschminken«, betonte der Kobold und schloß die Klappe. Rincewind hörte leises Grummeln und dann dumpfes Kratzen, wie von einem Stuhl, der über den Boden gezogen wurde.
»Zweiblum...«, begann er und sah auf.
Der Fremde war verschwunden. Rincewind richtete den Blick auf die Zuschauer und spürte dabei, wie ihm prickelndes Entsetzen über den Rücken kroch. Eine Sekunde später berührte ihn jemand am Rücken.
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