Und sie kam näher. Ihn schauderte.
»Magier!« keifte er. »Wo sind meine Magier?«
Überall in der Arena spähten bleiche Männer hinter Altären und unter Bänken hervor. Einer der kühneren krullianischen Zauberer bemerkte den Gesichtsausdruck des Erzastronomen, hob zitternd den Arm und schleuderte einen Blitz. Das Feuer zischte zur Kiste, traf sie und zerstob zu weißen Funken.
Dies war das Zeichen für alle Magier, Beschwörer und Thaumaturgen von Krull, mit wiedergefundenem Eifer aufzuspringen und, unter den entsetzten Blicken ihres Herrn, jede Zauberformel zu sprechen, die ihnen in den Sinn kam. Flüche heulten und kreischten durch die Luft.
Eine selbst für die neugierigsten Blicke undurchdringliche Wolke aus magischen Partikeln umgab die Truhe, wogte und wallte, gewann hier und dort höchst beunruhigende Formen. Eine Zauberformel nach der anderen jagte in dieses Durcheinander. Flammen und Blitze in allen acht Farben loderten aus dem kochenden Etwas, das nun den Platz der Truhe einnahm.
Seit den Magischen Kriegen war nicht mehr soviel Zauberei auf eine kleine Stelle konzentriert worden. Die Luft erzitterte und funkelte. Mehrere Zaubersprüche prallten voneinander ab und erzeugten ungebändigte wilde Magie, die ein gespenstisches und unkontrolliertes Halbleben führte. Die Steine unter der wabernden Masse gaben nach und brachen. Einer von ihnen verwandelte sich in etwas, das hier besser nicht beschrieben werden soll, und glitt in eine niedere Dimension. Andere sonderbare Nebenwirkungen manifestierten sich. Kleine Bleiwürfel sausten aus dem thaumaturgischen Sturm und rollten übers bebende Pflaster; unheimliche geisterhafte Gestalten schnatterten und vollführten obszöne Gesten; vierseitige Dreiecke und kantige Kreise entstanden, vereinten sich wieder mit dem donnernden, fauchenden Turm wilder Magie, der aus glühenden Steinen aufragte und sich über ganz Krull ausbreitete. Es spielte kaum mehr eine Rolle, daß die Magier inzwischen keine Zaubersprüche mehr riefen und flohen: Das Ding nährte sich nun von den oktarinen Partikeln, die hier am Rand der Scheibenwelt in einem breiten Strom flossen. Auf der Insel schlugen alle magischen Aktivitäten fehl, da das zur Verfügung stehende Mana in die Wolke gesaugt wurde, die bereits eine halbe Meile hoch war und gräßliche Umrisse gewann. Von Grauen erfüllte Hydrophoben stürzten mit ihren Linsen ins Meer; magische Elixiere verwandelten sich in schmutziges Wasser; magische Schwerter schmolzen und tropften aus ihren Scheiden.
Am Ausgangspunkte der Wolke stand die Truhe, glänzte wie ein Spiegel im Wüten des thaumaturgischen Orkans, und das Chaos hinderte sie nicht daran, sich weiterhin dem Erzastronomen zu nähern.
•
Rincewind und Zweiblum standen am Startturm des Mächtigen Reisenden und beobachteten die Vorgänge voller Ehrfurcht. Die Wächter der Eskorte waren längst geflohen und hatten die Waffen zurückgelassen.
»Nun«, seufzte der Tourist schließlich, »damit wäre die Truhe wohl erledigt.« Er seufzte noch einmal.
»Da irrst du dich«, erwiderte Rincewind. »Intelligentes Birnbaumholz ist immun gegen alle bekannten Arten von Magie. Die Pflicht der Kiste besteht darin, dir überallhin zu folgen. Ich meine, wenn du stirbst und in den Himmel kommst, so brauchst du im Leben nach dem Tod wenigstens nicht auf saubere Socken zu verzichten. Wie dem auch sei: Ich möchte noch nicht sterben, und deshalb sollten wir jetzt aufbrechen.«
»Wohin willst du?« fragte Zweiblum.
Rincewind griff nach einer Armbrust und mehreren Bolzen. »Keine Ahnung. Nur weg von hier.«
»Und die Truhe?«
»Sei unbesorgt. Wenn der Sturm alle freie Magie in diesem Bereich verbraucht hat, so läßt er von ganz allein nach.«
Das geschah bereits. Noch immer stieg eine dichte Wolke von der Arena auf, aber sie zerfaserte allmählich und wirkte wesentlich harmloser. Einige Male flackerte sie ungewiß.
Erste Lücken bildeten sich darin, und kurz darauf zeichneten sich die Konturen der Kiste zwischen fast unsichtbaren Flammen ab. Die abkühlenden Steine in ihrer Nähe knackten und splitterten.
Zweiblum rief leise nach seiner Truhe. Sie unterbrach ihren hartnäckigen Marsch über die geplagten Steinplatten und schien zu lauschen. Dann bewegten sich ihre vielen Beine in einem komplizierten Muster, als sie sich umdrehte und Kurs auf den Mächtigen Reisenden nahm. Rincewind beobachtete sie griesgrämig. Die Kiste hatte eine elementare Natur, absolut keinen Verstand und eine mörderische Einstellung gegenüber allen Dingen, die ihren Herrn bedrohten. Darüber hinaus war der Zauberer nicht sicher, ob sie sich innen im gleichen Raum-Zeit-Gefüge befand wie außen.
»Nicht einmal ein Kratzer dran«, sagte Zweiblum erfreut, als die Truhe vor ihm verharrte. Er öffnete den Deckel.
»Jetzt ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um die Unterwäsche zu wechseln«, knurrte Rincewind. »Die Wächter und Priester kehren sicher bald zurück, und bestimmt sind sie sehr wütend!«
»Wasser«, murmelte Zweiblum. »Die ganze Kiste ist voller Wasser!«
Rincewind blickte ihm über die Schulter und hielt vergeblich nach Kleidung, Geldbeuteln und den anderen Besitztümern des Touristen Ausschau. Statt dessen sah er Wasser.
Plötzlich sprang eine Welle empor und schwappte über den Rand. Sie platzte auf die Steinplatten, floß dort jedoch nicht auseinander, sondern nahm die Form eines Fußes an. Ein weiterer Fuß und die untere Hälfte von zwei Beinen folgten, als mehr Wasser aus der Truhe strömte und eine unsichtbare Gußform zu füllen schien. Einige Sekunden später stand der Meerestroll Tethis vor der Kiste und blinzelte.
»Oh«, sagte er schließlich, »ihr seid's! Eigentlich sollte es mich nicht überraschen.«
Er blickte sich um und kümmerte sich nicht um das Erstaunen der beiden Männer.
»Ich saß vor meiner Hütte und sah mir den Sonnenuntergang an, als dieses Ding aus dem Wasser raste und mich verschluckte«, erklärte er. »Ich fand das ziemlich seltsam. Wo sind wir hier?«
»Krull«, antwortete Rincewind. Er starrte auf die jetzt wieder geschlossene Truhe, der es gelang, selbstgefällig zu wirken. Es kam nicht selten vor, daß sie irgendwelche Leute verschlang, aber wenn sie das nächste Mal den Deckel öffnete, enthielt sie nur Zweiblums Wäsche. Rincewind griff zu, riß die Klappe nach oben — und sah einige Hemden und Hosen, frisch gebügelt.
»Na so was!« entfuhr es Tethis. Er sah auf.
»He!« fügte er hinzu. »Ist dies nicht das Schiff, das die Krullianer über den Rand schicken wollen? Habe ich recht? Ja, bestimmt!«
Ein Pfeil zuckte ihm durch die Brust und hinterließ einige kleine Wellen. Der Meerestroll schien überhaupt nichts davon zu bemerken. Ganz im Gegensatz zu Rincewind. Soldaten krochen nun hinter den Tribünen hervor, und einige andere Wächter spähten durch den Torbogen des Eingangs.
Ein zweiter Pfeil prallte vom Turm hinter Zweiblum ab. Auf diese Entfernung hatten die Geschosse keine große Durchschlagskraft, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis.
»Schnell!« rief Zweiblum. »Ins Schiff! Sicher wagen sie es nicht, darauf zu schießen!«
»Ich wußte, daß du das vorschlägst«, stöhnte Rincewind. »Ich wußte es!«
Er trat nach der Truhe. Sie wich ein wenig zurück und hob drohend den Deckel.
Ein Speer fiel vom Himmel und bohrte sich neben dem Zauberer ins Holz. Er stieß einen kurzen Schrei aus, folgte den anderen und kletterte ebenfalls die Leiter hoch.
Pfeile pfiffen ihnen um die Ohren, als sie den schmalen Steg erreichten, der über den Rücken des Mächtigen Reisenden führte. Zweiblum ging voraus und hüpfte regelrecht. Rincewind diagnostizierte ein hohes Maß an unterdrückter Aufregung.
Auf dem Schiff fanden sie eine große runde Bronzeluke mit mehreren Haspen. Tethis und der Tourist knieten und versuchten, die spangenartigen Vorrichtungen zu lösen.
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