Es mußte ja so kommen – gleich darauf sagte König Lune, es sei Zeit für die Kinder, ins Bett zu gehen. „Und morgen“, fügte er hinzu, „wirst du mit mir durch das Schloß gehen, Cor, und dir ansehen, in welchem Zustand es ist. Du mußt dir alle Vorzüge und Schwächen des Gebäudes einprägen, denn du wirst es hüten müssen, wenn ich einmal nicht mehr bin.“
„Aber dann wird doch Corin König sein, Vater“, wandte Cor ein.
„Nein, mein Junge“, erwiderte König Lune. „Du bist mein Erbe. Die Krone fällt an dich.“
„Aber ich will sie nicht“, sagte Cor. „Ich will viel lieber ...“
„Es ist nicht die Frage, was du willst oder was ich will. So bestimmt es das Gesetz.“
„Aber wenn wir Zwillinge sind, dann müssen wir doch gleichaltrig sein.“
„Nein“, widersprach der König lachend. „Einer muß der erste sein. Du bist zwanzig Minuten älter als Corin. Und wie ich hoffe, bist du auch um einiges vernünftiger, obwohl das keine große Kunst ist.“ Dabei schaute er Corin vielsagend an.
„Aber Vater, könntest du nicht denjenigen von uns zum nächsten König machen, den du dir aussuchst?“
„Nein. Der König unterliegt den Gesetzen, denn die Gesetze sind es, die ihn zum König machen. Er kann die Krone genausowenig im Stich lassen wie ein Wachmann seinen Posten.“
„Ach herrje“, seufzte Cor. „Ich habe überhaupt keine Lust, König zu werden. Es tut mir schrecklich leid, Corin. Ich hätte mir nie träumen lassen, ich könne dir durch mein Auftauchen die Königskrone streitig machen.“
„Hurra! Hurra!“ rief Corin. „Ich muß kein König werden! Ich muß kein König werden! Ich werde immer der Prinz bleiben. Es sind nämlich die Prinzen, die den meisten Spaß haben.“
„Und das ist wahrer, als dein Bruder ahnt, Cor“, sagte König Lune. „Denn König zu sein bedeutet, bei jedem verzweifelten Angriff erster und bei jedem verzweifelten Rückzug letzter zu sein, und wenn im Lande Hunger herrscht, wie das hier und da in schlechten Jahren passiert, dann muß er sich in den schönsten Kleidern und mit dem lautesten Lachen zum armseligsten Mahl im Lande niedersetzen.“
Als die beiden Jungen nach oben ins Bett gingen, fragte Cor noch einmal seinen Bruder, ob daran denn gar nichts zu ändern sei. Und Corin erwiderte: „Wenn du noch ein einziges Wort darüber verlierst, dann – dann schlag’ ich dich nieder.“
Es wäre ein schöner Abschluß für diese Geschichte, wenn man sagen könnte, die beiden Brüder seien von nun an nie wieder geteilter Meinung gewesen. Aber das wäre leider gelogen. Corin war und blieb sein Leben lang ein Widerspruchsgeist und Raufbold, und Cor blieb ihm nur selten die Antwort schuldig. Aber weder er noch irgendein anderer Bewohner der nördlichen Länder war Corin in einem Boxkampf gewachsen. So bekam er seinen Namen Corin Donnerfaust, und dadurch gelang ihm auch sein heldenhafter Kampf gegen den abtrünnigen Bären vom Sturmkopf, der eigentlich ein sprechender Bär war, der aber wieder in die Gewohnheiten der wilden Bären zurückgefallen war. Corin kletterte eines Tages im Winter zu seiner Höhle auf der narnianischen Seite des Sturmkopfs hinauf, als Schnee auf den Hügeln lag. Und dann trug er mit dem Bären einen Boxkampf aus, der ohne Schiedsrichter dreiunddreißig Runden dauerte. Und am Ende konnte der Bär nicht mehr aus den Augen sehen und war gänzlich verwandelt.
Auch Aravis stritt sich oft mit Cor, und manchmal verprügelten sie sich sogar – aber sie versöhnten sich immer wieder. Jahre später, als sie erwachsen waren und sich so an die Streitereien und die Versöhnungen gewöhnt hatten, heirateten sie, damit sie sich müheloser streiten und wieder versöhnen konnten. Nach König Lunes Tod wurden sie König und Königin von Archenland, und Ram der Große, der berühmteste König von Archenland, war ihr Sohn.
Bree und Hwin lebten glücklich bis ins hohe Alter. Und fast jeden Monat kam einer von ihnen oder sogar alle beide über den Paß getrottet, um ihre Freunde in Anvard zu besuchen.