Tod überlegte und schien sich dann zu einer Entscheidung durchzuringen.
DU KÖNNTEST AUS ENTSETZEN STERBEN, sagte die Kapuze. Es hörte sich noch immer nach einer Grabesstimme an, aber ein leichtes Vibrieren verriet Unsicherheit.
»Da muß ich dich enttäuschen«, entgegnete Rincewind selbstgefällig.
EIN GRUND IST NICHT NOTWENDIG, meinte Tod. ICH KANN DICH EINFACH TÖTEN.
»Ausgeschlossen! Das wäre Mord!«
Die schwarze Gestalt seufzte und schob die Kapuze zurück. Rincewind sah nicht etwa den erwarteten grinsenden Totenschädel, sondern das blasse und halb durchsichtige Gesicht eines recht besorgten Dämons.
»Ich verpatze alles, stimmt's?« jammerte das Wesen.
»Du siehst überhaupt nicht wie der Tod aus!« entfuhr es Rincewind. »Wer bist du?«
»Skrofulose.«
»Skrofulose?«
»Tod hatte keine Zeit«, erklärte der Dämon zerknirscht. »In Pseudopo-lis ist eine große Seuche ausgebrochen. Er muß dort durch die Straßen marschieren, und deshalb schickte er mich.«
»Niemand stirbt an Skrofulose! Ich habe meine Rechte. Immerhin bin ich Zauberer!«
»Schon gut, schon gut«, brummte Skrofulose. »Dies sollte eigentlich meine große Chance sein. Sieh es mal so: Wenn ich von der Sense Gebrauch mache, bist du ebenso tot, als hätte der Tod höchstpersönlich damit zugeschlagen. Wer wüßte schon Bescheid?«
»Ich zum Beispiel!« antwortete Rincewind.
»Was jedoch keine Rolle spielt«, hielt ihm Skrofulose entgegen. »Schließlich wärst du tot.«
»Verschwinde!« zischte der Zauberer.
»Ich kann dich ja verstehen«, sagte der Dämon und hob die Sense. »Aber versuch einmal, die Sache aus meiner Perspektive zu sehen. Dieser Auftrag bedeutet mir sehr viel, und du mußt zugeben, daß dein Leben nicht gerade wundervoll ist. Die Reinkarnation könnte nur eine Verbesserung sein — oh!«
Skrofulose preßte sich die Hand auf den Mund, doch Rincewind richtete bereits einen zitternden Zeigefinger auf ihn.
»Reinkarnation!« wiederholte er aufgeregt. »Es stimmt also, was die Mystiker behaupten!«
»Ich gebe nichts zu«, erwiderte der Dämon. »Es ist mir nur so herausgerutscht. Und jetzt. Bist du bereit, freiwillig zu sterben?«
»Nein«, sagte Rincewind.
»Wie du willst.« Skrofulose holte mit der Sense aus, und sie pfiff ziemlich professionell durch die Luft, aber Rincewind hockte gar nicht mehr im Baum. Er befand sich einige Meter darunter, und die Entfernung wurde immer größer. Der Zweig hatte genau diesen Augenblick gewählt, um zu brechen und den Zauberer ins interstellare Meer zu schicken.
»Komm zurück!« kreischte der Dämon.
Rincewind antwortete nicht. Mit dem Bauch nach unten lag er auf fauchender Luft und starrte in Wolken hinab, die sich langsam teilten.
Schließlich blieben sie über ihm zurück.
Unten funkelte das Universum. Rincewind sah Groß-A'Tuin, riesig und gewaltig, der Panzer von Kratern übersät. Er betrachtete den kleinen Mond der Scheibenwelt. In der Ferne nahm er ein mattes Schimmern wahr, das nur vom Mächtigen Reisenden stammen konnte. Und dann die Sterne. Sie wirkten wie winzige Diamanten, die jemand auf schwarzem Samt verstreut hatte. Verlockende Sterne, die kühne Seelen zu sich riefen.
Die ganze Schöpfung wartete darauf, daß Rincewind hineinfiel.
Er nahm die Einladung an.
Es blieb ihm auch gar nichts anderes übrig.
1 An dieser Stelle sollte vielleicht näher auf Struktur und Kosmologie der Scheibenwelt eingegangen werden.
Die beiden Hauptrichtungen heißen mittwärts und randwärts. Aber da sich die Scheibenwelt auch um ihre eigene Achse dreht, und zwar einmal in achthundert Tagen — nach Reforgul von Krull dient die Rotation dazu, das Gewicht gleichmäßig auf die vier Elefanten zu verteilen —, existieren noch zwei Nebenrichtungen: drehwärts und entgegengesetzt.
Die kleine Sonne bewegt sich in einer festen Umlaufbahn, woraus folgt, daß es auf der Scheibenwelt nicht vier, sondern acht Jahreszeiten gibt. Die Sommer beginnen, wenn die Sonne am nächsten Punkt des Rands auf- und untergeht, und Winter herrscht dann, wenn sie während ihrer täglichen Bahn eine um neunzig Grad davon versetzte Stelle berührt.
Woraus folgt: In den Ländern am Runden Meer beginnt das Jahr aufgrund eines seltsamen Zufalls in der Silvesternacht, worauf der Primäre Frühling folgt, der in den ersten Mittsommer übergeht (am Vorabend der Geringen Götter). Dann kommt der Primäre Herbst, der nach genau einem halben Scheibenweltjahr die Zitterzeit einleitet, den Winter Secundus (auch Spindelwinter genannt, weil dabei die Sonne in Drehrichtung aufgeht). Daran schließt sich Frühling Secundus an, der schon nach kurzer Zeit dem Zweiten Sommer weichen muß. Die Allesfalb-Nacht markiert das Ende des Dreivierteljahrs — angeblich die einzige Nacht, in der Hexen und Zauberer im Bett bleiben. Wenn Blätter fallen und des Morgens Rauhreif glänzt, dauert es nicht mehr lange bis zum Rückspindelwinter, der das Jahresende und gleichzeitig einen Neubeginn ankündigt.
Da die Mitte nie viel Wärme von der Sonne empfängt, bleibt das dortige Land im Dauerfrost erstarrt. Am Rand hingegen findet man viele sonnige Inseln mit mildem Klima.
Die Woche der Scheibenwelt besteht natürlich aus acht Tagen, und das Spektrum enthält acht Farben. Die Zahl acht hat hier große okkulte Bedeutung und darf von einem Zauberer nie laut ausgesprochen werden.
Warum sich alles auf genau diese Weise verhält, ist nicht ganz klar. Es erklärt jedoch, warum man die Götter der Scheibenwelt nicht so sehr anbetet, sondern eher verflucht.